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Kategorie: Bücher
last callDer Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2025: Die Philippinen vom 15. bis 19. Oktober, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Frankfurter Buchmesse hat jedes Jahr so viel zu bieten, dass man das ganze Jahr damit zubringen könnte, die Neuheiten zu studieren, zu lesen und hätte doch nur einen kleinen Teil dessen bewältigt, was sich auf den Ständen breit macht. Seit es die sinnvolle Einrichtung eines Gastlandes gibt, kommt die Literatur dieses Landes als eigener Schwerpunkt hinzu. Sind es Länder wie Frankreich oder Italien, kennen wir uns aus, freuen uns auf neue Autorinnen, neue Bücher, die wir aufgrund unserer eigenen Kenntnisse dieser fremdsprachigen Literatur einordnen können, als Neuheiten, die wir im Kontext des Bekannten lesen. Aber die Philippinen? Fehlanzeige.

Doch dann fiel mir Jose Dalisay ein. Ein Krimi und da war ich bei meinem Thema und auch meiner Frage an die für den Auftritt der Philippinen Verantwortlichen. Immer wieder thematisieren wir in WELTEXPRESSO, dass in unseren Romanen, die durch den Deutschen Buchpreis breiter diskutiert und bekannt werden, fast immer individuelle Probleme das alleinige Thema bleiben, Partnerprobleme, Vater-Tochter, Mutter-Tochter, Aufsteigergeschichte, Emigrantenschicksal, Migrantenkinder...Was dabei zu kurz kommt, sind die gesellschaftlichen Hintergründe und Einbindungen, wie sie seit dem 19. Jahrhundert und den klassischen Romanen, z.B. dem 20bändigen Rougon-Macquart-Zyklus von Zola, Fontane, Feuchtwanger, Hesse, Thomas und Heinrich Mann, Böll, Walser, Grass etc. Standard sind.

Die Funktion gesellschaftlicher Analyse hat schon seit langem der Kriminalroman übernommen. In ihm werden, auch bedingt durch die Verbrechen, gesellschaftliche Strukturen offengelegt, die dann auch bei der Aufklärung eine Rolle spielen. Doch die Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert des Kriminalromans auf den Philippinen fiel sehr vage aus, so dass wir uns selbst auf den Weg machen werden. Aber immerhin kennen wir ja Jose Dalisay!

Autorenportraet DalisayAnvil PublishingDalisay, Jose Yap; *1954; Philippinen
Last call Manila 2023
O: Soledad's Sister 2008
Originalsprache Englisch.


Warum auf Englisch, dachte ich, man möchte doch lieber philippinische Originale haben. Da wußte ich noch nichts von der Sprachenvielfalt auf den Philippinen und nur wenig über die Welt- Verkaufsmöglichkeiten von englischsprachiger Literatur. Dann hat mich LAST CALL MANILA umgehauen, so schräg, so hinterfotzig, so filmreif ist dieser Roman von Jose Dalisay, über den sein deutscher Verlag Transit informiert „Jose Dalisay, 1954 geboren, ist einer der ­bekanntesten und meist ausgezeichneten Schriftsteller der Philippinen. Er schreibt ­Gedichte, Kurzgeschichten, Romane und auch politische Bücher. Er ist Professor für englische Literatur an der Universität der Philippinen, war als Gastdozent längere Zeit in den USA, in ­England und Italien. Seine Romane sind ins ­Italienische und Französische übersetzt. Er lebt in Manila.“
Der Roman ist eine Wucht und auch nach den zwei Jahren bleibt er total im Gedächtnis. Damals schrieb ich: „Schon der Beginn läßt weitere Skurrilitäten erwarten. Auf dem Manila International Airport trifft ein Zinksarg aus Saudi Arabien ein mit einer Toten, ertrunken steht auf dem Totenschein der Toten namens Aurora V. Cabahug. Zum einen gibt es ein Gesetz, das sicherstellt, daß philippinische Staatsangehörige, die im Ausland gestorben sind, umsonst nach Hause geflogen werden. Zum anderen ist niemand da, der sie abholt, der den Sarg weitertransportiert, eine Beerdigung vorbereitet. 

Erst einmal. In Saudi Arabien, wo Hunderte, ja Tausende junger weiblicher Dienstboten und aus Rußland geholter Prostituierten wegen der Ausbeutung ihrer Dienste und ihrer Person ihren Herrschaften entlaufen, wurde die Ertrunkene schnell als die aus den Philippinen stammende 26jährige identifiziert. Doch in Manila geht alles durcheinander. Die ankommenden Leichen werden immer mal wieder verwechselt, die Behörden kommen nicht nach. So war es schon in Saudi-Arabien gewesen, wo man einen Enthaupteten mit der Ertrunkenen verwechselt hatte.

Doch jetzt setzt Dalisay allem die Krone auf. Er macht das ganz langsam, mit vielen Wendungen und lokalem Kolorit, doch Walter, der Polizist aus Paez, der das Telegramm aus Manila erhält, man solle nach Angehörigen der toten Aurora suchen, weiß sofort, daß da ein Irrtum vorliegt, denn er hatte ‚Rorry‘ erst gestern Abend im Flame Tree singen gehört. Er ist schon lange in sie verschossen. Sie kann einfach nicht gleichzeitig die Leiche in Manila sein.

Stimmt, es ist ihre Schwester, die unter ihrem Namen im Ausland malocht und das Geld für die Familie nach Hause schickt. Doch jetzt geht der Schlamassel in Paez eigentlich erst los. Mit Walter sind wir jetzt unterwegs nach Klärung, kommen nach Hongkong und wieder zurück nach Jeddah und dem Abdul Aziz International Airport.

Über diesen Krimiautor hatte Tobias Gohlis, der Juryvorsitzende der monatlich erscheinenden KrimiBestenListe 2023 mitgeteilt:  „Meines Erachtens ist LAST CALL MANILA von Jose Dalisay der erste Kriminalroman eines Philippinischen Autors oder einer Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde Jose Dalisay, geboren1954, ist ein auf den Philippinen und darüber hinaus weithin anerkannter Autor, Theatermann und Herausgeber (unter anderem einer zehnbändigen Geschichte der Philippinen). LAST CALL MANILA ist 2008 erschienen und war bereits im Jahr zuvor für die asiatische Variante des Man Booker Prize nominiert. 
 
LAST CALL MANILA zeigt einmal mehr, welche Schätze in den Literaturen abroad schlummern und gehoben werden können. Weshalb die Übersetzung verdienstvoll gefördert wurde von Litprom e.V., einer der wichtigsten Brücken des deutschen Literaturbetriebs in die Kulturen des globalen Südens.

Abgesehen von diesen eher lebenspraktischen Einsichten vermittelt LAST CALL MANILA den europäischen Leserinnen einen verstörenden Einblick in die Zwänge der OFW (Overseas Filipino Workers). Paradigmatisch steht für ihr Schicksal die Soledad des Originaltitels: in Hongkong vergewaltigt, als Mutter eines unehelichen Kindes diskriminiert und in Saudi-Arabien ermordet. Soledad bedeutet Einsamkeit, und das Ausmaß der darin enthaltenen Entfremdung wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass Soledad nicht einmal unter ihrem richtigen Namen als Leichnam in die Heimat zurückkehrt, die sie verlassen musste, um ihr Kind und ihre Schwester zu ernähren. Dalisay verpackt diese kruden Fakten in einem Kriminalroman, der vieles nicht erklärt oder auflöst, sondern als opake, schreckliche Realität eines Lebenskampfes schildert.“

Inzwischen gibt es längt einen weiteren Roman „Killing Time in a Warm Place“, über den der Klappentext sagt: „Aus dem Englischen von Niko Fröba. Der Roman ‚Killing Time in a Warm Place‘ erzählt von einer Kindheit und Jugend in der Marcos-Zeit, von Menschen und Familien, die auf dem Land oder in Städten wohnen, immer auf dem Sprung nach einer besseren Arbeit, einem besseren Leben für sich und ihre Kinder. Die meisten arrangieren sich mit der Diktatur, mit der allgegenwärtigen Polizeigewalt und der Korruption; sie folgen dem Marcos-Regime auch noch dann, als das Kriegsrecht ausgerufen wird. Es gibt aber auch politischen Widerstand, ausgehend von Studentinnen und Studenten, die sich teils der maoistischen Bewegung anschließen, teils eigene riskante Wege gehen, um die Diktatur zu bekämpfen. Dalisay beschreibt diese Situation aus den Augen junger Menschen, die auf der Suche nach Idealen sind, ihre Karriere opfern, von Militär und Geheimpolizei beobachtet, verhaftet und auch gefoltert werden, dann lange Jahre in Lagern verbringen müssen, bis das Regime unter Massenprotesten endlich zusammenbricht.“

Begibt man sich auf Spurensuche nach weiteren Kriminalromanen, wird man – wie oft wenn es um die Länder geht, deren Literatur bei uns kaum eine Rolle spielt – im Unionsverlag aus Zürich fündig. Dort erschien schon im Jahr 2000 MANILA BAY von William Marshall, den der Klappentext so vorstellt: „Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Battling Mendez, der einbeinige Kampfhahn, ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Philippinen, ein Fernsehstar, der für eine Biermarke wirbt und die Bänder bei Supermarkteröffnungen durchtrennt. Mit von der Partie sind: ein anscheinend Irrer, der mit Stinkbomben reiche Touristen attackiert; ein gesitteter Kopfjäger mit Plastikbeilchen, der japanische Touristen erschreckt; eine Piratenbande, die durch die Boatpeople im chinesischen Meer reich wurde und inzwischen beste Verbindungen in höchste Kreise hat. Kein Wunder, dass die Nerven des feingeistigen Lieutenant Elizalde von der Police of Manila blank liegen.“

Erst mal dies zum philippinischen Kriminalroman. Hoffentlich demnächst mehr. Was uns auch beschäftigt, ist die Funktion des Films auf den Philippinen und deren Verbindung zur Literatur. Anders als die Literatur ist nämlich der philippinische Film durch Lav Diaz äußerst präsent! Da kann man an die achtstündige Vorführung von „Wiegenlied für ein trauriges Geheimnis“ auf der Berlinale erinnern und hinzufügen, dass sein Film „Evolution of a Filippino Family“ sogar über elf Stunden läuft. Mal sehen, was das Buch über den philippinischen Film aus dem Schüren Verlag dazu sagt.

Foto:
Buchumschläge
Jose Dalisay
©Anvil Publishing
 
Info:
Weitere Informationen zum Thema und alle Veranstaltungsdetails finden Sie auf der offiziellen Website philippinesfrankfurt2025.com.