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Kategorie: Film & Fernsehen

yes2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. November 2025, Teil 3


Olivier Père


Paris (Weltexpresso) – Woher kam der Wunsch, einen Film über einen Musiker zu drehen, der sich entschlossen hat, sich mit Leib und Seele der Unterhaltung der Reichen und Mächtigen zu verschreiben, in der Hoffnung, Reichtum und Ruhm zu erlangen?


Die Beziehung zwischen einem Individuum und einer Gemeinschaft oder einem Land ist ein Thema, das sich durch alle meine Filme zieht. Ich interessiere mich für die Fähigkeit des Individuums, im Kontext einer Gruppe zu existieren. Für Künstler*innen ist es wichtig, zu verstehen, wo der Zeitgeist sich hinbewegt. Ich hatte das Gefühl, dass mein vorheriger Film, AHEDS KNIE, einen Aufschrei, eine Ablehnung, die Wut über die bestehenden Verhältnisse und einen Diskurs über Widerstand so weit wie möglich getrieben hat. Es ist kein Zufall, dass der Protagonist am Ende des Films beschließt, all das aufzugeben und zu einem guten Menschen zu werden. Ich fragte mich, was es wohl bedeutet, heute „gut“ zu sein, in einer Welt, die zutiefst und zunehmend schlecht ist.



In YES gibt es eine Szene, die besagt, dass es nur zwei Worte gibt: das „Nein“ der Ablehnung und des Widerstands und das „Ja“ der Akzeptanz und der Kapitulation.

Was ich in dem Film thematisiere, geht weit über die Situation in Israel hinaus. Ich fand, dass es irgendwie altmodisch wäre, das Thema aus der Perspektive des Neins anzugehen. Die beste Art, über die die Welt beherrschenden Kräfte zu sprechen, ist zu zeigen, wie man von ihnen erdrückt wird. Es ist die Position einer Ameise, die einen Elefanten anschreit. Unterwerfung ist derzeit die einzige Wahrheit. An einer Stelle im Film sagt Y. zu seinem Sohn: „Gib so früh wie möglich auf. Unterwerfung ist Glück.“ Meine Figuren haben bisher immer das Feld der Wut, des Protests und der Revolte ausgiebig erkundet. Hier ist es genau umgekehrt. In meinen früheren Filmen gab es die Vorstellung, dass dank der Gedichte eines Kindes
oder der Protestrufe eines Mannes die Kluft zwischen der Welt, in der wir leben, und der Welt, in der wir leben sollten, verringert oder ausgeglichen werden könnte. Ich wollte daran glauben, auch wenn ich wusste, dass ich enttäuscht werden würde. Ich habe mich immer den Figuren verbunden gefühlt, die gegen Wände oder verschlossene Türen rannten. Ich bin immer noch besessen von diesen Türen, ob offen oder geschlossen, aber mit dem Kopf dagegen zu rennen ist für mich vorbei. Das ist archaisch geworden. Heute spreche ich über dieses Thema, indem ich jemanden zeige, der kriecht, um durch die offene Tür zu schlüpfen, bevor sie sich schließt. Ich denke, das sagt mehr über die Wahrheit der Welt aus, über die momentane Realität von Künstler*innen. Y. ist meine erste passive Hauptfigur in dem Sinne, dass er alles akzeptiert und sich bedingungslos hingibt. Das ist auf filmischer Ebene sehr anregend. In seinen Bewegungen und Gesten ist er so aktiv wie nur möglich. Er hört nie auf, sich zu bewegen oder zu tanzen. Aber seine Willenskraft und sein Verlangen sind sterilisiert worden.


Während er eine verzweifelte Situation beschreibt, ähnelt YES einer filmischen Geste voller Wut und Poesie.

Solange man nicht aufhört, mit der Kamera zu filmen, bis man etwas einfängt, das über das Thema hinausgeht, solange man an die Kraft eines filmenden Objekts und eines gefilmten Objekts glaubt, sucht man zwangsläufig nach Schönheit. Es ist ein Film, der formal ständig versucht, kleine Momente der Erlösung in einer ziemlich traurigen Realität zu finden.



Gibt es ein Element des Selbstporträts in der Figur des Y.?

Wir alle stehen aktuell als Künstler*innen vor Y.s Tür, auch wenn uns ein paar sonnige Momente noch davor bewahren, Stiefel und Ohren zu lecken. Der Film zeigt kein Mitleid. Als
Regisseur bleibt mir kein anderes Mittel als darauf hinzuweisen, dass wir oft auf Y.s Zustand reduziert werden. Y. ist mein erster Held, der in gewisser Weise überhaupt nicht politisch ist. Er versteht nichts von der Welt um ihn herum und versucht auch nicht, sie zu verstehen. Politik langweilt ihn. Er möchte in einer Musicalkomödie mitspielen, nicht in einem politischen Film. Der Film zieht ihn gegen seinen Willen in eine politische Richtung, weil das nun einmal der Stand der Dinge ist. Y. fühlt sich im Musicalteil viel wohler. Dort fühlt er sich zu Hause. Leider braucht er Geld und muss sich in die Welt hinausbegeben, in einen politischen Film


 
Am 7. Oktober 2023 startete die Hamas einen mörderischen Angriff auf Israel, gefolgt von zahlreichen Angriffen der israelischen Armee im Gazastreifen. Inwieweit waren diese historischen Ereignisse ein Umbruch in der Entstehung Ihres Films, dessen Drehbuch im vergangenen Frühjahr geschrieben wurde?

Ich fühle mich ein bisschen wie Y., da ich nicht vorhatte, einen Film zu drehen, der als politisch wahrgenommen werden würde. Ich war am 7. Oktober in Paris und war wie viele andere Menschen schockiert über die Ereignisse in Israel. Über die Ereignisse hinaus fragte ich mich als Filmemacher nach einigen Stunden, welchen Sinn es derzeit noch haben könnte, Filme zu drehen, insbesondere den Film, den ich gerade über die Lage der Künstler*innen vorbereitete. Es dauerte einige Tage, bis ich vorsichtig begann, meinen Computer wieder zu öffnen und das Drehbuch nochmal zu lesen. Der erste Satz des Drehbuchs ist noch immer im Film. Er stammt aus dem Mund des Generalstabschefs, der Y. zu einem Gesangswettbewerb herausfordert. Der zweite Satz wird von Yasmine, der Frau von Y., gesprochen, die ihm sagt: „Lass den Generalstabschef gewinnen.“ Für mich stehen diese beiden Sätze in Verbindung mit den Anschlägen vom 7. Oktober. Die umfassende Niederlage der Armee war einer der Hauptgründe für die darauffolgende Rache. Schon vor dem 7. Oktober war die Lage Israels kaum eine andere. Das ursprüngliche Drehbuch wurde überarbeitet, ohne jedoch vollständig umgeschrieben zu werden. Ich komme aus einem Land, in dem Leben und Tod zum Alltag gehören. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen einem israelischen und einem französischen Regisseur. Ein israelischer Regisseur kann weder dem Staat noch der Politik seines Landes entkommen. Man kann sich verstecken, so viel man will, aber das Land wird einen finden.


Indem er sich bereit erklärt, eine patriotische Hymne zu komponieren, wird Y. zum Agenten der israelischen Propaganda.

Mir gefällt die Vorstellung, dass sich Y.s Kriegshandlung gegen Gaza darauf beschränkt, eine Melodie zu komponieren. Während die Luftwaffe und die Artillerie Gaza bombardieren, lässt Y. Musik erklingen. Zwei Wochen nach dem 7. Oktober kehrte ich nach Israel zurück, ich wollte versuchen, zu verstehen, was vor sich ging. Ich traf viele Menschen und hörte ihnen zu: Freund*innen, Bekannte, Rocksänger*innen, Filmemacher*innen. Jede*r engagierte sich auf seine Weise für den Krieg, mit Liedern und Videos. Es wurde zu einer großen gemeinsamen Sache. Auch die Künstler*innen befanden sich im Krieg. Die Kunst in Israel hat entschieden, welchen Weg sie einschlägt. 


Im Hintergrund sind der Davidstern und die israelische Flagge allgegenwärtig. Wie viel davon ist übertrieben?

Es ist eine genaue Wiedergabe der heutigen Realität. Ein Potenzial, das es schon immer gab, und das sich jetzt verwirklicht hat. Das Land war schon vorher ziemlich frontal, aber die Nuancen sind verschwunden. Mehrdeutigkeit hat keinen Platz mehr. 


Es gibt zahlreiche Gesangs- und Tanzszenen in dem Film. 

Ich neige dazu, den Film als musikalische Tragödie zu bezeichnen. In allen meinen früheren Filmen gab es eine Dichotomie zwischen Wort und Bewegung. Mit diesem Film wollte ich eine Figur schaffen, die nicht wirklich Worte benutzt. Mein Glaube an Worte ist erschöpft. Für Y. gilt das Gleiche. Als Musiker komponiert er, aber er schreibt keine Texte. Da er sich verbal nicht ausdrücken muss, kann er sich hinter Tanz und Musik verstecken. Wenn ihm eine Frage gestellt wird, antwortet er mit einem Tanz. In mehreren Filmen sagt der Hofnarr die Wahrheit in Gesang und Tanz. Das Singen und Tanzen stellen dann einen alternativen Weg zur Wahrheit dar, wenn Worte verboten sind. Y.s Lieder und Tänze thematisieren jedoch die Gewalt von Worten und Waffen. Dennoch glaube ich nicht, dass der Film mit dem Finger auf Y. zeigt. Am Ende des Films geht es um das Weggehen und um die Liebe. Es gibt den Wunsch, allem zu entfliehen, auch wenn dies vielleicht nur eine vorübergehende Lösung ist.



In einem glücklichen Moment unterhalten sich Yasmines und Y.s Hände und werden anstelle ihrer Gesichter gefilmt. Ihr Film zeigt den Wunsch, jeden Teil des Körpers auszuschöpfen und ihnen große Ausdruckskraft zu verleihen.

Ich bin fasziniert von Körperteilen, die seltener gefilmt werden als andere. In der Filmgeschichte gibt es eine Diskriminierung mancher Körperteile. 



Der Mund spielt in YES eine wesentliche Rolle. Singen und Küssen natürlich, aber auch Lecken, Verschlingen, Herunterschlingen, Erbrechen ... Die Bedeutung des Mundes unterstreicht die Gier von Y. und Yasmine, ihr Verlangen nach Geld und Erfolg, was ein gewisses Maß an Ekel hervorruft. 

Es ist ein Film, in dem der Mund wenig sagt, anders als in SYNONYMES oder AHEDS KNIE. Er ist mit anderen Dingen beschäftigt. Er hat keine Worte mehr, aber er ist sehr aktiv ge-
blieben.


Der Mund steht in Verbindung mit der Besessenheit vom Essen, die sich durch den Film zieht. Das Essen verliert seine primäre Funktion: die Ernährung. Das frenetische Verschlingen von Essen wird hier mit Vorstellungen von Obszönität, Schmutz und Prostitution assoziiert. Was grundsätzlich natürlich ist, wird im Film unnatürlich.

Das Essen im Film stellt für diejenigen, die es konsumieren, eine Form permanenter Demütigung dar. Entweder man redet oder man schleckt und stopft sich den Mund voll. 

Foto:
©Verleih


Info:
YES
Ein Film von Nadav Lapid
Deutschland/Frankreich/Israel/Zypern 2025, 150 Min., FSK 16
hebräische OmU-Fassung und deutsche Synchronfassung
Ab 13. November im Kino

Stab
Buch & Regie: Nadav Lapid
Kamera: Shai Goldman

Besetztung
Y.: Ariel Bronz
Yasmine: Efrat Dor
Leah: Naama Preis
Der Milliardär: Alexey Serebryakov
Avinoam: Sharon Alexander
Sekretär des Milliardärs: Pablo Pillaud Vivien
Reiche Frau: Idit Teperson
Singende Yacht-Stewardess: Shira Shaish

Das Gespräch wurde am 3. Mai 2025 geführt
Abdruck aus dem Presseheft