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Kategorie: Film & Fernsehen
f beautiful boy carell chalametSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Januar 2019, Teil 3

Felix van Groeningen

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als ich die Erinnerungen von David Sheff, dem Vater, und seinem Sohn Nic 2014 zum ersten Mal las, war ich zutiefst bewegt. David und Nic schrieben von ihren persönlichen Erfahrungen, vom Durchleben all der Rückfälle und der Genesungen, aber auch von Momenten der Freude, der Unschuld und der Liebe zum Leben. Anfangs denken sie noch, dass sie den richtigen Weg gefunden haben, mit Nics Sucht umzugehen, sie gar ‚lösen‘ zu können.

Das haben sie aber nicht und müssen schließlich auf dem Weg dorthin viel lernen. Im Laufe der Zeit gibt es immer wieder Momente des Kontrollverlusts, und sie stellen fest, dass sich die Sucht und ihre Folgeerscheinungen auf alle Lebensbereiche auswirken.

Ich hatte schon in Vergangenheit darüber nachgedacht, einen englischsprachigen Film zu machen, aber nichts hat mich persönlich je so angesprochen wie die Geschichte der Sheffs. Familiendynamiken, die Illusion von Kontrolle, der Lauf der Zeit – das sind die Themen, die mich in meinen bisherigen Filmen angezogen haben. Ich hatte mich auch schon in früheren Filmen mit Drogenmissbrauch beschäftigt, aber eine solch emotionale Offenherzigkeit wie in der Geschichte der Sheffs und die Art und Weise, wie sie ihre Geschichte erzählten, haben mich sofort für sie eingenommen. Ihre Familie glaubte immer an die bedingungslose Liebe, und doch musste sie sich damit abfinden, dass es nicht auf alles im Leben einfache Antworten gibt, und dass der Umgang mit Sucht ziemlich unberechenbar sein kann. Ich war zunächst etwas entmutigt von der Vorstellung, diese vielen Jahre und die gesamte Bandbreite ihrer Geschichte abdecken zu müssen, aber gleichzeitig fühlte sich das auch notwendig an. Und ich spürte geradezu eine Verpflichtung, mit meinen Partnern von Plan B viele Jahre meines Lebens darauf zu verwenden, diese Geschichte zu erzählen. Ich hätte nie gedacht, dass es eine so aufregende Reise werden würde.

Die Sheffs haben mich in ihr Leben eingeladen und waren während dieser ganzen Erfahrung unglaublich offen mit mir. Sie waren trotz allem, was sie durchgemacht hatten, immer absolut ehrlich, teilten ihre tiefsten Ängste und verbargen auch ihre Schamgefühle nie. Zu sehen, wie sie leben und wie nah sie einander sind, ist wirklich erstaunlich. Obwohl das alles weit davon entfernt ist, wie ich selbst aufgewachsen bin, fühlte sich mir vieles von dem, wie David und Nic ihr Leben beschrieben haben, sehr vertraut an. Ich bin zwar in einer ganz anderen Familie groß geworden, aber die Liebe zwischen den beiden ist dennoch etwas, mit dem ich mich gut identifizieren kann. Der feste Kern dieser außerordentlichen Familie, die immer wieder auf die Probe gestellt wird, und die Idee, immer füreinander da zu sein, haben mich unwahrscheinlich beeindruckt.

Ich mache Filme, weil sie mich dazu zwingen, meine eigenen Erfahrungen zu verarbeiten und mich unangenehmen Situationen zu stellen. Indem ich gewissermaßen kopfüber in ein ganz bestimmtes Gefühl wie den Umgang mit meiner Vergangenheit oder den Umgang mit Verlusten eintauche, lerne ich durch meine Filme etwas über diese Gefühle. Ich lerne, mich dem Leben zu stellen, und indem ich mich ihm stelle, schätze ich es umso mehr. Ich habe meinen Vater schon mit 26 Jahren verloren, aber in mancher Hinsicht lebt er durch meine Filme noch immer weiter in mir. Das ist auch der Grund, warum ich mich so zu Vater-Sohn-Geschichten hingezogen fühle. Mit meinen Filmen will ich das Leben feiern. Und ich möchte zu verstehen versuchen, was jede meiner Figuren durchmacht, und hoffe, dass die Empathie, die ich dabei spüre, sich auch auf die Zuschauer überträgt.

Durch die Bücher von David und Nic habe ich gemerkt, dass meine Familie und ich gewisse Vorurteile gegenüber Drogensüchtigen hatten. Wir kannten kaum Möglichkeiten, wie man damit umgehen soll oder wie man helfen kann. Ihre Geschichte aber inspirierte uns zu diesem Film, von dem wir nun hoffen, dass er erstens vielen Menschen, die mit Sucht zu kämpfen haben, eine Stimme geben, und zweitens auf einfache und ehrliche Weise die Komplexität
dieser Krankheit zeigen wird.

Als wir mit dem Film fertig waren und ich nach Belgien zurückkehrte, wurde ich durch die Geburt meines Sohnes zum ersten Mal Vater. Es ist unglaublich, diese Freude zu spüren, die man darüber empfindet, jemanden so sehr zu lieben wie das eigene Kind. Ich hoffe, dass dieser Film den Menschen dabei helfen wird, verschiedene Standpunkte sehen und begreifen zu können, und dabei die Herzen der Menschen so zu öffnen, wie es die Geschichte der Sheffs bei mir getan hat.

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
David Sheff       Steve Carell
Nic Sheff           Timothée Chalamet
Karen Barbour   Maura Tierney
Lauren                Kaitlyn Dever
Dr. Barbour         Timothy Hutton
Spencer              Andre Royo
Vicky Sheff          Amy Ryan
Nic Sheff (12 Jahre alt)    Jack Dylan Grazer
Nic Sheff (8 Jahre alt)      Zachary Rifkin
Nic Sheff (5 Jahre alt)       Kue Lawrence

Abdruck aus dem Presseheft