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Kategorie: Film & Fernsehen

islSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Mai 2025, Teil 6

Christel Schmidt

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon das erste Bild führt auf eine falsche Fährte: Ein Mann liegt halbnackt im Sand. In einem deutschen Ferienkrimi hätten wir die erste Leiche. Aber hier haben wir es mehr mit einer Alkoholleiche zu tun. Es scheint nicht das erste Mal zu sein, dass dieser Mann, Tom, beim Aufwachen nicht weiß, wo er eigentlich ist. Aber er weiß sofort, wo er sein müsste. Auf dem Tennisplatz eines Mittelklasse Hotels. Tom ist Tennislehrer. Früher soll er ein Riesentalent, eine richtig große Nummer gewesen sein, erzählt man sich. Heute erzählt sein Gesicht die Geschichte von durchgemachten Nächten, von Schmerz und Absturz, von zu viel Verzweiflung und zu wenig Perspektive.

Dieser Mann, das ist in den ersten Minuten klar, ist ins sonnige Paradies geflohen, und in der Hölle der routinierten Mittelmäßigkeit angekommen.

‚Immer auf den Ball schauen, Ellenbogen hoch, guter Schlag…‘. Man kann sich vorstellen, wie oft er diese Sätze zusammen mit den Tennisbällen übers Netz geschlagen hat. Endlos lange.

 

Und dann kommt in einem der vielen Busse, die neue sonnenhungrige Touristen ins Hotel bringen, eine Frau an. Beim ersten Blickwechsel zwischen Tom und Anne ist sofort eine Spannung, eine Verbindung, ein Flirren spürbar. Here comes trouble.

Anne ist mit Mann und Sohn angekommen. Für den Sohn möchte sie gleich Tennisstunden bei Tom buchen. Er hat keine Kapazität. Sie insistiert, und tatsächlich gibt ihr den einzig noch möglichen Slot. Den ganz frühen Termin. Der, den er eigentlich hasst. Warum tut er das? Bahnt sich hier das nächste romantische Abenteuer an, beginnt eine neue Affäre, oder ist da etwas Verbindendes aus der Vergangenheit zwischen Tom und Anne? Und damit sind wir schon auf der nächsten Fährte. Aha, darum gehts also.

 

Als dann Annes Mann Dave ins Spiel kommt, und die negativen Spannungen zwischen den Ehepartnern deutlich werden, bekommt die Geschichte einen immer mysteriöser werdenden Spin. Vor allem, als Dave nach einem gemeinsamen Inselausflug, und einem ‚Männerabend‘ mit Tom plötzlich verschwunden ist. Ein geplanter Plot, ein Verbrechen, ein Unglück….? Jetzt sind wir mitten in einer Kriminalgeschichte. Suspense. Man fühlt sich an Hitchcock und Highsmith erinnert. Klassiker wie ‚Nur die Sonne war Zeuge‘.

 

Jan Ole Gerster hat mit ‚Islands‘ einen Film Noir unter sengender Sonne inszeniert. Und er spielt gekonnt und smart mit unseren Erwartungen, mit unseren ‚ach ja - das kenne ich doch‘ Momenten. Das macht das besondere Raffinement dieses Films aus. Wir Zuschauer sind gefordert, die Bruchstücke immer wieder neu zusammenzusetzen. Aber es gibt kein stimmiges Gesamtbild, nur ständig wechselnde Motive. Selbst die Enttäuschung der Zuschauer, dass die Erzählstränge nicht wie erwartet aufgelöst werden, ist Teil der intelligenten Inszenierung. Man merkt dem Film an, dass sich Jan Ole Gerster lange mit dem Stoff beschäftigt hat. Und der Regisseur hat einen großartigen Hauptdarsteller gefunden. Sam Riley als ‚beste männliche Hauptrolle‘ für den Deutschen Filmpreis nominiert - und hat gute Chancen ihn auch zu gewinnen. Einen Tag nach dem Kinostart, am 9. Mai, werden die Lolas verliehen. Islands geht noch in den Kategorien ‚Bester Film‘, ‚Beste Filmmusik‘ und ‚Beste Tongestaltung‘ ins Rennen.

 

Auf dem Kinoplakat sieht man die Familie und den Tennislehrer am Strand. Nebeneinander, und doch isoliert. Jeder ist ein Insel. Das ist eine der wenigen Gewissheiten, die uns dieses atmosphärisch dichte, hervorragend besetzte und raffiniert erzählte psychologische Drama offenbart.

Foto:
©Verleih

Info:
Islands (Deutschland 2024) 
Regie: Jan-Ole Gerster
Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin und Lawrie Doran 
Darsteller: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, Dylan Torrell, Pep Ambròs, Bruna Cusí, Ramiro Blas, Ahmed Boulane, Fatima Adoum, Maya Unger, Alina Schaller, Iker Lastra, Ainhoa Hevia, Isabella Stoffel, Fernando Navas, Agnes Lindström Bolmgren u.a.