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Kategorie: Film & Fernsehen

Bildschirmfoto 2025 11 16 um 03.03.18Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. November 2025, Teil 14

Redaktion


Paris (Weltexpresso) - Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über Geschenke zu machen und darüber, welche Neurosen und Familienkonflikte sie auslösen können?



Raphaële: Ich glaube, das erste Mal darüber nachgedacht habe ich, als mich meine damals noch sehr kleine Tochter fragte: „Warum habe ich NUR 13 Geschenke zu Weihnachten bekommen?“ Ich überlegte, ob ich als Kind wohl auch so gewesen war. Da erinnerte ich mich an diese Leere, die einen überkam, nachdem man alle Geschenke geöffnet hatte und die Enttäuschung, wenn das Gewünschte nicht dabei war. Trotzdem musste man mit zitterndem Kinn Danke sagen und lieb lächeln. Mir fiel mein Ausraster im Teenager-Alter ein, als mir meine Mutter Bettwäsche und Kinderbücher schenkte. Da wurde mir bewusst, dass ein Geschenk in manchen Fällen eine tickende Zeitbombe ist – verpackt in Blümchenpapier.


Geschenke sind eine Art des Austausches zwischen Familienmitgliedern, oder?

Raphaële: Sie helfen jedem Familienmitglied dabei, einen Platz zu finden und sich von dem Image zu lösen, das man nach außen von sich zeigt. Aber in DAS PERFEKTE GESCHENK geht es nicht nur um Geschenke unter Familien. Präsente sind auch Ausdruck sozialer, freundschaftlicher und sentimentaler Dimensionen. Sie verraten dir, was deine Kollegen über Dich denken und wie sehr jemand romantisch an dir interessiert ist.


Wussten Sie von Anfang an, dass der Film aus vielen Handlungssträngen bestehen sollte?

Christophe: Raphaële hat ihren Film um mehrere Kurzgeschichten zu drei der Hauptfiguren gebaut, die am Anfang nichts miteinander zu tun haben. Nach und nach passte sie das Drehbuch gemeinsam mit Stéphane Kazandjian an und es wurde zu dieser Art Film, in dem sich die unterschiedlichen Handlungsstränge immer enger verzahnen und überschneiden.

Raphaële: Die einzelnen Handlungsstränge erlauben bessere Gags und pointierte Beobachtungen, aber die Verbindung der Geschichten schafft Tiefe. Dadurch, dass die einzelnen Charaktere familiär verbunden sind, geht es nicht bloß um lustige Szenen, in denen jemand ein peinliches oder unpassendes Geschenk bekommt, sondern um echte Beziehungen. Alles andere wäre sehr erwartbar und vereinfacht gewesen.


Sie sprechen in DAS PERFEKTE GESCHENK ein generationenübergreifendes Thema an. Vom kleinen Mädchen mit ihren Eltern, den frisch Verliebten und den Großeltern bis hin zur steinalten Urgroßmutter…

Raphaële: Bei uns zuhause war bei Familienfeiern immer sehr viel los. Meistens holten meine Eltern sogar ihre Großeltern aus dem Pflegeheim, um sie dabei zu haben. Dadurch gab es einen sehr interessanten Mix aus mehreren Generationen, den wir im Alltag natürlich nicht hatten.

Christophe: Auch das Publikum kann sich so natürlich persönlich in diesem Familienporträt wiederfinden


Wie haben Sie diese Familie zusammengestellt?

Raphaële: Wir haben gar nicht so viel darüber nachgedacht. Die Konstruktion der Charaktere erfolgte recht intuitiv. Ich habe viele von ihnen einfach aus Menschen, die ich persönlich kenne, zusammengesetzt und den Rest improvisiert. Ich bin an die Sache herangegangen ähnlich wie ein Kind, das mit Puppen spielt. Am Anfang weiß man selbst nicht genau, wohin die Reise führen wird, aber am Ende haben alle Figuren ein eigenes Schicksal, Temperament und damit auch einen eigenen Alltag. Das greife ich dann auf und mache aus diesen Figuren eine Geschichte.

Christophe: Für mich war das Casting entscheidend, da der Film von den Persönlichkeiten der Darsteller lebt und es natürlich immer eine gewisse Differenz zwischen der Realität und dem gibt, was wir uns als Regisseure vorstellen. Jeder Schauspieler bringt etwas Unerwartetes mit sich, was oft das Interessanteste ist. So war es auch bei Camille Lellouche und Gérard Darmon, die beide sehr starke Persönlichkeiten sind und der Vater-Tochter-Beziehung im Film dadurch eine sehr authentische Dimension geben. All das erweitert dann Raphaëles Grundidee der Familie.


Die Neurosen der Charaktere, die Hypochondrie des Vaters, die Rolle des Psychiaters, der beißende Humor und die Anspielungen auf die Shoah geben Hinweise auf die jüdische Kultur der Familie…

Raphaële: Natürlich! Weil ich mir nicht alles komplett neu ausgedacht habe. Ich ziehe Inspiration aus dem, was ich kenne. Ich finde, wenn ich ehrlich bin, dass es gerade in jüdischen Familien oft einen Überfluss an innerfamiliären Emotionen gibt, der schnell auch im wahren Leben zu einer gewissen Komik führt. Alles ist überdramatisiert. Diese Theatralik gibt es auch in anderen Kulturkreisen. Gehen sie mal mit Italienern essen – die Gespräche eskalieren dann ähnlich schnell wie in Jacques Audiards Filmen und die Lautstärke ist immens.


Der Film fällt kein Urteil über seine Figuren und lässt ihnen immer die Möglichkeit, sich mit dem Publikum zu versöhnen – egal wie lächerlich sie sich vorher verhalten haben.

Raphaële: Es ist gar nicht so sehr, dass die Figuren sich ändern und bessern. Man lernt sie nur besser kennen dank neuer Situationen, in die sie stolpern. Diese werfen dann oft ein anderes Licht auf ihr Verhalten.


Wie sind Sie künstlerisch an die Regie herangegangen?

Raphaële: Es ist ein Film mit vielen Dialogen, die von einem gewissen Rhythmus getrieben sind – und von Komik. Diese entsteht aus der Diskrepanz zwischen dem Gezeigten und dem Gesagten. So gibt es dieses ausgestopfte Wiesel mit Weihnachtsmütze in der Praxis des Psychiaters, das als visueller Gegenpol zu den ernsten Gesprächen fungiert, die dort stattfinden. Oder die Eltern, die in einer vollkommen opulent eingerichteten Stadtwohnung leben, aber dennoch, wie es sich für Eltern gehört, fast identische, spießige Kleidung tragen. Dann gibt es Océane, die in der Lage ist von einem hypersexualisierten Sängerinnenkostüm in ein prinzessinnenhaftes, fast keusches Outfit zu wechseln und auch ihr Verhalten dementsprechend anzupassen. Dieser Spagat führt zu einer Theatralik, die mir sehr am Herzen liegt.

Christophe: Ich glaube, was uns beide bei unserer künstlerischen Vision leitet, ist die Interaktion und Verbundenheit mit den Darstellern.

Raphaële: Genau. Das war der Ausgangspunkt, noch bevor wir mit dem Casting begonnen haben. Teamgeist und Freude am Spiel.


Wie haben Sie die Darsteller am Set angeleitet?

Raphaële: Wie bereits gesagt, war mir der Rhythmus der Dialoge sehr wichtig. Das ist gar nicht so leicht zu vermitteln, denn man möchte ja keine Frust erzeugen und wenn man zu sehr auf seinen Sprechrhythmus achtet, dann greift man in den Schauspielprozess ein und gibt den Darstellern das Gefühl, dass sie keinen Raum für Emotionen und Interpretation haben. Es war also gut, dass Christophe während des Drehs sehr nah an den Schauspielern dran war. So fielen ihm Dinge auf, die mir im ersten Moment entgangen wären. Während des Schnitts wurde mir klar, wie sehr seine Einstellungen Komik erzeugten und hinzufügten, die ich gar nicht vorher eingeplant hatte. Außerdem kennt und mag er die Schauspieler sehr. Das merkt man.

Christophe: Ich habe immer darauf geachtet, dass alles passt. Denn es ist nie einfach auf engem Raum einen Ensemblefilm zu drehen.


Die Darsteller spielen in DAS PERFEKTE GESCHENK oft das Gegenteil ihres bekannten Typs…

Raphaële: Nein, nicht das Gegenteil. Aber sie sind anders als man sie eigentlich erwartet. Gérard Darmon hat sein typisches Charisma, aber er wirkt auch ungewohnt zerbrechlich, was ihn sehr liebenswert macht. Camille Lellouche spielt als Komikerin eine Rolle auf emotionalem Terrain. Das ist nicht das, was sie gewohnt ist, aber sie macht das großartig. Max Boublil spricht als Jérôme wesentlich weniger als sonst und strahlt eine ungewöhnliche Härte und Verunsicherung aus.


Wie haben Sie sich die Aufgaben beim Dreh aufgeteilt?

Christophe: Das Drehbuch stammt von Raphaële, daher war es meine Aufgabe, diese Geschichte zu respektieren und mich in den Dienst der Regisseurin zu stellen, indem ich sie unterstütze. Wir sind natürlich unterschiedlich in unserer Arbeitsweise und im Umgang mit den Darstellern, aber die Zusammenarbeit hat sich ganz natürlich ergeben.

Raphaële: Wir mussten uns vorher nicht einmal absprechen: Wir haben uns gegenseitig voll und ganz vertraut. Christophe hat meinen schlechten Geschmack mit kleinen Schlägen auf die Fingerspitzen gezügelt, genau wie Stéphane Kazandjian beim Drehbuch.

Christophe: Es stimmt, dass Raphaële manchmal ein bisschen zu weit geht. Können Sie uns etwas über die Musik erzählen? Raphaële: Florent Marchet verwendet sehr unterschiedliche Instrumente, die eine zusätzliche Komponente einbringen und die Atmosphäre des Films bereichern. Seine Musik ist nie nur Beiwerk, sondern schafft eine Art Kontrapunkt: Er verleiht der Geschichte eine gewisse Schärfe und Melancholie, die ich sehr prägnant finde.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie Raphaële Moussafir
Co-Regie Christophe Offenstein
Drehbuch Raphaële Moussafir, Stéphane Kazandjian

Besetzung
Charlotte.    Camille Lellouche
Françoise.  Chantal Lauby
Michel. Gérard Darmon
Julie.    Mélanie Doutey
Océane.   Vanessa Guide
Adrien.   Gringe
Jérôme.  Max Boublil
Dan.  Tom Leeb
Rivka.   Liliane Rovère
Juliette.    Charlie Yeramian
Psychiater.  Jean-Jacques Vanier