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Kategorie: Zeitgeschehen
schwarz weissÜber die Komplexität sprachlicher Bilder

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man streitet sich erneut um Schwarzfahrer, Schwarzseher oder Schwarzarbeiter.

Zahlreiche Worte in der deutschen Sprache besitzen bei gleichem Wortstamm oder gleicher Wortbasis unterschiedliche Bedeutungen. Ein Schwarzer kann ein Mensch dunkler Hautfarbe sein, aber auch ein Katholik oder ein CDU-Anhänger. Die Nacht ist sprichwörtlich schwarz im Sinn von finster. Ein Raum kann schwarz vor Dreck sein, also schmutzig oder unsauber. Es kann einem schwarz vor Augen werden, wenn der Kreislauf oder der Gleichgewichtssinn gestört ist. Weithin bekannt sind schwarze Geschäfte (häufig unter Einsatz von „gewaschenem“ Schwarzgeld), die nicht so heißen, weil überproportional viele CDU-Funktionsträger daran beteiligt sind (was allerdings vorkommen kann) oder Schwarze als Angehörige einer bestimmten Ethnie.

Wer in einem umfangreichen Synonymwörterbuch unter „schwarz“ nachschlägt, stößt u.a. auch auf schmierig, reaktionär, bedrohlich, unheilvoll, boshaft, niederträchtig, perfide, illegal, verboten, versteckt, unter der Hand.

Es kommt also auf den Kontext an, um den Begriff positiv, neutral oder negativ zu konnotieren. Wer allein den Wortstamm oder die Wortbasis zum Maßstab nimmt, greift zu kurz. Denn Sprache ist ohne (Allgemein-) Bildung nicht korrekt anwendbar. Mir scheint, dass Bildungsmängel die Triebkraft hinter der kritisierten politischen Unkorrektheit sein könnten.

Laut dem Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein besteht die Welt aus sprachlich fassbaren Tatsachen, welche sich ihrerseits aus sagbaren Dingen zusammensetzen. „Es ist dem Ding wesentlich, Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können“ (Tractatus logico-philosophicus). Dinge vermögen demnach unterschiedliche Sachverhalte zu beschreiben und dienen sowohl der Unterscheidbarkeit als auch – auf einer höheren Ebene – der Unterstreichung multipler Erscheinungsweisen einer Tatsache. Ähnlich wie bei diesen Aussagen:

Ein Schwarzer fährt Bahn, dadurch aber wird er nicht zum Schwarzfahrer, es sei denn, er besäße keine gültige Fahrkarte. Ein Weißer, der schwarz fährt, wird dadurch nicht zum Schwarzen, sondern macht sich der Erschleichung einer Beförderungsleistung schuldig. Schwarzarbeiter sind überwiegend nicht dunkelhäutig, sondern entsprechen dem Typus des Durchschnittsdeutschen, von dem sie sich jedoch durch eine ausgeprägte Neigung zum Steuerbetrug unterscheiden, der glücklicherweise (noch) nicht mehrheitsfähig ist. Schwarze wählen durchaus CDU, aber nicht, weil diese Partei für Schwarze im Sinn einer Ethnie eintritt, sondern weil sie als konservativ und katholisch geprägt gilt. Hautfarbe schützt also nicht vor Dummheit oder politischer Kurzsichtigkeit.

Grundsätzlich stellt sich darum die Frage, ob dem Menschen überhaupt durch die Farbe seiner Haut Eigenschaften zugeordnet werden dürfen. Denn nahezu jede Farbe kann sehr unterschiedlich gedeutet werden. So bedeutet „schwarz auf weiß“ eine schriftliche Zusicherung, ist also positiv. Goethe formulierte im „Faust“ (der Tragödie erster Teil): „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ Demgegenüber kommen Begriffe wie Schwarzfahrer und Schwarzarbeiter sprachlich dem schwarzhäutigen Menschen nahe und könnten ihn sogar diskreditieren. Zumindest bei oberflächlichem Gebrauch der deutschen Sprache, einem Laster, das spürbar um sich greift. Denn die Deutschen scheinen allmählich zu verblöden – was der Bildungsforscher Georg Picht bereits 1964 diagnostizierte („Die deutsche Bildungskatastrophe“).

So wird in einigen Feuilletons und Literaturzirkeln in letzter Zeit darüber geklagt, dass die Veröffentlichungen schwarzer Deutscher nicht zur Kenntnis genommen würden. Da mir der dazu notwendige Überblick fehlt, kann ich mit einer solchen Information nichts anfangen. Denn sie enthält die nicht bewiesene Behauptung, dass Erzählungen, Romane oder Gedichte von Schwarzen trotz Erfüllung sämtlicher formaler und inhaltlicher Voraussetzungen deswegen links liegen blieben, weil die Autoren Afro-Deutsche seien.

Diese Hypothese deckt sich auch nicht mit meinen beruflichen Erfahrungen. Bei der Prüfung eingereichter Manuskripte habe ich mich weder am Geschlecht noch an der Ethnie der Autoren orientiert. Vielmehr mussten die Texte folgende Fragen schlüssig beantworten: Was wird zur Sprache gebracht? Ist dieses Thema von gesellschaftlicher Relevanz, auch dann, wenn es das Anliegen einer Minderheit artikuliert? Erfüllt die Darstellung literarische Maßstäbe? Handelt es sich um eine erkennbar eigenständige Arbeit oder basiert sie auf der Übernahme von Motiven anderer Schriftsteller, die aber nicht genannt werden?
Einsendungen, welche die genannten Voraussetzungen erfüllten, verteilten sich auf Männer, Frauen und Ethnien entsprechend den Anteilen dieser Gruppen an der Gesamtbevölkerung. Da nach dem Lauf durch verschiedene Lektoratsinstanzen lediglich sieben bis zehn Prozent der Manuskripte schließlich veröffentlicht wurden (ein nennenswerter Teil in Themen-Sammelbänden), lässt sich daraus folgern, dass nur eine Minderheit unter Männern, Frauen und Nichtweißen über literarisches Talent verfügen. Und: Schriftstellerische Begabungen scheinen relativ gerecht verteilt zu sein, sowohl innerhalb der Geschlechter als auch der Ethnien. Allerdings sagt dieser Status quo nichts darüber aus, inwieweit ein besseres Bildungssystem zu völlig anderen Ergebnissen führen könnte.

Die Forderung nach Chancengleichheit in der Bildung und später im Berufsleben wird häufig verwechselt mit jener nach einer gerechten Sprache. Diese Begehrlichkeit setzt voraus, dass die amtliche Sprache Mann und Frau und Sonstige unterschiedlich behandelt und insbesondere Frauen in der männlich determinierten Grammatik und Rechtsschreibung nachrangig seien.

Zu Anfang der 2000er Jahre war bereits bei religionsgeschichtlichen und theologischen Manuskripten ein Trend zu dem feststellbar, was mittlerweile gendern genannt wird. Ausgelöst offensichtlich durch die damals erschienene „Bibel in gerechter Sprache“. Im Neuen Testament war nunmehr von „Jüngerinnen und Jüngern“ die Rede, auch von „Pharisäerinnen und Pharisäern“, obwohl in den Originalen, die keinesfalls als historische Schriften gewertet werden dürfen, davon keine Rede ist. Im Alten Testament wurde aus dem Gott der Israeliten je nach Kontext „der Ewige“ oder „die Ewige“. Statt des Fürwahrhaltens eines namenlosen (!) Gottes ohne menschliche Eigenschaften, kehrte man zurück zu den Göttern und Göttinnen der griechischen Antike, die allesamt menschliche Züge trugen und ähnlich lasterhaft waren. Die von den Anhängerinnen der fundamental-feministischen Theologie inspirierten Autoren dieser Textrevision verfolgten eindeutig ideologische Ansätze, die den Erkenntnissen der historisch-kritischen Erforschung zuwiderliefen.
Letztere weist seit ca. 200 Jahren nach, dass sämtliche biblischen Schriften einen jeweiligen Zeitgeist reflektieren. Kluge Bearbeiter der hebräischen Bibel haben nach dem Ende des babylonischen Exils, als die meisten der bereits vorliegenden Skripte geordnet wurden, die Widersprüche bewusst stehen gelassen. Sie wollten damit den künftigen Generationen klar machen, dass die Annahme eines Gottes und die Rede über ihn ein dynamischer Prozess ist, der keinen unhistorischen Fundamentalismus zulässt. Die Bearbeiter des neutestamtlichen Schrifttums in der Periode des Frühkatholizismus haben sich nicht an solche Regeln gehalten. Der im dritten und vierten Jahrhundert begründete Dogmatismus erweists sich bis heute als das Erbübel der Christenheit.

Menschen streben nach der Vollendung ihrer Spezies. Hierzu zählen Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Auf diesem Weg kann eine stets reflektierende Sprache entscheidend dazu beitragen, Recht und Unrecht eindeutig zu benennen und gesellschaftliche Missstände zu entlarven, aber auch Utopien zu konkretisieren. Da die Sprache selbst einer Eigendynamik unterliegt, darf sie keine Vorfestlegungen treffen, sondern muss sich Wirkungsmächtigkeit schaffen und diese konsequent erhalten. Darin liegt ihre ethische Verpflichtung auf dem Weg zu einer gerechten Welt.
Dieses Ziel erreicht sie nicht, wenn sie unzureichende Bilder des Menschen hervorbringt (Schwarze, Weiße etc.), die Wirkungsgeschichte von Religion und Philosophie auf Stereotypen verkürzt (rückfließende Projektionen des Menschen auf eine Metaebene, Göttinnen und Götter, Jüngerinnen und Jünger) oder die Frau auf ewig zum Teil des Mannes erklärt, was faktisch durch Genderstern und Genderstrich geschieht. Denn im eigenen Interesse sollten sämtliche Frauen daran interessiert sein, nicht auf archaische Bilder wie die Rippe Adams reduziert zu werden, also keine Männin, sondern eine Frau zu sein. Wer das Weibliche mit Stern, Doppelpunkt oder Strich an das Männliche kettet, beseitigt keine Herrschaft, erst recht keine Sklaverei, sondern meißelt längst überholte Abhängigkeiten in Stein.

Grafik:
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