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Kategorie: Zeitgeschehen
schmidtskurtZum 95. Geburtstag eines verehrten Kollegen

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) - „NELHIEBELS WELT“. So heißt meine sechsteilige Sendereihe, die zuerst 2014 im Bremer Bürger-Radio lief und deren 6 x 6 Stunden jetzt in meinem eigenen Mitmach-Radio im Internet zu hören sind: www.trommeln-im-elfenbeinturm.de


Als ich Nelhiebels Welt betrat, war ich noch Frischling in Radio Bremens Nachrichten-Redaktion. In die kam Kurt Nelhiebel 1965 ebenfalls zuerst als Redakteur.

Kurz danach hatten wir einen weiteren Redakteurs-Zugang, der aber nach drei Wochen schon wieder verschwunden war. Zu jener Zeit war nach der Frühschicht noch eine zehnminütige Presseschau zu bewältigen mit Zitaten aus Kommentaren von Tages- und Wochenzeitungen. Eines Morgens fand ich den Namen dieses Redaktions-Abgängers unter der Überschrift eines Artikels im „Bayern-Kurier“, jener Münchener CSU-Stimme, die gelegentlich durchaus auch bei Radio Bremen Gehör fand. Der Mann hatte uns als „CSU-Spion“ besucht und berichtete nun, dieser Kurt Nelhiebel, alias Conrad Taler, habe jetzt beim „roten Sender“ Radio Bremen Unterschlupf gefunden, wahrscheinlich um dort die Nachrichten zu manipulieren.

Tatsächlich aber hatte ich zu der Zeit die Nachrichten einmal manipuliert: In der Frühschicht an einem 1. April hatte ich mir eine Meldung aus Bonn einfallen lassen. Dort habe ein parlamentarischer Arbeitskreis beschlossen, April-Scherze ab sofort verbieten zu lassen. Dass aber Kurt Nelhiebels Einstellung als Nachrichten-Redakteur beim höchsten Bremer Sozialdemokraten, beim damaligen Bürgermeister Hans Koschnick, auf Unwohlsein stieß, war kein April-Scherz. Koschnick hatte Radio Bremen-Intendant Heinz Kerneck darüber informiert, dass dieser Nelhiebel vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Chefredakteur Harry Pross, der den Kurt Nelhiebel nach Bremen geholt hatte, verbürgte sich für ihn.

Doch Nelhiebel diktierte nicht nur Nachrichten, er schrieb auch öfter Kommentare zur innenpolitischen Lage, allerdings unter seinem Pseudonym. Besondere Resonanz hatte zu jener Zeit der Kommentar-Platz „Kurz gefasst“, an einem 3-Minuten-Sendeplatz, werktäglich, jeden frühen Morgen. Eines Morgens erklärte mir eine Sekretärin, „der Conrad Taler vom 'Kurz gefasst' heute früh hat eine Stimme wie unser Herr Nelhiebel“.

Als ich ihn das irgendwann einmal wissen ließ, brachte er mir am nächsten Tag sein soeben erschienenes neues Buch mit, Autor: Conrad Taler, Titel: „Rechts, wo die Mitte ist“. Ich las es. Es half mir später, vieles von dem zu verstehen, was ich – freigestellt von Radio Bremen – als Wehrpflichtiger zu erleben hatte.

Zurück bei Radio Bremen half mir Kurt Nelhiebel mit dem Hinweis, als Nachrichten-Redakteur dürfte ich eigentlich nicht zu Reserve-Übungen einberufen werden. Folge: Ein offizieller Antrag des Senders beim Senat erhielt die Bestätigung: „uk-gestellt“, das heißt „unabkömmlich“, Unterschrift: Bürgermeister Koschnick.

Freigestellt von einem Nachrichtendienst hat mich später einmal der Abteilungsleiter persönlich. Ich hatte gerade meine Nachmittagsschicht angetreten, da kam der Anruf aus dem Krankenhaus, in das ich morgens meine Frau gebracht hatte: Unsere Tochter war auf die Welt gekommen. Dass sie sogleich mit Nelhiebels Welt Bekanntschaft gemacht hatte, erfuhr sie sehr viel später. Der Kurt Nelhiebel schickte mich ins Krankenhaus und übernahm meine Schicht. Ein paar Tage später brachte er eine Baby-Tasche mit. Die würde ich brauchen, die hätte er gebraucht, als er vor gar nicht langer Zeit seine Frau und die neugeborene Tochter von der Klinik abgeholt habe.

Wie es 1977 dazu kam, dass er – ein Mann aus Böhmen – bei Radio Bremen die „Plattdeutschen Nachrichten“ erfand, erfuhren die Gäste bei einer seiner vielen öffentlichen Veranstaltungen aus erster Hand. Vor einer Sendung habe Nachrichtensprecher Gerd Mindermann halblaut auf Platt gelesen, was er auf Hochdeutsch geschrieben habe, erzählte Kurt Nelhiebel. Der Wahlbremer stand starr und staunte: Das war Klartext ganz besonderer Art. Der Rest ist Rundfunkgeschichte.

Für sein Vorwort zu meinem Buch "Wie ich lernte, die Welt im Radio zu erklären" grub Kurt Nelhiebel bei Heinrich Heine diese Maxime eines ordentlichen Journalismus aus: "Nicht den Werkstätten der Parteien will ich ihren banalen Maßstab entborgen, um Menschen und Dinge damit zu messen, noch viel weniger will ich Wert und Größe derselben nach träumenden Privatgefühlen bestimmen, sondern ich will so viel wie möglich parteilos das Verständnis der Gegenwart befördern und den Schlüssel der lärmenden Tagesrätsel zunächst in der Vergangenheit suchen. Die Salons lügen, die Gräber sind wahr. ..."


Foto:
Kurt Nelhiebel
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