Drucken
Kategorie: Bücher
weltexpressoZur Krimibestenliste des Jahres 2025, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das muß man schon erklären, daß Lavie Tidhar mit seinem Epochenroman ADAMA die Krimistenliste des Jahres 2025 anführt, nachdem er im letzten Jahr mit MAROR ebenfalls auf Platz 1  stand. Beide Romane hängen miteinander zusammen, wobei aber ADAMA der zeitlich frühere ist. Man fragt sich nach diesem Roman, der von 1945 in Landsberg bis 2009 in Miami zeitlich verläuft, wieso in historischen Romanen nicht generell Frauen die handelnden Figuren darstellen, denn Frauen habe in allen Zeiten, besonders in Kriegszeiten sehr viel eher die Chance zu überleben, während Männer als Soldaten einer nach dem anderen fallen, wie auch hier. Oder sie werden auf andere Weise umgebracht, während die Frauen alt werden können. Sterben müssen sie dann auch, aber sie lassen ihre Kinder zurück. Wiederum meist Töchter. 

Im Ernst, Tidhar erzählt die Geschichte Israels anhand von Einzelschicksalen, überwiegend und prägend durch Frauen, wobei Ruth durchaus herausgehoben ist, die als ungarische Jüdin zusammen mit ihrer Schwester Shoshanna, genannt Shosh die Nazis überlebt, die ihre gesamte Familie ermordet hatten. Doch die Schwestern sind getrennt und Shosh im Lager Landsberg in Bayern, die gerne nach Amerika gehen will, hört, daß ihre Schwester Ruth sich nach Israel retten konnte. Dort treffen sie aufeinander, aber ihre Schicksale sind unterschiedlich. Ruth ist diejenige aus der Gründergeneration der Kibbuzim, die ihr Leben für den Aufbau jüdischen Lebens in Israel widmet. Sie wird früh Witwe und erscheint als harte Person, weil sie die Idee des gemeinsamen Lebens im Kibbuz noch verteidigt, als die meisten die extreme Durchführung schon kritisieren. Wenn man die Kibbuzim in den Siebziger und Achtziger Jahren bewundern gelernt hat, machen einen die Darstellungen von Tidhar sehr nachdenklich. Denn daß die Kinder nicht mit ihren Eltern aufwuchsen, sondern dem Kibbuz gehörten und  gemeinsam in Kinderhäusern im Kibbuz aufwuchsen und schliefen und ihre Eltern nur besuchten, hatten wir nicht mitbekommen - oder es wurde später geändert. Auf jeden Fall lernt man über die gewalttätige Aneignung von heutigem israelischen Land und dessen Verteidigung eine Menge und leicht  überkommen einen Schrecken und Hoffnungslosigkeit, wenn man von der damaligen Gewalt liest, insbesondere gegen Palastinänser und die heutige Situation im Westjordanland, von Gaza ganz zu schweigen, wiedererkennt.

Die verschiedenen Einzelschicksale, die in den einzelnen Kapiteln - zeitlich durcheinander, aber teils dieselben Personen - geschildert sind, ergeben zusammen die Geschichte des Staates Israel, wobei sowohl Deutschland einen Hintergrund bildet, insbesondere aber die USA als Sehnsuchtsort gelten, das einige erreichen. Es sind die Frauen, die dorthin ziehen, einmal Ruths Schwester Shosh, aber auch Esther, die mit Lior und Danny eine verschworene Gemeinschaft bildete. Esther stirbt 2009 in Miami, wobei ihre Tochter Hanna keine Ahnung vom voramerikanischen Leben ihrer Mutter hat und mit den Dingen in der Holzschachtel, die ihr die Anwältin als Erbe überreicht, nichts anfangen kann. Wie fast alle Juden, die Schreckliches überlebten, hat auch Esther nichts davon erzählt. Wie sollen da die Dinge in Hanna ein Gefühl, einen Reflex, ein inneres Wissen auslösen. Der Roman ist eindringlich, verströrend ist er auch und man wartet, ob sich Lavie Tidhar an die Gegenwart wagt. 

Aber auch die anderen aus den monatlichen Krimilisten des Jahres 2025 erwählten Kriminalromane haben es in sich. ASA von Zoran Drvenkar ist nach so vielen Jahren des Schweigens des Autors eine Wucht und bleibt im übrigen der einzige deutschsprachige Roman unter den ausgewählten 10 Kriminalromanen, von denen man - und dies durchaus kritisch - anmerken muß, daß acht Romane der Ausgewählten auf Englisch geschrieben, bzw. veröffentlicht sind. Auch der Israeli Tidhar veröffentlicht auf Englisch. Das macht sehr nachdenklich. Hatten wir diesmal keine japanischen, südostasiatischen richtig guten Krimis, keine aus Afrika, Australien? Falsche Frage, denn auch die kommen meist auf Englisch daher. 



DIE JAHRESKRIMIBESTENLISTE 

Bildschirmfoto 2025 12 20 um 00.57.47



Foto:
Umschlagabbildung