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Kategorie: Film & Fernsehen
mrs.harrissSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2022, Teil 3

Redaktion

London/Paris(Weltexpresso) - „Kleider sind die Welt für mich“, schrieb Christian Dior in seinen Memoiren.

Der ikonische Modemacher, der im Oktober 1957 im Alter von 52 Jahren an einem Herzinfarkt starb, während er sich auf einer Urlaubsreise in Italien befand, hatte im letzten Jahrzehnt seines Lebens Haute Couture neu definiert. Schon in seiner ersten Kollektion vom 12. Februar 1947 in der Avenue de Montaigne 30 befand sich die legendäre Bar-Jacke, die sein Markenzeichen werden sollte. Vogue feierte dieses Kleidungsstück als „architektonisches Wunder“. Die Jacke wurde aus vier Metern elfenbeinfarbener Seide gemacht und passte perfekt zu einem plissierten schwarzen Corolle-Rock.

Der Effekt war dramatisch, und die berühmtesten Frauen der Welt eilten in das Atelier, um sich mit dem einzukleiden, was als „New Look“ gefeiert wurde, mit langen, glockenförmigen Röcken und körperbetonter Taille. Man sagt, Dior kleidete jeden, der jemand war: Prinzessin Margaret, Eva Perón, Ava Gardner, Marlene Dietrich, Rita Hayworth. Die Liste ist endlos.

Um die Kostüme für MRS. HARRIS UND EIN KLEID VON DIOR zu erschaffen, stand für die Filmemacher fest, dass sie eine der führenden Kostümbildnerinnen der Filmindustrie gewinnen mussten. Also wandten sie sich an die dreifache Oscar®-Gewinnerin Jenny Beavan (Cruella, Mad Max: Fury Road, Zimmer mit Aussicht). Beavan hatte davor schon einmal Kostüme für Lesley Manville entworfen, bei der im 19. Jahrhundert spielenden Miniserie Cranford. Zudem hatte Beavan schon bei sechs Projekten mit Szenenbildnerin Luciana Arrighi zusammengearbeitet.

„Mir war immer bewusst, dass dies der Traum einer Kostümbildnerin sein musste, also konnte ich hoch zielen bei der Auswahl der richtigen Künstlerin für diesen Job“, sagt Fabian. „Jenny Beavan ist eine der größten Kostümbildnerinnen, die es in England jemals gegeben hat. Ihre Detailverliebtheit ist ehrfurchtgebietend. Sie ist ganz instinktiv, wie sie die Teile zusammenfügt, und sie geht auf sehr ungewöhnliche Weise an Farben heran.“

Das Timing war ideal. Beavan hatte gerade ihre Arbeit an Disneys sehr kostümbetontem Film Cruella beendet, der ebenfalls in der Welt der Mode spielt und für den sie ihren dritten Oscar® gewinnen konnte. „Für mich war Emma Thompsons Figur in Cruella, die Baroness, eindeutig von Dior beeinflusst, und das war auf eine ulkige Weise meine Brücke zu MRS. HARRIS UND EIN KLEID VON DIOR“, erinnert sich Jenny Beavan. „Ich hatte schon angefangen, mich intensiv mit Dior zu befassen, las viel über ihn, sein Leben und sein außergewöhnliches Verhältnis zu seinen Modellen. Es gibt tonnenweise Aufnahmen von seinen Shows auf YouTube, wunderbares Filmmaterial mit Dior-Models, die darüber reden, wie es war, damals mit ihm zu arbeiten. Ich saugte all das in mich auf.“

Beavan genoss außerdem den Vorteil, direkten Zugang zu Vertretern von Dior und den historischen Archiven des Hauses zu haben, die unter anderem Diors Originalskizzen und Arbeitsmappen enthalten sowie Muster seiner Entwürfe. „Es war faszinierend“, schwärmt Beavan. „Sie holten all diese wunderbaren Informationen hervor und freuten sich: ,Jenny, das wirst du lieben, das wird dich interessieren, das hat er so und so gemacht.‘“

Die Kostümbildnerin wurde zum wichtigen Bindeglied zwischen Dior und der Produktion. „Jenny ist es zu verdanken, dass wir das alles hinbekommen haben“, sagt Produzent Guillaume Benski. „Sie stellte sicher, dass die Kleider mit großer Sorgfalt und authentisch gefertigt wurden und den Originalen so ähnlich waren wie eben möglich.“ Und sein Kollege Xavier Marchand fügt hinzu: „Sie hat Wunder vollbracht. Zusammen mit dem Schmuck, den Hüten und den Schuhen, die uns von Dior zur Verfügung gestellt wurden, war es uns möglich, den Look des Hauses Dior exakt zu replizieren.“

Natürlich muss man anmerken, dass Mrs. Harris selbst noch nie von Christian Dior gehört hat, als wir sie im Film zum ersten Mal sehen. Sie gehört der englischen Arbeiterklasse an und hat dementsprechend nur eine überschaubare Garderobe, die eher praktischen Zwecken dient, ein paar wenige Kleider mit verblassten Blumenmustern, aber doch immer ordentlich und korrekt, weil Ada einen gewissen Stolz hat. Manville arbeitete bei der Entwicklung der frühen Looks von Mrs. Harris neben Beavan auch eng mit der Maskenbildnerin Csilla Horvath zusammen und ließ sich dabei von Fotos ihrer eigenen Mutter aus den 1950er-Jahren inspirieren.

„Meine Mutter war eine Hausfrau, aber sie hatte auch eine glamouröse Seite“, erinnert sich Manville. „Sie trug ihre Haare kurz und ließ sie sich jede Woche beim Friseur shampoonieren und neu legen. Das hielt dann eine Woche lang. Mit Lockenwicklern und Haarnadeln sorgte sie dafür, dass sie immer ansehnlich war. Ich wusste also, was Frauen in dieser Zeit machten. Sie müssen wissen, dass Ada sehr sorgfältig ist, was ihr Aussehen anbetrifft. Sie mag kein Geld für neue Kleider haben, aber sie gibt sich immer Mühe, präsentabel auszusehen. Sie ist sehr gepflegt und adrett.“

Weil Mrs. Harris keine Zeit damit verbringt, sich um die neueste Mode zu kümmern, ist es umso bemerkenswerter, dass sie ein so leidenschaftliches Bedürfnis entwickelt, ein Abendkleid von Dior zu besitzen. Das originale Dior-Stück zu filmen, das ihre Obsession auslöst, erwies sich als interessantes Dilemma, weil das Kleid niemals von einer der Figuren des Films getragen wird. „Ein Kleidungsstück wird normalerweise zum Leben erweckt, wenn es jemand anzieht und seine Körpersprache und Form mitbringt“, sagt Jenny Beavan. „Dieses Kleid musste aber ein Eigenleben haben. Mrs. Harris, die offensichtlich eine Vorliebe für
Blumendrucke hat, muss eine unmittelbare Reaktion darauf zeigen. Es ist völlig anders als alles andere, was sie jemals davor gesehen hat.“

Adas bodenständiger Stil wird besonders offensichtlich, als sie beim Haus Dior ankommt mit einer Handvoll Bargeld, um das gewünschte Kleid zu kaufen und mitzunehmen. Unter all den schicken und modebewussten Angestellten und Kundinnen des Couturiers, allen voran die immer perfekt gekleidete Madame Colbert, wirkt Mrs. Harris wie ein Wesen von einem anderen Stern. „Die Dior-Frauen tragen alle schwarz“, lacht Beavan. „Sie sind alle sehr, sehr streng, und sie sehen alle umwerfend aus.“

Dior lieh der Produktion fünf Modelle seiner Originalkollektion, den Rest der Kleider, die man im Film sieht, musste Beavan mit ihrem Team selbst schneidern. Um dieses ambitionierte Ziel umzusetzen, holte sich Beavan zwei Londoner Kleidermacher dazu: John Bright, mit dem sie seit ihren Tagen bei den klassischen Kostümfilmen von Merchant Ivory Productions immer wieder zusammengearbeitet hatte, und Jane Law, die ihr gerade erst bei Cruella unterstützend zur Seite gestanden hat. „John ist einer der versiertesten Männer, was Kostüme aus vergangenen Zeiten anbetrifft, und Jane ist eine meiner allerliebsten Kostümmacherinnen – sie waren eine wunderbare Hilfe, als es darum ging, den Rest der Kostüme zum Leben zu erwecken“, sagt Jenny Beavan.

Foto:
©Verleih

Info:
MRS. HARRIS UND EIN KLEID VON DIOR (Mrs. Harris Goes to Paris)
von Anthony Fabian, GB/CDN/F/USA/HUN/B 2022; 115 Min.
mit Lesley Manville, Isabelle Huppert, Lambert Wilson, Alba Baptista, Lucas Bravo, Philippe Bertin
Filmmärchen
Abdruck aus dem Presseheft