Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

GesprächVERSO SUD. 31. Festival des italienischen Films im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF) Frankfurt, Teil 3


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist nach so vielen Jahren wirklich ein schönes Ritual geworden, die zweimalige Eröffnung des Festivals, das ja nun schon so viele Jahre auch eine spannende Zweiteilung im Programm hat. Am ersten Tag wurde die Hommage an einen, der dem italienischen Film zur Bedeutung verhilft, begonnen, die anders als das Festival selbst, nicht mit dessen Ende zu Ende geht, sondern mit den Wiederholungen der Filme bis Ende Dezember läuft. Die diesjährige Hommage gilt dem Regisseur Marco Bellocchio, 86 Jahre jung, der den ersten Eröffnungsfilm bweisteuerte. Heute nun geht es mit den neuesten italienischen Filmen los!

 

regisseurWie im anschließenden Gespräch mit Regisseur Gianluca Maria Tavarelli (auf den Fotos oben und links mit Übersetzerin Marina Grones) zu erkennen war, hat der Originaltitel INDAGINE SU UNA STORIA D’AMORE wohl noch eine andere Bedeutung, denn eine italienischstämmige Besucherin sprach davon, dass dieser Film doch keine Ermittlung sei, wobei Film- und Literaturkundigen bei dem Wort Ermittlung sofort DIE ERMITTLUNG von Peter Weiss in den Sinn kommt, die als Theaterstück gerade in einen Film genial umgesetzt wurde und den Frankfurter Auschwitzprozeß zum Inhalt hat. Just das Gegenteil vom heutigen Film, von dem nach der Vorstellung sein Regisseur sagen wird: das war seine erste und letzte Komödie! Schade eigentlich, denn er kann Komödien, salopp gesagt. Der Film ist ein großer Spaß und weil hinter dem Spaß ein knallharter Ernst hervorlugt, lohnt sich, den Film anzuschauen, auf mehreren Ebenen.

 

Die vordergründige ist einfach, dass man gut unterhalten wird und beim Zuschauen nicht müde wird, das Leben von vielen Paaren mitzuschauen. Hoffentlich nicht das eigene Paarleben. Denn hier geht es wirklich zur Sache. Aber das eigentliche Thema ist, welchen Einfluß das Öffentlichmachen von privaten Beziehungen auf diese selber hat, wie sehr sich die Protagonisten also verändern, wenn sie wie hier im Fernsehen ihre Liebes- und Lebensgeschichte aus ihrer Perspektive erzählen. Ja, solche Sendungen gibt es im Privatfernsehen, das sich davon, vom angeblich wirklichen Leben, mehr Zuschauer verspricht. So auch in dieser italienischen Fernsehserie, die immer von einem geheimnisvollen Mann angekündigt wird, der Sensationelles in der Paarbeziehung verspricht.

 

liebesgeschichteDer Trick, warum dieser Film spannend ist und warum es solche TV-Sendungen zu Publikumserfolgen schaffen, ist, dass da nicht eine fertige Serie abgedreht wird, wie sonst im Fernsehen, sondern nach jeder Sendung, wo das Paar in Einzelinterviews über bestimmte Lebenssituationen spricht, z.B. wie man sich kennenlernte, ob man sich beruflich gegenseitig bereichert, wer von dieser Beziehung mehr hat, als einer mit einer anderen schlief…. die gerade gezeigt Sendung den gemeinsamen Alltag natürlich verändert, also eine Dynamik eintritt, die einen völlig anderen zwischenmenschlichen Verlauf nimmt, als wenn alles vorher abgedreht worden wäre.

 

Daran ist vor allem Paolo (Alessio Vassallo) schuld, während seine Freundin Lucia (Barbara Giordano) das ganze Unheil in Gang setzt. Die beiden sind seit acht Jahren ein Paar,  beide sind Schauspieler, schlimmer, beide sind nicht wirklich erfolgreiche Schauspieler. Wie man später sieht, hält sich aber Paolo für den besseren und auch den erfolgreicheren von beiden. Lucia leidet enorm unter seinem erstmaligen und jüngsten Seitensprung, wie er es bezeichnet und auch, dass dieser vorbei sei, und sie findet es eine gute Idee, ihrem Leiden zumindest eine Bühne zu bieten und meldet sie beide für eine sogenannte TV- Realityshow an, die LEICHEN IM KELLER heißt, wo es also, denkt man sich, um die Aufarbeitung Indagine su una storia damorevon Paarkonflikten geht, die man sonst lieber im Keller versteckt. Und genau so kommt es auch.

 

Daß die Rolle des Paolo eine Paraderolle ist, erkennt man schon in der ersten TV-Sendung. Denn der einem zuvor ganz normal vorkommende Mann, schwingt sich im ersten Interview zu einem derart eitlen, sich selbst bewundernden, sich erfolgreich gebenden Parvenü auf, der durchscheinen läßt, dass seine Partnerin stolz darauf sein kann, dass er sich überhaupt auf sie, die arbeitslose und erfolglose Schauspielerin eingelassen hat, dass dieser genau wie dem Filmzuschauer die Haare zu Berge stehen, wie einer sich so produzieren kann. Anders als die Zuschauerin, die nur innerlich reagieren kann, sagt Lucia ihrem Paolo allerdings die Meinung, als beide zu Hause auf dem Sofa die erste Sendung sehen. Aber nicht nur sie. Auch die Nachbarn, die Eltern, die Verwandtschaft, die Freunde, die Arbeitskollegen.

 

Der Regisseur kann dies alles wunderbar differenzieren und dann doch zusammenhalten, denn es kommt ja die nächste TV-Sendung, die wieder, insbesondere von Paolo zu einem Fernsehereignis wird, das persönliche Wellen schlägt, für viele. Insbesondere seine Eltern, die in Sizilien leben, sind erschüttert und weinen am Telefon, weil er in der Sendung behauptet hat, er habe keine Familie und erst mit Lucia eine gefunden. Der Sohn will die Eltern beruhigen und erklärt ihnen, was er auch Lucia sagte, dass er dem Gesetz der Serie gefolgt sei und alles so dramatisiert habe und auch die Eltern verleugnet, weil sich das im Fernsehen besser mache, dann würden die Zuschauer bekommen, was sie wollten, soziales Elend und psychische Abgründe, das würde die Zuschauerzahlen in die Höhe treiben und das wiederum sei gut für die Film- und Fernsehindustrie, dann bekämen beide eher Rollen, denn nach wie vor sieht es damit übel aus. Zumindest Paolo kennen wir eigentlich nur vom auf der Couch Sitzen: entweder auf der häuslichen, wo er die Sendungen ansieht, oder der im Fernsehstudio, wo er aufgenommen wird. Lucia dagegen ist die, die einerseits unter der Geltungssucht des Geliebten leidet, an seinem Seitensprung sowieso, aber auch in der Welt unterwegs ist, um nach Arbeitsmöglichkeiten zu schauen. Sie ist die Aktive von beiden. Er der Räsonierer. 

 

Und so lernen wir sie kennen. Der Film ist nämlich interessant geschnitten, weil er mit dem beginnt, was die Fortsetzung des Filmschlusses ist! Da kommt eine total aufgemotzte, als Pretty Woman gestylte Lucia daher, stark geschminkt und auf Sexy also, unbedingt auffallend attrkativ, die nach Monaten der Trennung von Paolo, diesen das erste Mal wiedersieht. Er sitzt da wie ein begossener Pudel und man merkt sofort, sie ist die Strahlende, die Macherin und er versinkt im Selbstmitleid. Beide haben nach wie vor was füreinander übrig, sonst hätten sie ja auch nicht acht Jahre miteinander verbracht, aber ohne dass man mehr weiß, spürt man, dass Lucia etwas hinter sich gelassen hat, was Paolo so gerne fortgesetzt hätte: das gemeinsame Leben. Und das folgt dann eben als der eigentliche Film.

 

Die gnadenlose Abrechnung mit solchen TV-Auftritten, die das weitere Zusammenleben miteinander für die Zukunft verhindern, ist nur das eine, was hängen bleibt. Denn man ist sich ziemlich sicher, dass die beiden, Paolo und Lucia, ohne die Sendung LEICHEN IM KELLER, noch heute traut beisammen wären, ganz unabhängig davon, ob das gut oder schlecht wäre. Aber es ist auch eine, vermutlich in Italien stärker als hierzulande angestrebte und vorgeführte toxische Männlichkeit, die jede Beziehung kaputt machen muß und hier eine Hauptrolle spielt. Das ist das Erstaunliche an dieser Rolle des Paolo, die für fast jeden Schauspieler eine Paraderolle wäre und hier wirklich nicht als Parodie, sondern bitterer Ernst rüberkommt. Das zeigt das schaspielerische Vermögen von Alessio Vassallo, aber auch die Regiekunst von Tavarelli, der im Gespräch nach dem Film klug auf Fragen antwortet und wie man hörte, vor allem in Fernsehserien so erfolgreich ist, dass dies nach 10 Jahren Pause sein erster Kinofilm wurde. Schade eigentlich, hatten wir gesagt und meinen das auch so.

 

Nur bei einer Frage sind wir gänzlich anderer Meinung als der Regisseur. Die Frage kam im Gespräch aus dem Publikum und kam an den Richtigen. Sie lautete, worin überhaupt der Unterschied beim Drehen von TV-Serien und Filmen bestehe. Es gäbe keinen, antwortete der Regisseur. Und ob!!, hätten wir gerne erwidert und wollen das ein andermal inhaltlich ausführen. Das Problem besteht ja gerade darin, dass oft auf der Kinoleinwand Filme laufen, die ins Fernsehen gehört hätten. Selten, sehr selten umgekehrt. Und gleichzeitig hat der Regisseur mit seinem Film recht: denn der gehört zu denen, die eigentlich ins Fernsehen gehören, aber auf der Leinwand bestehen. Dazu muß man ein verdammt guter Regisseur sein.

Fotos:
©rRedaktion
und Verleih

Info:
Vorstellung am 22. November
https://www.dff.film/kino/kinoprogramm/filmreihen-specials-november-2025/verso-sud-31/