Alf Mayer hat Fragen an Andreas Pflüger zu »Kälter«Alf Mayer
Bad Soden (Weltexpresso) - Andreas Pflüger ist der amtierende Großmeister einer aussterbenden Literaturgattung – des Thrillers. Das gilt, selten genug für einen deutschen Autor, auch international. Solch getrimmte, wie Diamant geschliffene Thriller schreibt heutzutage (fast) niemand mehr. Längst nicht mehr in jedem Buch, das heute diese Bezeichnung auf dem Cover trägt, ist drin, was hier eigentlich dazu gehört: eine politische Dimension, die Essenz eines Ortes, einer Situation (und sei es die Mikrosekunde einer Entscheidung) oder Interaktion, und das alles kombiniert mit rasender Spannung und einem die Intelligenz der Leser nicht unterfordernden Plot.
Dazu ein den Feinmechanik-Fertigkeiten eines Uhrmachers vergleichbares Präzisionshandwerk und – im Fall von Andreas Pflüger – hochverdichtete, wie Klavierdraht getrimmte Sprache. Poetisch. Lyrisch. Handfest. Alles in einem. »Kälter« ist der siebte Roman von Andreas Pflüger. Davor war er Drehbuchautor. Seine Thriller wären zu teuer, sie in Deutschland zu verfilmen …
Gemeinhin gilt als höchstes Kompliment in dieser Literaturkategorie, jemanden mit John Le Carré zu vergleichen, der aber schrieb eher Befindlichkeitsromane als Hochgeschwindigkeits-Ballistik. Für mich ist Andreas Pflüger der beste lebende Thrillerautor der Welt und damit der legitime Nachfahr von Adam Hall a.k.a. Elleston Trevor (1920 – 1995), hier 2017 von mir porträtiert: Sinnesabenteuer – der Trillerautor Adam Hall.
Alf Mayer: Kälter ist dein siebter Roman. Hast du die Entscheidung, dich aus dem Drehbuchgeschäft zu verabschieden und nur noch Prosa zu schreiben, je bereut?
Andreas Pflüger: Mein Debüt Operation Rubikon, an dem ich fünf Jahre gearbeitet hatte, war 2001 druckfertig; der Roman kam aber erst 2004 heraus, weil der Ursprungsverlag kurz vor dem Druck in Insolvenz ging. Die großen Hoffnungen, die ich damals darauf gesetzt hatte, lösten sich in Luft auf, weil der neue Verlag, Langen-Müller, nicht das Geringste für das Buch tat und es in den Regalen versauerte. Das nahm mir jede Motivation, wieder Prosa zu schreiben. Ich war sehr gefragt als Drehbuchautor, hatte tolle Projekte in den Folgejahren, Der neunte Tag etwa, oder auch den Tatort Weimar. Dennoch hat mir immer etwas gefehlt, und heute bin ich natürlich froh, 2015, im zarten Alter von achtundfünfzig, mit Jenny Aaron einen neuen Anlauf genommen zu haben. Mich aus dem Drehbuchgeschäft zu verabschieden, war vermutlich die beste Entscheidung meines Lebens – abgesehen von dem Heiratsantrag an meine Frau. Die Freiheit des Erzählens, die ich seitdem spüre – und ja, auch meine finanzielle Unabhängigkeit – machen mir jeden Tag bewusst, wie privilegiert ich bin, so arbeiten und leben zu dürfen.
Kälter fängt – von der wunderbaren Sprache abgesehen – ja scheinbar wie einer dieser Inselkrimis an. Wie ein Regio-Krimi, nur besser. Wie bist du auf Amrum gekommen?
Ich habe für den Prolog den einsamsten Ort Deutschlands gesucht. Eigentlich wäre Spiekeroog noch gottverlassener gewesen, doch dort tut nur ein Polizist Dienst, und es gibt keinen Autoverkehr. Meine Stammleser werden gleich merken, dass es ein ungewöhnlicher Beginn für einen Roman von mir ist. Ruhig, fast elegisch, weltentrückt. Auch für mich war es neu, in einen Thriller nicht direkt mit einem Actiongewitter einzusteigen. Aber ich habe es genossen, meine Heldin behutsam zu entwickeln, denn dadurch wirkt die dann folgende Gewaltexplosion umso stärker. Amrum war nicht zuletzt wegen des dort stationierten Seenotrettungskreuzers ideal. Theoretisch hätte ich natürlich einfach behaupten können, es gäbe auf meiner Romaninsel eine solche Basis. Aber so etwas mache ich nur ungern. Auch wenn ich mich beim Schreiben nicht sklavisch an die Realität klammere: Glaubwürdig muss es immer bleiben.

Die RAF als Bedrohungspotential zieht sich als Thema durch das Buch, heute fast schon vergessene Materie. Was hat dich daran interessiert?
Es ist ein Teil meiner Lebensgeschichte. Ich bin Jahrgang 1957; die RAF ist aus meinen prägenden Jugendjahren nicht wegzudenken. Damals bin ich mit anderen auf die Straße gegangen und habe »Freiheit für die politischen Gefangenen« gefordert. Zwar war ich schon mit fünfzehn ausgewachsen, aber mein Gehirn brauchte etwas länger, um nachzuziehen. In meinem Umfeld gab es Unterstützer der RAF; einmal hat neben mir eine Pistole unter einem Kneipentisch den Besitzer gewechselt. Ein weiterer Aspekt, der für die RAF-Zeit sprach, war das Thema Personenschutz. Damit beschäftige ich mich seit Operation Rubikon, und ich wollte das in diesem Roman noch einmal vertiefen. Was bringt einen Menschen dazu, sich für einen anderen – einen womöglich Fremden – in eine Kugel zu werfen? Eine komplexe und hochspannende Frage.
Der Roman hat also viel mit dir zu tun …
Warum will ich ausgerechnet dieses Buch schreiben und kein anderes? Das steht immer am Anfang. Und am Ende erzähle ich in allen meinen Texten auf die eine oder andere Weise auch von mir. Bisweilen tue ich das versteckt, zum Beispiel in einer Antithese, doch immer wieder bin ich in einer Figur relativ gut sichtbar, jedenfalls für diejenigen, die mich privat kennen. Das ist auch in Kälter so.
Stop! Das will ich genauer wissen. Bitte ein Beispiel aus einem deiner Romane. Wo ist da eine Antithese von Pflüger?
(lacht) Es gefällt mir ganz gut, mich hinter meinen Figuren unsichtbar zu machen. Aber wenn es sein muss: Nika Trigorin, die zweite große Hauptperson von Kälter, glaubt an Schicksal, an Bestimmung. Er ist überzeugt, dass alles Schlimme, was ihm geschehen ist, eine Art Strafe für sein falsches Leben bis zum Mauerfall war. In gewisser Weise ist er Buddhist, ohne es zu wissen (und würde sich womöglich mit Jenny Aaron gut verstehen). Diese Weltsicht ist der meinen diametral entgegengesetzt, im Guten wie im Schlechten. Letztlich bezweifle ich auch, dass mein Erfolg als Autor irgendetwas mit Glück zu tun hatte. Ich wollte es einfach mit jeder Faser, von dem Moment an, als ich, noch jung, unangemeldet in das Büro einer Fernsehredakteurin marschiert bin und so lange auf sie eingeredet habe, bis sie mich, total ermattet, aufforderte ein Drehbuchexposé für sie zu schreiben. Für die wunderbare Literaturzeitschrift Am Erker habe ich letztes Jahr einen Text verfasst, in dem ich sagte: Man braucht eine Reihe von Talenten, um sich zu behaupten: schriftstellerische und dramaturgische Begabung, natürlich. Auch Disziplin, ein Gefühl für den Wert der eigenen Arbeit, und ja, Geschäftstüchtigkeit gehören dazu. Am wichtigsten ist jedoch das »Ich will«. Das habe ich wohl mit meinen Heldinnen gemein.
Du arbeitest ja, hast du mir mal verraten, an so etwas wie einer Geschichte der Sicherheitsdienste in Deutschland quer durch das letzte Jahrhundert in Romanform. Worauf hast du dieses Mal das Brennglas gerichtet?
Auf die Zeit des Mauerfalls, die ich aus der Sicht der verfeindeten Geheimdienste erzähle. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression, die sich immer stärker nicht nur gegen die Ukraine sondern gegen ganz Europa richtet, ist es verrückt, welche Hoffnungen man im Westen damals auf Gorbatschow und eine Partnerschaft mit dem Erzfeind in Moskau setzte. Man war regelrecht besoffen davon. Ähnlich wie schon in Wie Sterben geht wird man bei der Lektüre des Romans automatisch gezwungen, diese gescheiterte Utopie an der Realität von heute zu messen. Mit Gorbatschow habe ich mich intensiv beschäftigt, über Monate, das war so ernüchternd, dass ich mich diesbezüglich historisch neu sortiert habe. An einer Stelle heißt es in Kälter über ihn: Spätestens als er begann, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen, hätte der Westen aufhorchen müssen.
Und was mein Langzeitprojekt betrifft: Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich bis zum Ende durchziehe. Mir fehlen die Zwanziger, die Dreißiger, die Fünfziger, Sechziger und Siebziger. Und ich verspüre im Moment große Lust, mit dem nächsten Roman zeitlich direkt an Kälter anzuschließen. (lacht) In zwei Jahren wissen wir mehr.
Du recherchierst so etwas vermutlich nicht nur am Schreibtisch. Wo hast du dir dieses Mal Expertise geholt?
Wie schon bei den letzten beiden Romanen war Bodo Hechelhammer vom BND ein unersetzlicher Ratgeber – und ist mittlerweile ein Freund. Ohne meinen Sprengstoffexperten Professor Kurt Ziegler hätte ich die Riesenrad-Sequenz vermutlich nicht annähernd fachlich richtig erzählen können. Ich war bei der Polizei auf Amrum, wo mir auch der Heimatforscher Jens Quedens bei den friesischen Dialektsätzen, die im Buch vorkommen, zur Seite stand. In Wien hat eine gute Bekannte, Sigrid Neudecker, mir bei der Recherche geholfen. Sie las dann auch die Wien-Kapitel gegen und machte mich auf den ein oder anderen Fehler aufmerksam, ehe ich den Text ins Lektorat gab. Beim BKA gehe ich ja seit Langem quasi ein und aus, dort hat man sich auch dieses Mal viel Zeit für mich genommen. Holger Vitz, der Kommandoführer des Personenschutzkommandos des Bundeskanzlers hat mich mit einigen Details und Erfahrungsberichten überrascht, die ich im Roman spiegele. Näher darf ich darauf nicht eingehen, fürchte ich.

Und dann ist da auch viel Berlin, in einer ganz besonderen Zeit, nämlich wenn die Mauer fällt. Wie nah bleibst du dabei an der Wirklichkeit?
Man sollte meinen, dass die Beschreibung der Nacht des Mauerfalls für jemanden, der seit 1979 in Berlin lebt, ein Kinderspiel gewesen wäre. Doch dummerweise war ich von Juli 1989 bis Ende November 1989 nicht in der Stadt, sondern auf Zypern, um an einem Theaterstück zu arbeiten. Ich kenne diese magische Nacht also nur aus Erzählungen, Filmen, der Literatur. Etwa wie jemand, der aus Tahiti ist. Also musste ich das komplett imaginieren.
Und was den Realitätsgehalt betrifft: Da war ich bei der Recherche manisch. Vom Ablauf dieser Nacht habe ich ein Zeittableau erstellt, das die Situation an den Berliner Grenzübergängen exakt so abbildet, wie sie minutiös gewesen ist. Sogar den Wortlaut von Lautsprecherdurchsagen habe ich eins zu eins wiedergegeben. Im übrigen geht meine Heldin Luzy in der Nacht des 9. Novembers in den Osten während alle in den Westen drängen. Eine halbe Ewigkeit habe ich damit verbracht herauszufinden, wie die Leuchtschrift auf dem Haus der Statistik am Alexanderplatz damals lautete. Als ich es endlich hatte, war ich glücklich wie ein Kind. Ja, Recherche kann zur Ausschüttung von Endorphinen führen. Das Einzige, was ich wirklich erfunden habe, ist Luzys Begegnung mit einem Zigarre rauchenden traurigen Mann in einer Kneipe in Friedrichshain. Aber wir wollen ja nicht spoilern.

Ja, darüber muss ich immer noch schmunzeln. Sind die Zitate, die da an der Theke fallen, denn echt? Und wenn wir schon dabei sind: die Bibelzitate? Die Liedtexte oder Songtitel?
Echt sind nur die Bibelzitate, es wäre ein No-Go, so etwas zu erfinden. Mehr Bibel war noch in keinem meiner Romane. Vielleicht wollte ich als ehemaliger Theologie-Student auch einen Arbeitsnachweis erbringen. (lacht) Ich halte mich dabei an die Herder-Bibel in der Ausgabe von 1965, die mir sprachlich deutlich besser gefällt als etwa die Übersetzung von Luther. Bei dem lautet die zentrale Jesaja-Stelle, die sich durch meinen Roman zieht: Du aber bist hingeworfen ohne Grab wie ein verachteter Spross, bedeckt von Erschlagenen, die mit dem Schwert erstochen sind, wie eine zertretene Leiche. Aber Herder, viel schöner: Du aber bist hingeworfen ohne Grab, wie ekliger Abfall, bedeckt von Erschlagenen, vom Schwert Durchbohrten, wie zertretenes Aas.
Songtexte – und manchmal auch -titel – erfinde ich seit dem zweiten Jenny-Aaron-Roman, anfangs, weil mich die Rechteabteilung von Suhrkamp darauf aufmerksam machte, dass das sonst Geld kostet, später aus Spaß. Und was die Heiner-Müller-Stelle angeht: Natürlich habe ich mir das ausgedacht. Aber so, dass er es gesagt haben könnte.
Du beginnst jeden Roman mit einem Gedicht, das du auch als Allererstes schreibst. Was wurde darin für Kälter der Kammerton A, wie Kluge das nennen würde?
Der Verlust, den Luzy in Israel erlitt. Die Unmöglichkeit, ihren Frieden damit zu machen. Daraus erklärt sich ihr ganzes Handeln. Und wenn diese Frau einmal in Bewegung gesetzt wird, kann sie niemand stoppen.
Du malst auch immer ein Bild, oder? Was sehen wir in Kälter für ein Gemälde?
Die Recherche-Bibliothek für »Kälter« © AP Privat
Eins von Lucien Freud mit dem Titel Woman With A Broken Mirror. Es hat zwei Hälften. Auf der linken ist eine Frau dem Betrachter zugewandt, mit einer Haut wie Glas im ersten Sonnenlicht, einer stolzen Nase, diesem Tizianhaar, kunstvoll geflochten und doch ungezähmt. Sie betrachtet sich in einem Spiegel mit einer Fassung aus Pfauenfederaugen. Rechts wird die Rückenansicht der Frau gezeigt, sodass ihr Gesicht nur im jetzt zerbrochenen Spiegel zu sehen ist, Grimasse aus rohem Fleisch, wie mit Säure übergossen. Im Grunde zeigt die rechte Hälfte das Selbstbild von Luzy. Es ist Teil ihrer Heldinnenreise, das zu überwinden.
Wenn du dein Buch mal in Relation zur Recherche setzt: Wie viele Bücher hast zu für Kälter zu Rate gezogen?
Um ehrlich zu sein, habe ich sie bisher nie gezählt. Aber wenn es sein muss: 102. Ich kann sehr schnell lesen und merke mir alles, was relevant ist, das ist natürlich ein Glück für einen Autor, der so rechercheintensiv wie ich arbeitet. Außerdem erstelle ich für die Literatur ein Stichwort-Register, in dem ich die markierten Textstellen nach Themengebieten ordne, sodass ich zu jedem beliebigen Aspekt sofort die passenden Stellen finde. Das ist eine relativ stumpfsinnige Arbeit, die sich am Ende aber auszahlt. Ich fange erst zu schreiben an, wenn alles griffbereit und sofort abrufbar ist. Alles andere würde mich kirre machen.
Lucy Morgenroth ist eine eher ungewöhnliche Actionheldin: übergewichtig und eigentlich zu alt für eine solche Rolle. Oder?
Ungewöhnlich ist sie, in der Tat. Aber das macht am Ende alle meine Heldinnen aus. Zu alt? Nein. Das Fesselnde ist ja gerade, zuzusehen, mit welcher Mühe sie sich wieder in Form bringt, um dann mit der Leistungsfähigkeit auskommen zu müssen, die sie noch hat. Ihr Todfeind Babel sagt einmal zu ihr: Wenn man dich ansieht, könnte man meinen, du hättest die Zeit besiegt und wärst wieder diese Maschine von damals. Doch bloß fast. Zu wissen, dass du nie mehr so gut sein wirst, muss brutal für dich sein. Und sie denkt: Nein, das ist der leichte Teil. Im Grunde fragt sie sich nie, ob es noch reicht, um es mit Babel aufzunehmen. Sie weiß es einfach. So wie sie weiß, dass sie kälter ist als er, auch wenn er es nicht wahrhaben will. Dein Grab wird außer mir keiner kennen, prophezeit sie ihm. Babel bedeuten seine Toten nichts. Er hat sie nie gezählt, sie sind für ihn so belanglos wie Regentropfen auf seinem Schuh. Luzy hingegen schöpft Kraft aus den Menschen, die sie verloren hat. Weil sie ihr etwas bedeutet haben. Das verschafft ihr einen unschätzbaren Vorteil in diesem Duell, auch wenn Babel jünger, fitter und skrupelloser ist.
Du giltst als jemand, der sich gern neuen Herausforderungen stellt. Was war das dieses Mal actiontechnisch?
Zum einen natürlich der Showdown auf Amrum am Ende des Prologs. Zu diesem Zeitpunkt hat Luzy fünfzehn Kilo zu viel auf den Rippen und raucht wie ein Schlot. Sie kriegt es mit fünf Männern zu tun, die zum Töten ausgebildet sind und ihre Söhne sein könnten. Ich musste in jeder Phase der Sequenz deutlich machen, was es sie rein physisch kostet, es mit diesen Killern aufzunehmen. Fünf große Actionkapitel gibt es in Kälter, jedes zehn Seiten lang. Ich mag diese Strenge beim Schreiben, sie hilft mir, alles Überflüssige wegzuschneiden. Viele Leser sprechen mich auf den Schabbat-Fahrstuhl an, aber am meisten gefordert hat mich das Kapitel, das im Nachtzug spielt. Ich hatte mir vorgenommen, die Action hier als Screwball zu erzählen. Das hört sich vielleicht nicht sonderlich spektakulär an, zumal jemand, der wie ich als Gagschreiber fürs Fernsehen begann, einiges dafür mitbringen sollte. Aber es ist ein schmaler Grat, Action lustig wirken zu lassen, ohne dass es affig oder unglaubwürdig wird. Ich wollte komisch UND bretthart sein. Am Ende ist es womöglich das Kapitel geworden, auf das ich stolzesten bin. Gerade, weil es so leicht wirkt. Das ist immer das Schwerste.
Moment. Fünf Actionszenen, und alle gleich lang? Wie eine Boxrunde? Und du bist dein eigener Punktrichter? Du taktest Dein Buch auf eine solche Art?
Ich liebe das. Fünfhundert Seiten. Fünf Actionkapitel. Je zehn Seiten. (lacht) Tatsächlich war ich versucht, ein sechstes Actionkapitel zu schreiben, aber das hat meine neurotische Zwangsstörung nicht zugelassen.
Du bist Perfektionist?
Wie lange haben wir für das Interview?
Zwei Stunden.
Dann sehe ich mich außerstande, darauf zu antworten.
Du machst ja noch andere verrückte Sachen. Längst bist du dein eigener Setzer geworden. Und es gibt keine einzige Worttrennung im ganzen Buch. Wie macht man das, passgenau auf Zeile zu schreiben, was tut das mit dem Text?
(Diese Frage habe ich Andreas Pflüger schon beim Vorgängerroman Wie Sterben geht gestellt. Aber weil es so spannend ist und manche das vorherige Interview nicht kennen mögen, zitiere ich hier seine Antwort von vor zwei Jahren:)
Ich setze den Text schon beim Schreiben, obwohl mir bewusst ist, dass ich ihn noch endlos oft korrigieren und ändern werde. Einen Text ohne Trennungen zu setzen, bedeutet, sich auf jede einzelne Zeile voll zu konzentrieren, immer die beste sprachliche Lösung finden zu müssen. So durchdringe ich den Text immer tiefer und mache ihn besser. Das ist ein dialektischer Vorgang.
Die Titelschrift ist übrigens eine ST-Agitaciya, eine sowjetische Propagandaschrift, die von der Covergestalterin ausgesucht worden war. Grundsätzlich übernehme ich die Cover-Typografie gerne für die Kapitelüberschriften und die Pagina. Brotschrift ist die Guyot Press. Meine Leidenschaft für Buchgestaltung kann ich nur mit Typomanen teilen, Erik Spiekermann etwa. Aber auch Alexandra Stender und Kristina Fuchs von der Suhrkamp-Herstellung verstehen und bestärken mich. Mit denen kann ich endlos fachsimpeln, das mache ich fast so gern wie schreiben.
Und was es mit den Lesern macht? Das sind subkutane Vorgänge, den meisten wird nicht einmal auffallen, dass es keine Worttrennungen gibt. Aber sie spüren, wie der Text fließt. So funktioniert Typografie.
Luzy ist ja nicht die große Leserin, literaturhistorisch nicht so beschlagen wie Nina in »Wie Sterben geht«. Aber sie ist eine Filmliebhaberin; nicht gerade eine Antithese von Dir oder?
(lacht) Das fragst du einen gelernten Drehbuchautor? Tja, Luzy hat mich damit überrascht. Meine vorherigen Heldinnen waren alle literaturaffin, und ich habe tatsächlich kurz innegehalten, als Luzy sich dem verschlossen hat. Nun ja, es ist, wie es ist. Meine Figuren wollen manchmal in eine andere Richtung als ich. Aber natürlich hat es einem Filmfreak wie mir ein Heidenvergnügen bereitet, mich quer durch die Kinogeschichte zu pflügen. Sorry, Wortspiel. Besonderen Spaß hat es gemacht, mir alle alten Filme anzuschauen, in denen es einen Kampf auf dem Dach eines Zuges gibt. Aus Gründen.
Und auch Gene Hackman …
Luzys Lieblingsschauspieler. Weil sein Lächeln mich umhaut, sagt sie. Und der Rest von ihm auch. Da sind wir wieder ganz bei mir. Es ist für einen Autor gewiss von Vorteil, die ein oder andere Gemeinsamkeit mit seinen Romanheldinnen zu haben. Aber es gibt auch Grenzen. Jenny Aaron steht zum Beispiel einen auf einen irrsinnig bitteren Tee aus dem Himalaya, in den man Yak-Schmalz tut. Man muss als Autor nicht jeden Flitz seiner Figuren mitmachen.
Israel spielt eine besondere Rolle in Kälter. Hier zeigt der Roman ganz viel Herzblut – warum?
Dieses Land ist mir wichtig. Sehr wichtig. Wenn ich mir anschaue, wie schlaff unsere deutsche Politik auf den grassierenden Antisemitismus im Kulturbetrieb reagiert, wird mir schlecht. Der BDS fordert Kauft nicht bei Juden, und Galionsfiguren dieser Bewegung kriegen auf roten Teppichen ein Forum für ihre Hetze. An die als »Demonstrationen« daherkommenden Zusammenrottungen von Judenhassern, die Israels Auslöschung fordern, hat man sich hier ja schon gewöhnt. Das scheint im Berliner Regierungsviertel oder den Landesregierungen keinen groß zu stören. Netanjahu und sein rechtsextremes Kabinett sehe ich äußerst kritisch; das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza kann niemanden kalt lassen. Dennoch möge man Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Nicht Israel hat diesen Krieg begonnen, sondern die Hamas.
Du bist für das Buch in Israel gewesen?
Als ich das Land im Frühjahr 2023 mit meiner Frau bereist habe, hatten wir wundervolle Begegnungen. Die Herzlichkeit vieler Israelis uns Deutschen gegenüber hat mich oft beschämt, müssen doch, so bitter es ist, Synagogen und jüdische Einrichtungen bei uns von der Polizei geschützt werden. Und das im Land der Täter. Netanjahu wird irgendwann Geschichte sein, aber mein Herz gehört Israel und seinen Menschen. Und ich bin dankbar, das in diesem Roman zeigen zu können.
Wir begegnen in Kälter auch wieder Personen aus früheren Büchern von dir. Du entwickelst Spaß, deine Romane miteinander zu verknüpfen? Hat das Programm?
Es begann damit, dass ich Richard Wolf, die Hauptfigur von Operation Rubikon, in meiner Jenny-Aaron-Trilogie auftreten ließ. Damals geschah das mehr oder weniger aus praktischen Erwägungen. Ich brauchte einen BKA-Präsidenten und war vermutlich zu faul, mir einen neuen auszudenken. (lacht) Dann habe ich den Reiz darin entdeckt, die Biografien von Romanfiguren rückwärts weiterzuerzählen. Mein Lektor Thomas Halupczok nennt das den »Pflüger-Kosmos«. Vermutlich gibt es Leser, die bei jedem neuen Roman von mir schon darauf warten, liebgewordene Personen wiederzufinden. Aber daran denke ich beim Schreiben nicht. Ich tue das für mich, vielleicht, weil ich mich im Innersten dagegen wehre, diese Figuren, die für mich ja wie lebende Menschen, wie Mitglieder meiner Familie sind, wirklich loszulassen.
Und noch ein Wort zu meinem Lektor: Er hat jeden meiner Romane besser gemacht, auch diesen, indem er nach dem Prolog fast beiläufig sagte: »Schade, dass Amrum vorbei ist.« Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Darum zieht Amrum sich jetzt durch das Buch, obwohl ich das anfangs nicht geplant hatte. In Luzys Leben steht es für Freundschaft. Und Freundschaft ist das größte Thema überhaupt.
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