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Kategorie: Film & Fernsehen

kin2Nachtrag: Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Mai 2025, Teil

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Immer öfter sehen wir Dokumentarfilme, die ein persönliches Schicksal oder das einer Familie verbindet mit dem, was man oral history nennt und was den Nachgeborenen eine Zeit lebendig macht, die kein kulturgeschichtliches schriftliches Werk oder ein Bildband so lebendig, so durchdringend, so so persönlich darstellen kann wie Filme, die über den Inhalt hinaus den Gehalt einer Zeit in Inneneinrichtungen, Kleidung, Musik, Verhalten und Kommunikation zwischen den Leuten sinnlich erfahrbar machen.

 

Für die Allgemeinheit liegt hierin der Reiz dieses Films, der denen eine Stimme gibt, die von den Mehrheiten her dem Adenauermief der jungen Bundesrepublik, den Altnazis, den Ewiggestrigen, den Kleinbürgern, dem Familienidyll, der Kleinfamilie mit dem arbeitenden Ehemann und der Frau, die die Kinder erzieht, im eigenen Haus mit Vorgarten, auch den Kapitalismushörigen unterlegen waren, sich aber moralisch und intellektuell im Recht fühlten – und es meist auch waren. Wenigstens im Widerstand erst gegen die Notstandsgesetze, später in der Studentenbewegung, die dann im Nachhinein für die meisten Träger der reinen Lehre zu einer peinliche Hörigkeit der jeweiligen politischen, meist K-Gruppe führte, im Widerspruch zu dem, was sie selber propagierten: Freiheit des Geistes, persönliche Verantwortung für das eigene Leben und die Gesellschaft. .

 

Für den Filmemacher Aljoscha Pause, der am Großwerden, Leben und künstlerischem Wirken als Kabarettist und Impressario seines Vater Rainer Pause ansetzt und somit sein eigenes Großwerden als Kind, Jugendlicher und Erwachsener mit dem Vater darstellt, an dem er – wie viele Kinder innerhalb der Studentenbewegung – hauptsächlich durch zeitliche und emotionale Vernachlässigung und dadurch Einsamkeit gelitten hat, stellt der Film eine persönliche Aufarbeitung dar, die sichtbar gerade durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Vater, der Hauptfigur, auch eine gelungene Wiedergutmachung des beiderseitigen Verhältnisses in sich trägt.

 

Das Glückhafte am Film ist, wie beide Belange, die persönliche Geschichte von Vater und Sohn Pause und die Einbettung in die Wirtschaftswundergeschichte und die Folgen miteinanderverwoben sind, wozu als wirklicher Hingucker noch gleichzeitig durch den Beruf des Vaters eine kleine, feine, hinreißende Geschichte des Kabaretts der damaligen BRD miterzählt wird, für die noch heute Lebende oder die neuen Generation, jetzt eben Comedians, auf der Bühne des von Rainer Pause gegründeten Pantheon-Theaters ihre Erfahrungen und Einschätzungen mitteilten. Das Pantheon-Theater, das jetzt wegen Häuserspekulation in Bonn-Beul zu Hause ist, aber in den letzten Jahren der alten Bundesrepublik seit Oktober 1987 im Keller des Bonn-Centers am Bundeskanzlerplatz residierte, da, wo die Bonner Politik sozusagen brühwarm aufschlug. Solche Kleinkunstbühnen, die damals stärker als heute politisches Kabarett boten, sind grundsätzlich gesellschaftliche Gesundbrunnen für das Publikum. Für die darstellenden Künstler und Künstlerinnen bedeuten sie Arbeit, Auftritt, Bestätigung, Entlohnung. Für den, der das alles organisiert: Verantwortung und immense Arbeit.

 

In Rainer Pause kam nun als Gründer und Auftretender beides zusammen. Viel Arbeit also. Er erschuf als alter ego Fritz Litzmann, als der er die Zeitgeschichte und das Drumherumleben auf der Bühne dokumentiert, durch den Kakao zieht oder umorientiert. Sehr interessant auf jeden Fall. Doch das Eigentliche bleibt das Kind Aljoscha und wie aus dem bedürftigen Kind der erfolgreiche Filmemacher Pause wird. Und da hat man im Film schon mehrmals zu schlucken, denn es kommt einiges zusammen. Schon beim Titel fragt man sich, was eigentlich mit der Mutter ist. Erst einmal ist es, wie es in diesen Studentenkreisen wirklich war, es wurde herumgelebt, auch herumgeliebt und wenn ein Kind kam, kam es eben. Das wurde nicht so wichtig genommen, die Revolution war wichtiger und würde schon für die Befriedigung aller Bedürfnisse sorgen. Naiv. Ja. Und für viele Psychoanalysen späterer Erwachsener gut. Die Eltern leben sich auseinander. Das Kind bleibt beim Vater. Das ist schon eher ungewöhnlich. Und am Vater und an der Schule arbeitet sich der junge Aljoscha ab. Schulverweise, das übliche Programm. Und sehr offen schildert der Film genau den Punkt, wo es auch in die andere Richtung hätte gehen können: sozialer Abstieg, Drogen, kriminelles Milieu. Allerhand, wie sich der Filmemacher selbst aus der Falle herauszog, einen kreativen Beruf ergriff, eine Familie gründete, in der er nun seine Erziehungsdefizite an seinen Kindern so viel besser machen kann und durch einen Film zudem seinem Vater und sich selbst zu einer neuen Vater-Sohn-Beziehung verhalf.

 

Der so persönliche Hintergrund wird im Film durch eine künstlerische Entscheidung immer wieder gewissermaßen neutralisiert und somit objektiviert. So wie der Vater durch die Kunstfigur des Fritz Litzmann, der mit dem Kollegen im Frack auftritt und Tacheles redet, durch die Distanz starke Wahrheiten verkündet, hat Aljoscha für die heiklen Szenen der Kindheit und Jugend, wo Einsamkeit und Verwirrung angesagt ist, Alireza Darvish mit Animationsszenerien in der Art des Waltz with Bashir wirken lassen. Und auch hier verhilft die graphische Gestaltung erst recht zur Intensivierung der Gefühle von Angst, Alleinsein und Hilflosigkeit.

 
Foto:
©Verleih

Info: 
Technische Details & Credits
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2025
Laufzeit: 144 Minuten
FSK: 0 (angefragt)

Buch & Regie: Aljoscha Pause
Kamera: Robert Schramm
Ton: Hendrik Büttner, Lenin de los Reyes
Schnitt: Claudia Spoden, Jan Richter
Musik: Roland Meyer de Voltaire
Animation Director: Alireza Darvish

mit:
Rainer Pause, Aljoscha Pause, Carolin
Kebekus, Oliver Masucci, Michael
Mittermaier, Bastian Pastewka,
Gerhard Polt, Sebastian Pufpaff,
Helge Schneider, Georg Schramm,
Florian Schroeder u.v.m.