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Kategorie: Bücher
Kommissar X Band 17 72 dpiÜber die Heftromane der 1950er und 1960er Jahre, Teil 2/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich stand mit meinen literarischen Vorlieben nicht allein. Denn während der ersten 25 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik gehörten diese Western-Serien zur bekannten Unterhaltungsliteratur. Insbesondere von Jugendlichen wurden sie geschätzt. Männliche Erwachsene bevorzugten eher Western Reihen wie den „Bastei Wildwest-Roman“ oder die „Kelter Wildwest-Romane“; Kenner schworen damals wie auch heute rückblickend auf die „Erdball Western“ des Wolfgang Marken Verlags in Köln, der die besten Autoren versammelte, aber 1986 dem Wettbewerb nicht mehr gewachsen war. Zudem war die große Zeit der Heftromane endgültig vorbei.

Die Wildwest-Romanhefte basierten einerseits auf den amerikanischen Dime-Novels des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Aber auch auf Vorbildern, die auch nach heutigen Kriterien als gut erzählte Literatur gelten. Hier sind beispielsweise die Romane des Amerikaners James Fenimore Cooper (Lederstrumpf-Geschichten) zu nennen. Aber auch der deutsche Autor Friedrich Gerstäcker („Die Regulatoren in Arkansas“, „Die Flusspiraten des Mississippi“) und der Österreicher Charles Sealsfield, eigentlich Karl Anton Postl („Das blutige Blockhaus“, „Die Grabesschuld“), die Amerika besucht und als Thema entdeckt hatten. Nicht zu vergessen ist Karl May, der zwar die Länder, die er in seinen Abenteuerromanen beschrieb, persönlich nie gesehen hat, aber dennoch eindrucksvolle Heldenfiguren schuf.

Als wir Schüler etwas älter geworden waren, stiegen wir um auf die vermeintlich realistischeren Krimis. Hier rangierten FBI-Agent „Jerry Cotton“ oder der Privatdetektiv Joe Walker, genannt „Kommissar X“, in vorderster Reihe. Unsere Romanhelden prägten auch die Vorlieben für Autos. Jerry Cotton steuerte einen Jaguar XK 140 und konnte sich im Verlauf seiner Karriere auch den E-Type leisten. Joe Walker hingegen fuhr einen Mercedes 300 SL, bei dem man die Türen hochklappen musste, um ein- oder aussteigen zu können.

Ab 1961 gesellte sich ein Weltraumfahrer zu den Cowboys und Detektiven, der bis heute ähnlich erfolgreich ist wie der FBI-Agent aus New York, nämlich „Perry Rhodan“.
Sämtliche Roman- oder Groschenhefte, die von den frühen 50er bis in die 70er Jahre von breiten Schichten konsumiert wurden, galten als Schundliteratur. Einige Reihen sind sogar bis heute auf dem Zeitschriftenmarkt vertreten, vor allem Frauen-, Arzt- und Heimatromane sowie Krimi-, Geister/Gespenster- und – mit abnehmender Tendenz – Westernhefte. Solange eine Serie wie die bei Bastei-Lübbe erscheinende „Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ erfolgreich ist, dürfte Feminismus nur ein Schlagwort ohne Realitätsbezug bleiben. Möglicherweise wird „Dr. Stefan Frank“ für Sprachästheten die letzte Zuflucht sein, denn gegendert wird dort garantiert niemals.

Die Literaturwissenschaft ordnet die erwähnten und alle ähnlichen Hefte der Trivialliteratur zu. Der Begriff intendiert, dass es Texte gibt, die sich auf einem niedrigen ästhetischen Niveau bewegen. Das gibt Anlass, über das Typische der trivialen Literatur nachzudenken. In der Literaturwissenschaft gilt sie als Schemaliteratur. Ihre Merkmale sind schematischer Spannungsaufbau, melodramatische und sentimentale Handlungen, Schwarz-Weiß-Zeichnung bei Charakteren, Vermittlung eindeutiger moralischer Ansichten und Vortäuschung eines Weltbildes, das eindeutig der Rechtfertigung herrschender Zustände und nicht dem Wunsch nach Veränderung zugerechnet werden kann. Beispielsweise einer Zukunft, die durch soziale Gerechtigkeit geprägt wäre.

Diese Schemata drängen nach Konfektionierung und unterstützen inhaltlich ihre ständige Reproduzierbarkeit, was sich in der Erscheinungsweise als Fortsetzungsromane, Romanhefte oder Taschenbuchserien und Mainstream-Comics ausdrückt. Andererseits erfüllt diese Literatur kollektive Leserbedürfnisse, die durch ein starkes Verlangen nach identischen Grundmustern geprägt sind. Und die der Verdrängung des Alltags dienen soll.

Frauen stellten im 18. und 19. Jahrhundert den größten Teil des Lesepublikums der Vorläuferpublikationen, weil ihnen die Teilhabe an den Arbeitsprozessen verwehrt wurde und sie ihre freie Zeit ausfüllen wollten. Ihrer gesellschaftlichen Rolle entsprachen auch die Inhalte der ihnen zugedachten Literatur, die von Frauenschicksalen und Liebesromanzen bestimmt waren. Trotz der erheblichen Veränderungen in der Arbeitswelt dominieren solche Stoffe die noch erscheinenden Heftromane, aber auch solche Taschenbücher und Hardcover-Ausgaben, die als Frauenliteratur angepriesen werden.

Der Schemata-Literatur steht die literarisch ambitionierte Literatur gegenüber. Dieses Genre lässt Raum für veränderbare gesellschaftliche Normen, baut auf der Originalität des Geschilderten, vielfach auch auf dessen Einmaligkeit auf, schafft Querverbindungen zu den verschiedenen Handlungselementen der jeweiligen Erzählung und ist auf Innovation angelegt.

Legt man diesen Maßstab an jene Unterhaltungsliteratur an, die längst nicht mehr als Hefte oder billige Taschenbücher auf dem Markt ist und von so genannten Bestseller-Autoren verfasst wurde, kann man rasch den Eindruck gewinnen, dass der Unterschied zwischen den Autoren der Billy Jenkins-Hefte und (beispielsweise) dem Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein gar nicht so groß ist. Weder in der literarischen Form noch in der inhaltlichen Aussage. Eine ähnliche Konfektionsware sind die erfolgreichen Taunuskrimis von Nele Neuhaus oder die so genannten Frauenromane von Hera Lind.

Auf andere Akzente stößt man hingegen in den Thrillern von Andreas Eschbach (Eine Billion Dollar, Das Jesus-Video, Teufels Gold, Exponential Drift) und Dan Brown (Illuminati, Sakrileg, Origin). Sprachlich vermeiden sie das allzu Schlichte, auch wenn sie erkennbar Spannung aufbauen; inhaltlich greifen Sie Themen auf, die für die Menschheit von existenzieller Bedeutung sind. Nämlich die Humanisierung der technischen, insbesondere die der digitalen Entwicklung. Und die Verteilung der Güter in der jetzigen sowie in einer künftigen Gesellschaft.

Von gänzlich anderem schriftstellerischen Format sind die Romane von Umberto Eco (Der Name der Rose, Das Foucaultsche Pendel, Baudolino), die historische Themen aufgreifen. Dieser Autor vermag in vollendeter Weise zu fabulieren, versteht es aber auch, fachlich korrekte Informationen über historische Ereignisse und technische Konstruktionen in seine Erzählungen einzubauen. Dadurch kommt er Biografen gesellschaftlicher Epochen wie Balzac, Theodor Fontane, Thomas Mann oder Alfred Döblin sehr nahe.

Werfen wir bei dieser Gelegenheit auch noch einen Blick auf die Comics jenseits von Akim, Sigurd oder Silberpfeil.

So wurde die bereits ab 1929 erschienene Serie des belgischen Zeichners Hergé in Deutschland neu entdeckt. Statt „Tintin“ heißen die Alben im deutschen Sprachraum „Tim und Struppi“. Auch die 1959 von René Goscinny und Albert Uderzo geschaffene Reihe „Asterix“ setzte neue Maßstäbe bei den Comics. Zwischen 1963 und 1990 erschien die Serie „Leutnant Blueberry“. Jean-Michel Carlier hatte sie entwickelt, Jean Giraud setzte sie fort. Das Gesicht des Westernhelden Blueberry war dem des französischen Schauspielers Jean Paul Belmondo nachempfunden.

Ein Kind der unmittelbaren Nachkriegszeit ist „Lucky Luke“, jener Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten und von Morris und René Goscinny humorvoll und mit Bezügen zu historischen Ereignissen des Wilden Westens in Bild und Text gesetzt wurde. „Lucky Luke“ ist nach Asterix die erfolgreichste Comic-Alben-Serie.

Sowohl das attraktive Erscheinungsbild der Alben, die überwiegend in den Verlagen Ehapa und Carlsen erscheinen, als auch ihr kommerzieller Erfolg trugen mit dazu bei, dass sie allmählich nicht mehr der Schundliteratur zugerechnet wurden.

Die Literatur in der jungen Bundesrepublik war neben den Heftromanen zunächst bestimmt von Autoren, die als „stille Emigranten“ in Nazi-Deutschland überlebt hatten. Werner Bergengruen, Georg Britting, Hans Carossa oder Albrecht Goes sind ihre typischen Vertreter. Formal bewegen sich ihre jeweiligen Schreibstile auf literarischem Niveau, inhaltlich idealisieren sie gesellschaftliche Zustände, die nie existierten. Erst Autoren wie Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Günter Grass, Siegfried Lenz oder Wolfgang Koeppen konnten für eine tatsächliche Wende in der Literatur sorgen.

Dennoch gab es noch lange Störfeuer von rechts. Autoren, die im Dritten Reich Erfolge verzeichneten, versuchten, an diesen nach 1945 anzuknüpfen. Oder ihre Verlage setzten auf das kurze Gedächtnis des Publikums. Beispielsweise Karl Aloys Schenzinger. Er war nicht nur Autor des Nazi-Romans „Hitlerjunge Quex“, sondern hatte auch einen Roman über die Geschichte der Chemie („Anilin“) und der Technik („Metall“) verfasst, die in den 50er und 60er Jahre erneut hohe Verkaufsauflagen erzielten. Aus den Tiefen des Antisemitismus tauchte auch Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“ wieder auf. Jüngere, die zwischen 1933 und 1945 ihr schriftstellerisches Handwerk erlernt hatten, aber in dieser Zeit noch nicht reüssieren konnten, betätigten sich danach als erfolgreiche Verdränger der historischen Wahrheit. Einer von ihnen war Heinz G. Konsalik, der mit Titeln wie „Der Arzt von Stalingrad“ oder „Das Herz der 6. Armee“ bekannt wurde. Sie entsprachen formal und inhaltlich den berüchtigten „Landser“-Heften und bestätigen die Erkenntnis, dass Triviales, sogar völlig Geistloses, auch im Hochglanz-Umschlag daher kommen kann.

Foto:
Cover

Info:
„Kommissar X“-Heft
© Erich Pabel Verlag