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Kategorie: Bücher

huldaRagnar Jónasson setzt die HULDA-Serie aus Island fort, im Verlag btb


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aha, jetzt setzt Ragnar Jónasson die Hulda-Serie fort, die er ja mit einer Trilogie begann und wohl ob des Erfolges nun weiterschreibt. Ja und nein! Er schreibt zwar weiter, aber setzt die Serie nicht fort, sondern zurück! Das, was man in Filmen Prequel nennt, ist das Gütezeichen dieser Hulda-Serie. Denn schon in der Trilogie geht es rückwärts. Die letzten Fälle, die eine vom Leben gezeichnete Hulda löst, sie löst sie alle!, spielen 1988. HULDA nun spielt im Jahr 1980 und beginnt im Epilog sogar Weihnachten 1960!

Das ist ganz eigenartig, wenn man die Hulda von 1988, die vom dritten Band, die innerhalb ihrer Familie unsägliches Leid ertragen mußte, nun als jüngere, 33 Jahre zählende Ehefrau mit einer gerade in die Schule gekommenen Tochter wiederfindet. Sie liebt ihre sechsjährige Tochter Dimma abgöttisch, mit ihrem Mann Jón hat sie derzeit einige Probleme. Er arbeitet ständig, ist zu Hause dann mit den Gedanken woanders, sehr zurückhaltend ihr gegenüber, sie empfindet, dass sich beide auseinanderentwickeln, gar nichts mehr miteinander zu tun haben. Sonst hätte sie nicht solche Schmetterlinge im Bauch, als sie bei ihrem Fall 1980 auf Ìsak trifft, das ist weit, sehr weit von Reykjavíc entfernt, im Nordwesten Islands. Aber sagen wir es gleich, am Schluß, als sie nach Hause fährt, ist innerlich für sie mit ihrem Gatten alles wieder in Ordnung, denn er hat einfach das Haus am Meer gekauft, das sie als gemeinsames Heim ersehnte und gegen das er sich bisher vehement aussprach.

Und nun zum Fall, wobei aber konstatiert werden muß, dass der Autor Kriminalkommissarin Hulda Hermannsdóttir bei all ihrem totalen beruflichen Einsatz sehr viel persönliche Befindlichkeit beimischt. Hulda versteht sich gut mit ihrem Vorgesetzten Sölvi, der sie fördert - man muß sich wirklich öfter vorstellen: wir sind im Jahr 1980 und Frauen waren weder bei der Polizei noch der Kriminalpolizei usus – und der unbedingt will, dass sie den Fall übernimmt, der urplötzlich auftaucht und dem im Epilog das Geschehen zu Weihnachten 1960 vorgeschaltet ist. Damals verschwand ein Baby, da war Hulda gerade mal 13 Jahre! Trotz intensiver Suche dort im Norden, fern der Hauptstadt, konnte das Verschwinden: die Entführung oder der Tod des Kleinkindes nicht geklärt werden. Und jetzt – wie aus dem Nichts – taucht in einer Berghütte der damals mitverschwundene Teddybär auf! Das ist wirklich höchst alarmierend.

Wir kennen bisher Hulda als knallharte Ermittlerin, die sich nicht schont und persönliche Belange immer zurücksteckt, wenn es um die dienstliche Aufklärung eines Falls dreht. Ach was, was heißt zurücksteckt, sie tut so, als ob sie nur aus Kommissareigenschaften besteht. Aber hier begegnen wir einen jungen Mutter und Ehefrau, die noch viel Hoffnung für ihre kleine Familie hat und die gleichzeitig als junge Kommissarin berechtigte Erwartungen hat, dass sie Karriere machen wird. Wir wissen aus den vorherigen Bänden, dass sich beides: das Private und das Berufliche nicht so entwickelt. Aber in der Logik des Geschehens ist es absolut folgerichtig, dass sich Hulda hier – 1980 - sehr viele private Gedanken erlaubt, die auch immer wieder ihre Aufmerksamkeit vom Fall abziehen. Zu den privaten Gedanken gehören eben nicht nur Ehemann und Tochter, sondern auch der Karriereschritt, den sie vorhat und den ihr Vorgesetzter avisiert. Doch dass Sölvi ihr auf die Reise in den Norden, nach Blönduós die Neue, die 25jährige Àlfrún mit auf den Weg gibt, begeistert sie ganz und gar nicht und schon wird sie mißtrauisch, ob nicht diese von Sölvi ihr vorgezogen wird, denn auffällig kümmert er sich um deren Belange. Warum erfahren wir ganz am Schluß und auch, daß die Affäre, die beide miteinander hatten, dienstliche Folgen hat. Doch noch sind wir am Anfang und Sölvi und die wenigen Akten schildern den damaligen Háagerði-Fall: Hausherr und Vater Atli war zu Weihnachten 1960 kurz noch mal Weihnachtsäpfel holen gefahren, weil die zu Weihnachten einfach dazugehören und als er zurückkommt, er hatte die Tür extra entriegelt und keinen Schlüssel mitgenommen, seine Frau hatte oben ein Bad genommen, ist die Tür verriegelt und seine Rufe hört niemand. Das dauert, bis seine Frau mit ihrem Bad fertig ist und ihn hört, die Türe öffnet und beide sofort nach dem Jungen im Obergeschoß schauen. Doch der ist mitsamt seinem Teddy verschwunden. Und bleibt verschwunden. Darob stirbt die Mutter Emma an Drogen und Atli, der weggezogen ist, hat sich nie wieder von seinen Verlusten erholt und reagiert unwirsch, als Hulda ihn aufsucht und sich über sein schönes Zuhause wundert, denn er arbeitet nicht mehr.

Nein, er will nicht schon wieder in die Schwärze seines Lebens eintauchen. Er hat keine Hoffnung. Hulda muß es alleine versuchen und sich auf den Weg zu den Leuten machen, die damals rund um Atlis Haus wohnten. Eine einsame Gegend. Aber immerhin passiert schon mal eines. Sie setzt sich mit Àlfrún auseinander und lernt sie als patente Kollegin kennen, die ihr eine Hilfe ist. Am Schluß.

Gleich am Anfang können wir auf einer Islandkarte sehen, wie weit nördlich Blönduós liegt, wo weiter unten die Häuser von Ìsak, Kári und Cerise, Vala und Óskar, Eilifur und auch das Anglerhaus stehen, in dem der Teddy gefunden wurde, die alle durch eine Ringstraße verbunden sind. „Lauter Originale“, denkt man beim Lesen, denn die Personen und vor allem als Paare entstehen beim Lesen wirklich vor den eigenen Augen. Das muß man selber lesen, man kann sie unmöglich – außer dem Namen - in ihrer Schrulligkeit, Abwehr oder Liebenswürdigkeit kurz vorführen. Auf jeden Fall ist was los in dieser abgelegenen Gegend und der Fall wird immer verwickelter, denn entweder ist keiner betroffen oder alle, so dicht ist das Netz der nachbarschaftlichen Beziehungen und mehr!

Dann entdeckt Hulda eher durch Zufall, dass ganz nahe, in der Gegend am Meer die Eltern der verstorbenen Emma ein prächtiges Haus haben, eigentlich ein Ferienhaus, in dem sie aber wohl ständiger wohnen, und das bringt Hulda auf ganz neue Gedanken. Doch der Lösung kommt sie erst auf die Spur, als sie Atli erneut aufsucht und unerwartet Gäste aus Blönduós erscheinen. Mit einem Schlag, für den Leser völlig unerwartet, aber genauso stringent, wird klar, was Weihnachten 1960 passiert ist.

Dieser Band HULDA macht aus der Trilogie eine Quadrologie! Was mit FROST ist, ob dieser Krimi dazugehört oder nicht, mögen andere entscheiden. Was bleibt jetzt noch an Fortsetzungen, die alle, wie gesagt, vom Ende nach vorne erzählt werden? Warum Hulda Polizistin geworden ist, ihr erster Fall oder so etwas? Warten wir es ab. Aber, wer einmal mit der menscheneinsamen Hulda aus dem ersten Band, die ihr Leben den Aufklärungen von Fällen widmet, Freundschaft schloß, der liest auch weitere Bände.

 

Info:

Ragnar Jónasson, Hulda, Thriller, btb-Verlag, Ende Mai 2025

ISBN 978-3-442-76308-5

 

Bisherige Besprechunge4n von Ragnar Jónasson in WELTEXPRESSO

Hulda-Serie

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