DANOWSKI: STURMKEHRE von Till Raether

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im April 2024, Teil 6  

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gleich nach Erscheinen las ich diesen Krimi, der mir so gut gefiel, daß ich beim Sprecher der Jury der Krimibestenliste, Tobias Gohlis, nachfrug, ob er auf die nächste Krimibestenliste käme. Das könne er nicht sagen, war seine Antwort. Ich konnte es mir nicht anders vorstellen, als daß andere genauso angetan seien wie ich. Doch auf der nächsten Liste stand er nicht. Und es kamen viele, viele neue Krimis hinzu. Hätte ich doch gleich über ihn geschrieben, sagte ich mir irgendwann, aber die Krimis der Krimibestenliste gingen vor.

Und dann, im Vormonat April stand er dann doch auf Platz 6. Aber ich las erst die neuen und als ich den letzten Danowski-Krimi von Till Raether – letzter, weil der Kriminalkommissar bei der Hamburger Polizei am Schluß kündigt – besprechen wollte, fand ich dann doch, daß so viele neue Eindrücke eine ernsthafte Rezension gefährden, weshalb ich das Buch gleich noch mal las. Inzwischen bin ich sicher, ein drittes Mal würde noch tiefer gehen, denn das zweite Lesen war sensationell. Vor allem deshalb, weil ich im zweiten Teil den Text aus dem Kopf hätte wiedergeben können, so plastisch schildert der Autor die seltsame Reise des gebeutelten Kommissars nach Dänemark, wo er eine Selbstmörderin sucht, so daß sich die Ereignisse wie in einem Film für die nächsten Jahre ins Gedächtnis eingraben. Echt sensationell. Nie hätte ich gedacht, welches Vergnügen es bereitet, wenn man einen Text liest, den man fast mitsprechen könnte, weil er so verinnerlicht ist.

Von vorne, denn so kann natürlich keiner wissen, um was es geht. Um alles für Danowski. Für ihn eine komplexe und komplizierte Situation. Seine Frau Leonie hat genug von ihm, besser: von seinem derzeitigen Zustand des Schweigens und Verschweigens und hat schon die Koffer gepackt. Die eine Tochter studiert in Kanada, die andere steht ihm bei. Sein alter Widersacher und Vorgesetzter Kienbaum erpreßt ihn. Dazu hat Danowski ihm die Munition geliefert. Er hat einer Frau, die von ihrem Mann immer wieder zusammengeschlagen wurde, weshalb sie ihn ermordete, dieser Frau hat Danowski geholfen. Aber wie. Er hat den Toten aus der Wohnung und auf ein Boot geschafft, das dann ins offene Meer unterwegs war, wo die Leiche verblieb. Kienbaum weiß, daß ein solcher Skandal der Polizei und seiner Position selbst nicht gut täte, weshalb das eine gute Gelegenheit ist, den Danowski nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

In Hamburg ist ein Revirement in der Polizeibehörde vorgesehen. Und Kienbaum kann die Position des Polizeipräsidenten erringen, wenn er jetzt noch einen größeren Ermittlungserfolg vorweisen kann. Die Vorarbeit ist geleistet. Der Frauenmörder Schüringsen, der in den Neunzigern ‚seine Leute‘, wie er zu den Ermordeten immer sagt, in den Alsterfleeten versteckte und dann nach Kuba abgehauen war, hat sich auf eine angebliche Erbschaft eingelassen, ist zurückgekommen und soll nach Plan von den Teammitgliedern, dem Paar Meta und Finzi, früher die besten Freunde von Danowski, gefaßt werden. Doch was macht Traumtänzer Danowski. Er entfernt sich vom Einsatz, setzt sich auf eine Bank, neben ihm der Frauenmörder, den er umgehend verhaftet und den anderen unwissentlich die Schau gestohlen hat. Nein, so werden sie nicht wieder Freunde.

Und dann doch. Denn er erklärt den Freunden und seiner Familie von seiner Mörderinhilfe, die seine sofortige Entlassung samt Gefängnisstrafe nach sich zieht, wird das bekannt. Doch er will lieber diese Konsequenz, als sich von dem Wichtigtuer und Karrieristen Kienbaum weiter vorführen zu lassen. Doch da kommt auf einmal Marie Kolossa ins Spiel. Die Selbstmörderin von vor 30 Jahren, deren Leiche nie gefunden wurde, die Ekel Kienbaum nun dem Frauenmörder als Mord unterjubeln will. Ein Cold case, den er mithilfe von Danowski aufklärt, groß in die Zeitung kommt, was ihm beim geplanten Aufstieg hilft. Der publicitysüchtige Schüringsen erklärt sich gleich auch für diesen Mord zuständig, dann widerruft er. Danowski soll’s jetzt bringen und macht sich auf die Spur des Mannes, der als letzter diese Marie gesehen hatte, die eine interessante Vorgeschichte hat. Aus der DDR, Republikflucht, trotz zweier kleiner Kinder und Ehemann, an der Grenze gefaßt, Bautzen.
Ab jetzt geht die Post ab. Lesen Sie selber!



Die zehn besten Kriminalromane im April 2024

 
1 (–) Louisa Luna: Abgetaucht
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 457 Seiten, 18,95 Euro

„Ilona“, Oregon. Vor Dekaden ist Footballstar Zeb aus dem Stadion weggerannt. Jetzt
soll Alice Vega den Abgetauchten in Ilona suchen, stößt auf den Kleinstadtking,
seinen Sheriffkumpel und ein Rassistennest. Legt sich mit ihnen und den Hintermännern
an, schützt die Schwachen und säubert die Stadt. Hardboiled feministisch.


2 (6) Patrícia Melo: Die Stadt der Anderen
Aus dem Portugiesischen von
von Barbara Mesquita
Unionsverlag, 398 Seiten, 26 Euro

São Paulo. An der Praça Matriz kommen die Obdachlosen, Junkies, Waisenkinder
der Metropole zusammen. Unverdrossen rennen sie gegen Hunger, Polizeiterror,
Vertreibung, staatliche „Fürsorge“ an, sehnsüchtig nach Glück und Zukunft.
Brasiliens Elend. Ode an die Überlebenskraft der vermeintlich Schwächsten.


3 (3) Danya Kukafka:
Notizen zu einer Hinrichtung
Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
Blumenbar, 348 Seiten, 22 Euro

Upstate New York. In zwölf Stunden wird Ansel Packer hingerichtet. Zeit für den
Serienmörder, sein Leben zu rekapitulieren. Kukafka spiegelt es in den Schicksalen
dreier Frauen, die seinen Weg kreuzen mussten. Omnipräsente patriarchale Gewalt
und ihre Zerstörungen: Keine Hinrichtung kann sie heilen. Eindringlich.



4 (1) Hervé Le Corre:
Durch die dunkelste Nacht
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Suhrkamp, 340 Seiten, 17 Euro

Bordeaux. Ein muttergeschädigter Frauenmörder, ein desillusionierter Kriminalpolizist und
eine junge alleinerziehende Mutter, geprägt von Gewalterfahrung, treiben
durch Spätwinternächte voller Schlamm, Regen und Depression. Deutsche Entdeckung
eines der bekanntesten französischen Krimiautoren und seiner schwarzen Ästhetik.


5 (5) Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle
Aus dem Italienischen
von Annette Kopetzki
Edition Converso, 284 Seiten, 24 Euro

Rom. Nur wenige kaum verständliche Worte hat Bibliotherapeut und Detektiv Vince
Corso, um ein Buch aufzuspüren, das der Schlüssel zum geistigen und vermutlich
sogar finanziellen Vermächtnis eines Alzheimerkranken sein soll. Detektion mit den
Wundern des Lesens und der Imagination. Vor der Tür: engstirniger Ausländerhass.


6 (–) Till Raether:
Danowski – Sturmkehre
Rowohlt
303 Seiten, 18 Euro

Hamburg, Dänemark. Danowskis Chef will mehr: Der Fleetmörder der 90er Jahre ist
gefasst, aber nicht alle Opfer sind identifiziert. Eines soll die verschwundene Marie
Kolossa sein. Danowski muss sie finden, sonst wandert er in den Knast. Showdown
auf sturmumtoster Insel – allein dafür muss man Danowskis letzten Fall lesen.


7 (–) Charles den Tex: Repair Club
Aus dem Niederländischen
von Simone Schroth
HarperCollins, 492 Seiten, 14 Euro

Den Haag, Zürich, Dresden. Rentner John Antink repariert, was kaputt ist. Als ihm
jemand eine Waffe vorhält, ist er plötzlich gezwungen, seine Vergangenheit zu entrümpeln.
Vor 1989 hat er erfolgreich KGB-Gelder in den Westen transferiert. Sein
Partner: ein kleiner Russe. Putin-Russland hält Antink im Griff. Hochspannend.


8 (–) Adam Morris: Bird
Aus dem Englischen
von Conny Lösch
Edition Nautilus, 303 Seiten, 20 Euro

Westaustralien. Carson ist jung, attraktiv, schlagfertig, ein Abenteuer wert. Bestimmt
hätte er die Chance, aus dem Knast zu kommen. Aber er ist ein Aboriginal. Es sind
Weiße, blind für seine Welt, die ihn beobachten: der fette Psychologe, der Kunsterzieher,
der Wärter, der lieber Koch wäre. Ganz nüchtern: Rassismus ist Zerstörung.


9 (2) Arne Dahl: Stummer Schrei
Aus dem Schwedischen
von Kerstin Schöps
Piper, 458 Seiten, 17 Euro

Stockholm, Uppland. Terror gegen Klimakatastrophe: Bomben zerfetzen Manager.
Eva Nyman, Chefin der Spezialeinheit NOVA, ahnt, wer hinter den Anschlägen
steckt: ihr ehemaliger Chef, der als Prepper im Wald lebt. Doch auch nachdem er gefasst ist,
gehen die Anschläge weiter. Neue Serie vom Meister intelligenter Spannung.


10 (–) Pascal Garnier: An der A26
Aus dem Französischen
von Felix Mayer
Septime, 117 Seiten, 19 Euro

Region Lille. Seit fünfzig Jahren hausen die Geschwister Bernard und Yolande im
Haus am Stadtrand. Seit man ihr nach Kriegsende den Kopf schor, hat sie es nicht
mehr verlassen. Er ist sterbenskrank. An der Baustelle der A26 begräbt er die Frauen,
die er tötet. Du denkst: Schwärzer ist schwer möglich. Doch, bei Garnier.