Dan Brown und »The Secrets of Secrets«Roland Keller
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn Dan Brown seinen Symbolforscher Robert Langdon samt dessen Freundin Katherine Solomon nach Prag schickt, dann können wir einiges erleben. Einen besseren Reiseführer durch die Gassen und die Vergangenheit der Moldau-Metropole als den allwissenden Langdon gibt es wohl nicht. Eigentlich ist er diesmal nur der Anhang seiner Geliebten Katherine. Die Neotik-Forscherin hält an der Moldau einen Vortrag über ihre jüngsten Erkenntnisse des menschlichen Bewusstseins – Erkenntnisse, mit denen sie und damit auch Langdon ins Fadenkreuz der CIA geraten.
Denn die CIA will verhindern, dass ihr neues Buch auf den Markt kommt, und versucht, alle Manuskripte zu zerstören. Das erinnert ein wenig an James Gradys Spionagethriller „Sechs Tage des Condors“ aus dem Jahr 1974, der mit Robert Redford verfilmt wurde. Dort kann die CIA zwar keine Veröffentlichung unterbinden, lässt jedoch ihre Bücher-Analysten in New York ermorden, weil sie in einem Buch einen Abschnitt entdeckt haben, der eine geplante Geheimdienstaktion vorwegnimmt.
Tatsächlich ist Dan Browns „The Secrets of Secrets“ vieles: ein spannend gebauter Verschwörungsthriller, der einen immer wieder atemlos die Seiten umblättern lässt, ein hervorragender Prag-Führer, ein intelligenter Diskurs zwischen den beiden Wissenschaftlern über die Frage, was eigentlich Bewusstsein ist – wobei nicht immer ganz klar ist, ob in Kathrins Neotik nicht eine kräftige Portion Esoterik steckt. Geschenkt.
Gerade dieser Diskurs zwischen den beiden, der immer wieder die Action bremst, oft aber auch für zusätzliche Spannung sorgt, ist das eigentlich Interessante an dem neuen Dan Brown: Er regt an zu fragen, was eigentlich das menschliche Bewusstsein ausmacht, wo es tatsächlich sitzt, wie es entsteht – und vor allem, wie es sich manipulieren lässt.
Die treibende Frage, die sich die Beiden stellen, ist freilich: Warum interessiert sich der US-Geheimdienst so brennend für ein noch nicht veröffentlichtes Manuskript über die Erkenntnisse der Bewusstseinsforschung?
Die Antwort ist tief unter einem Park in Prag versteckt, vor deren Entdeckung eine gefährliche Schnitzeljagd, etliche Morde und noch mehr Cliffhanger stehen. Gerade als sich alle Übel zusammenbrauen, ist Katherine verschwunden – auf dem Weg zu einer Gehirnforscherin, die Langdon tot in ihrem Labor entdeckt. Getötet von einem wiederauferstandenen Golem, dem sie als Versuchskaninchen einen Chip ins Gehirn gepflanzt hat. Die frankensteinähnliche Kreatur bringt hier quasi ihren Schöpfer um – und will das riesige, geheime Forschungszentrum zerstören. Geschaffen von einem ausgelagerten Unternehmen der CIA, geleitet von einem mabusehaften Chef, den die CIA-Oberen nicht mehr im Griff haben.
Schließlich entdecken Langdon und Solomon in diesem Geheimlabor verblüfft und entsetzt Anwendungen, die sie schon in ihrer Doktorarbeit beschrieben hat. Freilich für vollkommen andere, inhumane Ziele. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, sich zu empören, denn der Golem hat längst den Countdown zur Zerstörung des riesigen Komplexes eingeleitet. – Mehr sollte man hier nicht verraten. Außer, dass sie zum Ende hin glücklich und lebendig an der Freiheitsstatue vorbeischippern, in der Brown das Denkmal als Grundfeste der Demokratie und Freiheit beschwört. Vielleicht hofft er, dass sein Buch auch später in Zeiten gelesen wird, in denen sich die USA von der aktuellen Politik erholt haben.
Zumindest gibt es bei der CIA und in der Prager Botschaft noch ein paar aufrechte, echte amerikanische Patrioten, die mit einigen üblen Praktiken aufräumen – freilich nicht, ohne das Bewusstseins-Projekt einstellen zu wollen. Zu wichtig, zumal auch die Russen und Chinesen forschen, wie sich durch Eingriffe in das Gehirn das Bewusstsein manipulieren und steuern lässt.
Bei all dem wird man gut unterhalten und auch nicht durch zu saftige Sexmomente gestört, die sich Langdon und Solomon nach dem Stress gönnen und damit zeigen, dass sie echte Menschen sind. Zu den interessantesten Figuren gehört der wiederauferstandene Golem, der mordend durch die Handlung geistert und dem Brown ein sehr verblüffendes Geheimnis beschert hat.
Immer wieder bremst Brown den Thrill mit Diskursen über Fragen des Bewusstseins, die das Buch über den reinen Thriller herausheben und es recht anregend machen, sich die Frage zu stellen, was Bewusstsein ist, wie es zustande kommt, wie es uns bestimmt, aber auch, wie es fremdbestimmt werden kann. Im Vordergrund stehen dabei zwar diese frankensteinähnlichen Experimente der CIA, doch zugleich stellt Brown auch die Frage, wie Internet, Digitalisierung, Social Media und KI unser Bewusstsein beeinflussen. Das erschüttert den geflügelten Spruch von Marx, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Der mag in seiner Zeit gegolten haben. Heute muss die Frage erlaubt sein, ob das noch stimmt.
Denn was für ein Bewusstsein haben Menschen, die Politiker wählen, die ihre Interessen mit Füßen treten? Aus ihrem Sein heraus müssten sie eigentlich völlig andere Entscheidungen treffen. Ist da massenhaftes Brainwashing im Spiel? Zu viele sind anscheinend nicht in der Lage, ihren Kopf vor manipulativen Einflüssen zu schützen und ihr tatsächliches Sein zu erkennen. Stellenweise liest sich das Buch wie eine Warnung, dass es noch schlimmer kommen wird. Gehirnimplantate braucht es dazu gar nicht – die Wirkung der sozialen Medien, die Instrumentalisierung von Ängsten und Vorurteilen auf das Bewusstsein ist längst zu spüren. Wobei das Wort „unser“ zu hinterfragen ist: Ist es wirklich unser eigenes Bewusstsein?
Freilich lässt Brown das Thema Bewusstsein und Tod zum Schluss nicht aus. Was passiert denn dann mit unserem Bewusstsein? Das seien die Secrets of Secrets, meinter. Und seine eher esoterische Erklärung ist, dass wir erst im Moment des Todes die volle Bewusstheit erlangen. Klar, dass die CIA im Buch längst an Lösungen arbeitet, wie der Proband, aus dem man das Bewusstsein saugen, visualisieren und ändern will, nicht sterben muss. Wie human. Naja, man braucht ihn ja für die nächsten Einsätze.
PS: Natürlich darf in solch einem Buch der alte Bewusstseins-Papst, der LSD-Forscher Timothy Leary, nicht fehlen – und dessen Beziehungen zur CIA, die Dan Brown zu entdecken glaubt. So schließen sich die Kreise: vom guten alten LSD zu Chips und KI als Mittel der Erweiterung und Steuerung unseres Bewusstseins.
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Info:
Dan Brown: The Secrets of Secrets (so lautet auch der Originaltitel, 2025). Deutsch von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher. Verlag Lübbe, Köln 2025. 800 Seiten, Gewicht 926 Gramm, 32 Euro. – Website von Dan Brown hier.