»Das Verfahren von moralisch Anspruchslosen«

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Was Klaus Philipp Mertens unter der Überschrift „Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ über die Vorgänge in Limburg an der Lahn schreibt, ruft die Erinnerung wach an die Bagatellisierung des Rechtsextremismus auf allerhöchster Ebene, als sich CDU und CSU vehement dagegen wehrten, die Leugnung des Massenmordes an den Juden  zu verbieten. An das Geschehen von damals erinnert Conrad Taler in einem Kapitel seines Buches „Der braune Faden“. Die Redaktion


Im Oktober 1981 legte der sozialdemokratische Bundesjustizminister Jürgen Schmude dem Kabinett einen Gesetzentwurf vor, der die
Herstellung und die Einfuhr von Nazi-Propagandamaterial sowie die Leugnung des Völkermordes an den Juden mit Strafe bedrohen sollte. In der Einleitung zu diesem 21. Strafrechtsänderungsgesetz – so die offizielle Bezeichnung – hieß es, bislang könne der im Rahmen neonazistischer Propaganda zunehmend zu beobachtenden Leugnung und Verharmlosung schwerer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen nicht ausreichend begegnet werden. Künftig solle, auch ohne Strafantrag eines Betroffenen, von Amts wegen jeder verfolgt werden. der »unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen des Völkermordes leugne oder verharmlose«.

Am 10. Oktober 1982 – inzwischen hatte die CDU unter Helmut Kohl die Regierungsgeschäfte übernommen – brachte die SPD den Gesetzentwurf im Bundestag ein. Der Bundesrat befasste sich am 29. April 1983 mit dem Entwurf; dann geschah Merkwürdiges. Ein Jahr lang war von der Vorlage nicht mehr die Rede, bis die Sozialdemokraten argwöhnten, sie sei anscheinend im Justizministerium »spurlos verschwunden«. Erst dann rückte Schmudes Amtsnachfolger Hans Engelhard (FDP) damit heraus, dass die CSU die weitere Beratung blockiere. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass nur die Leugnung der Naziverbrechen mit Strafe bedroht werden sollte. Vielmehr müsse, wie ihr Abgeordneter, der Vertriebenenpolitiker Fritz Wittmann, erklärte, das Leugnen des Völkermordes allgemein strafbar werden, auch das Leugnen der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Galinski, wandte sich gegen eine solche »Aufrechnungsformel« und nannte es unerträglich, dass die CSU »andere Faktoren« einzubeziehen versuche. Der Mord an Millionen Juden sei »derart einmalig in der Geschichte, dass jeder Hinweis auf andere Verbrechen zurückgewiesen werden« müsse. Für die SPD handelte es sich um eine »Verschlimmbesserung «, die den gesicherten Bereich der Naziverbrechen verlasse und die Richter vor unlösbare Probleme stelle. Auch in den Reihen der Koalitionsparteien gab es Bedenken. Der CSU-Abgeordnete Eicke Götz, der die von seiner Partei geforderte Änderung zunächst verteidigt hatte, legte sein Amt als Berichterstatter für den Gesetzentwurf nieder. Wie es hiess, war Götz zu der Überzeugung gelangt, dass der Völkermord in den Vernichtungslagern der Nazis nicht mit Vertreibungsverbrechen in einen Topf geworfen werden dürfe.

Justizminister Engelhard wurde nicht nur von den Aufrechnern innerhalb der Koalition bedrängt, sondern bekam nach seiner Schilderung auch den Druck einer – wie er formulierte – lautstarken Minderheit zu spüren, die an der Leugnung der Massenmorde von Auschwitz festhalte  und ihn mit Briefen und Drucksachen überschwemme; dieser Druck habe eine »gespenstische Dimension« erreicht. Der Minister bat schließlich Bundeskanzler Kohl, die Verzögerung des Gesetzes zu beenden. Tatsächlich billigte das Kabinett kurze Zeit später mit den Stimmen der vier CSU-Minister die Vorlage. Sie war an der entscheidenden Stelle so verändert worden, dass sie mit Schmudes Intention nichts mehr zu tun hatte. Verboten werden sollten nun alle Schriften, in denen die Verbrechen der Nazis »oder besonders schwere Verbrechen eines anderen Gewaltregimes gegen Deutsche geleugnet, verharmlost oder gebilligt werden«.

Ungeachtet dessen setzten die Unionsvertreter im Rechtsausschuss des Bundestages alles daran, die weitere Beratung des Gesetzentwurfes hinauszuzögern. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Alfred Dregger, sprach sich dafür aus, den Entwurf überhaupt nicht mehr zu behandeln. Unterstützt wurde er dabei vom Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Theo Waigel, der am 13. März 1985 verlangte, »den Irrweg dieses Gesetzes zu beenden«. Waigel übernahm damit eine Formulierung der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom selben Tag. Unter der Überschrift »Irrweg einer rechtspolitischen Idee« hatte es Johann Georg Reißmüller als seltsam bezeichnet, dass die Bundesregierung unter Helmut Kohl den aus dem Kabinett des Vorgängers Helmut Schmidt stammenden Entwurf überhaupt übernommen habe. Das sei »offensichtlich eine Panne« gewesen. Reißmüller
erinnerte daran, dass die von der Union regierten Länder den Entwurf mit ihrer Stimmenmehrheit im Bundesrat bereits abgelehnt
hätten.

Schließlich wurde für den Paragraphen 194 des Strafgesetzbuches eine Formulierung gefunden, die besagte, dass ein Antrag auf Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sei, »wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt«. Dieses juristische Kauderwelsch, in das die Gleichsetzung des Massenmordes an den Juden mit der Vertreibung der Deutschen verpackt wurde, fand tatsächlich Eingang in das 21. Strafrechtsänderungsgesetz, das am 25. April 1985 gegen die Stimmen der SPD und der Grünen vom Bundestag verabschiedet wurde; den Namen Gesetz gegen die Auschwitzlüge, wie die Vorlage landläufig genannt wurde, verdiente es nicht mehr.

Gesiegt hatte eine Denkweise, die der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Helmut Leonardy, als »widerliche Aufrechnungsmentalität « bezeichnete. Alle Warnungen vor einer Verwässerung der ursprünglich zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gedachten Sanktionen waren ungehört verhallt. Dabei hatte bereits Theodor Heuß das gegenseitige Aufrechnen kritisiert und als das »Verfahren von moralisch Anspruchslosen« verurteilt. In seiner Rede zur Einweihung des Mahnmals für die Opfer des Konzentrationslagers Bergen-Belsen am 1. Dezember 1952 nannte er dieses Aufrechnen eine »verderbliche, banale Angelegenheit«. Aber selbst das hielt die vermeintlichen Begründer eines neuen Nationalbewusstseins nicht von ihrem
Tun ab. Eine Mentalität des Schlussstrichs, des »Nur-Vorwärts-Schauens «, des Verharmlosens und der Aufrechnung nach dem Motto: hier Dresden und Vertreibung, da Auschwitz, wie Dirk Cornelsen sich in der Frankfurter Rundschau ausdrückte, hatte die Oberhand gewonnen.

 

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Info:  aus: Der Braune Faden, PapyRossa-Verlag, Köln 2005