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Kategorie: Film & Fernsehen
f rodin2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. August 2017, Teil 9

Filmheft

Paris (Weltexpresso) – Die große Freude des Filmemachens liegt auch darin, nach dem siebzehnten Take die Wahrhaftigkeit einer Szene als etwas vollkommen Neues und Unbekanntes zu entdecken – einfach dadurch, dass sie so glaubhaft geworden ist, dass ich vergesse, dass ich die Szene selbst geschrieben habe und wir bereits die vergangenen zwei oder drei Stunden an ihr gearbeitet haben. Deshalb habe ich wirklich großes Verständnis für Rodins Werk und für ihn, der allein sieben Jahre brauchte, um seinen Balzac zu vollenden.
Diese Unzufriedenheit mit sich selbst und die Vorstellung, dass man mit Arbeit und Nachdenken am Ende zu etwas findet, das einen zufriedenstellt. Ebenso verstehe ich, warum Rodin nach all den Jahren der Arbeit an seinem Balzac Lust auf etwas hatte, das schnell geht, quasi Polaroids, hätte es sie damals schon gegeben – nämlich seine Zeichnungen. Wenn er zeichnete, gab es kein Innehalten und keine Künstelei. Es ist der pure Ausdruck. Seine Zeichnungen sind so furchtlos, so frei und wundervoll, dass wir sie heute ebenso beeindruckend finden wie seine Skulpturen.Vincent war ganz scharf darauf, mit Ton zu arbeiten, er hat das sehr ernst genommen. Und er besuchte diverse Bildhauerkurse. Aber wie genau Rodin gearbeitet hat? Das weiß niemand. Es gibt viele historische Texte über ihn, aber nichts Verbindliches von den Menschen, die ihm nahe genug standen, dass sie seine Arbeitsweise hätten beschreiben können. Es gibt einen kleinen Film über ihn von Sacha Guitry, der ihn dabei zeigt, wie er mit einem Meißel einen Stein bearbeitet. Er ist lustig, sogar Rodin selbst lächelt.


AUGUSTE RODIN ist ein Film über den Schaffensprozess, der eine grundsätzliche Frage aufwirft: Wann ist ein Werk vollendet? Wann ist es fertig? Die Balzac-Statue, an der Rodin sieben Jahre lang gearbeitet hat, ist hierfür das eindrücklichste Beispiel.

Ja, insbesondere, weil er bei der Zusammensetzung auch noch so erfinderisch war. Er konnte zwei anscheinend vollendete Werke miteinander verbinden und so ein ganz neues erschaffen. Bisweilen hat er nur einen Arm oder eine Hand verändert, wie ein Mechaniker. Das war eine ganz neue Idee. Wenn man den fertigen Balzac betrachtet – im Film lasse ich Rodin „Ich habe ihn!“ sagen – versteht und sieht man einige der Etappen, über die er bis zu diesem Gefühl der Vollendung gelangt ist.


Die Beziehung zwischen Rodin und Camille Claudel wird anders dargestellt, als man sie vielleicht zuvor wahrgenommen hat.

Bis jetzt nahm man häufig an, dass Camilles Probleme aus ihrer Trennung von Rodin resultierten, nachdem dieser sich geweigert hatte, sie zu heiraten. Tatsächlich ist es aber offensichtlich, dass ihre Paranoia bereits viel früher ausbrach, ausgelöst durch die schreckliche Beziehung zu ihrer Mutter.

Man weiß um Camilles Zielstrebigkeit und ihre wilde Entschlossenheit, eine Bildhauerin zu werden. Ihre Familie war nach Paris gezogen, damit sie ihre Kunst ausleben konnte. Als sie eine Kunstfertigkeit erreicht hatte, die wahre Anerkennung verdient hatte, konnte sie es verständlicherweise nicht länger ertragen, im Schatten ihres Mentors zu stehen und nur als seine Schülerin oder Geliebte wahrgenommen zu werden.

Viele Details über die Gründe ihrer Trennung bleiben im Unklaren, aber der Mangel an Anerkennung ist wahrscheinlich einer der wichtigsten. Gleichzeitig lässt sich an der generellen Vorstellung, dass Rodin ihr Talent verschleuderte, um sie zu zerstören, nicht ernsthaft festhalten, wenn man sich wirklich für die beiden interessiert.

Auch nach Camilles Entschluss, sich von ihm zu trennen, tat Rodin eine Menge für sie. Zum Beispiel schlug er vor, dass einer der Räume im zukünftigen Rodin-Museum Camille Claudel gewidmet werden sollte. Sich hier auf die eine oder andere Seite zu schlagen, erscheint mir unfair. Man spricht oft von einer katastrophalen Beziehung, aber sie haben einander für ein Jahrzehnt geliebt, und ihre gegenseitige Bewunderung und ihre Gemeinsamkeit innerhalb der Arbeit erlaubte es ihnen, ihre jeweiligen Ziele besser zu verfolgen.


Vincent Lindon ist ein sehr körperlicher Schauspieler. War Ihnen diese Form der Bodenständigkeit besonders wichtig?

Wenn man Rodins Skulpturen betrachtet, hat man das Gefühl, viele von ihnen seien fest in der Erde verwurzelt. Anders ausgedrückt: Es gibt Kunstwerke, die sehr im Boden verankert sind und solche, die das Verlangen haben, zu fliegen. Seine Iris, die Götterbotin fliegt! Sein Nijinsky strebt danach. Aber die Bürger von Calais oder Balzac können nicht entwurzelt werden. Vincent Lindon gehört zu der letzteren Kategorie. In der Szene, in der eine junge Frau Rodin von Camilles Abreise nach England berichtet, stand Vincent gegen das Licht, breitbeinig wie ein Stier auf dem Weg in die Arena. Lustigerweise stieß ich später auf eine Zeichnung von Bourdelle, die Rodin in genau dieser Haltung zeigt. Vincent ist zu Rodin geworden. Ich verstehe, warum er diese Rolle nicht ablehnen konnte, denn Rodin ist Vincent. Unverkennbar.


Warum habe Sie Izïa Higelin für die Rolle der Camille Claudel ausgewählt?

Ich wollte, dass Camille Jugend und Freude ausstrahlt, sie sollte nicht von Beginn an düster wirken. Ich hatte Izïa in keinem ihrer Filme spielen gesehen, aber das war nicht so wichtig. Ich erkannte in ihr die überschwänglichen Gene ihres Vaters wieder, mit dem ich zwanzig Jahre zuvor gearbeitet hatte. Sie besitzt eine wundervolle Intensität und fröhliche Lebhaftigkeit, die perfekt mit Camilles Charakter korrespondiert – diese sprudelnde Kreativität, die Rodin verführt, und ihre Begeisterung, die schnell sehr stürmisch werden kann. Für mich war sie von Anfang an die einzige Wahl.


Séverine Caneele, die wir zum ersten Mal in HUMANITÄT von Bruno Dumont gesehen haben, verfügt ebenfalls über eine gewisse Erdverbundenheit. Wie ist die Wahl auf sie als Rodins Lebensgefährtin Rose gefallen?

Für die Rolle der Rose wollte ich jemanden mit Bezug zur Arbeiterklasse. Keine Schauspielerin, die es gewohnt ist, Texte zu lesen. Das war entscheidend, um diese Näherin mit Lese- und Schreibschwäche spielen zu können. Ich erinnerte mich an diese große, stämmige Frau. Sie hat mir leider erst mal einen Korb gegeben, später willigte sie dann doch ein, so lange die Szenen keusch bleiben würden. Séverine ist perfekt als Rose.


Haben Sie an Originalschauplätzen gedreht?

Wir drehten in Meudon, in Rodins Villa, in seinem Schlafzimmer und in seinem Esszimmer. Die große spanische Jesusfigur, die in seinem Schlafzimmer steht, hat wirklich ihm gehört. Darüber hinaus konnten wir nicht durchgehend mit den Modellen oder Originalskulpturen arbeiten, sie sind zu empfindlich. Also ließen wir von sehr talentierten Bildhauern Reproduktionen anfertigen. In Meudon wurde die Balzac-Skulptur aus dem Ausstellungsraum in Rodins Atelier verfrachtet.

Für die Außenaufnahmen wurde ein Duplikat hergestellt, das nun in meinem Garten steht. Manchmal setze ich mich daneben und spreche mit ihm! Ich soll übrigens ausrichten, dass ihm die Luft in der Normandie sehr behagt und er nicht müde wird, die vorbeifahrenden Züge zu betrachten.

Foto: © Verleih

Info: Abdruck aus dem Presseheft von AUGUSTE RODIN

Besetzung

Auguste Rodin       Vincent Lindon
Camille Claudel      Izïa Higelin
Rose Beuret           Séverine Caneele
Victor Hugo            Bernard Verley
Rainer Maria Rilke  Anders Danielsen Lie
Claude Monet        Olivier Cadiot
Paul Cézanne         Arthur Nauzyciel
Octave Mirbeau      Laurent Poitrenaux
Juliette Drouet        Guylène Péan
Sophie Postolska   Magdalena Malina
Jessie Lipscomb    Léa Jackson