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Kategorie: Film & Fernsehen

lo2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. November 2025, Teil 11

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Damit ging es schon los. Dieser Film ist von einem wirklich bekannten und geachteten israelischen Regisseur, der ein Buch, einen Weltbestseller verfilmt, mit einer berühmten Schauspielerin, einen Film, von dem man weiß, dass er in Frankreich und Italien ein richtiger Publikumserfolg ist. Und hier? Hier läuft er noch nicht einmal regulär in den verschiedenen Kinos, sondern hat einige Nachmittags- und Abendvorstellungen im Cinéma, wofür man dankbar sein muß. Während ein Film wie DAS KANU DES MANITU schon über 4 Millionen Zuschauer hat. Ein Film, gegen den ich gar nichts sagen will, aber eben das Publikumsinteresse vergleichen.

 

Noch dazu war der Saal im Untergeschoß am Samstagnachmittag nicht gut besetzt. Selbst die in Frankfurt lebenden Exil-Iraner und Iranerinnen hätten große Säle füllen können, und man weiß von ihnen, dass viele die im Iran übliche Leidenschaft für’s Kino teilen. Lamentieren hilft nicht, aber rätselhaft ist das mangelnde Interesse schon und darum wird hier darauf hingewiesen.

 

lolololoDer Film beginnt mit der Rückkehr von Azar Nafisi (Golshifteh Farahani) aus den USA nach Teheran. Sie war als sehr junges Mädchen dorthin gekommen, der Vater war Bürgermeister von Teheran, der sich mit dem Schah überworfen hatte und sie ist neugierig, wie es sich nach der islamischen Revolution in Teheran lebt. An ihrer Seite ihr zweiter Ehemanns Bijan (Arash Marandi) , und nach unfreundlicher Behandlung beim Paßzeigen kann sie endlich ihre Mutter in die Arme schließen. Sie hatte in den USA nach ihrer Ausbildung als Literaturwissenschaftlerin eine Uni-Professur inne und wechselt jetzt auf die Teheraner Universität.

 

Von Anfang an stören sie die antiamerikanischen Parolen der Islamisten, für die die USA der teuflische Feind sind. Und von Anfang an spürt sie, dass sie in einer reinen Männerwelt angekommen ist, wo Frauen ihre Rolle zugewiesen wird: gesellschaftlich unsichtbar zu sein und durch eine Verhüllung, auf jeden Fall ein Kopftuch, das kein einziges Haar durchläßt, als geschlechtliches Wesen nicht vorhanden zu sein und somit Männer nicht von ihren wichtigen Aufgaben abzulenken. Die jungen Frauen, erst recht die Studentinnen,  begehren dagegen auf. Aber sie unterliegen. 

 

lololoDer Film hat wie das Buch nach Schriftstellern benannte vier Kapitel, die die Professorin in den Uni-Seminaren und bald privaten Gruppentreffen durchnimmt, wobei es mit LOLITA von Vladimir Nabokov beginnt. Nun ist das ein Roman, der nach seinem Erscheinen in den USA auch im Westen auf heftige Reaktionen der Ablehnung stieß, wenn sich der reiche alte Sack ein Püppchen hält und es sexuell ausbeutet, was andere wiederum werten, dass hier ein junges Mädchen einen reichen alten Mann verführt. Ein Skandal damals aus moralischen Gründen. Und von heute aus, wo Pädophilie ernst genommen wird, erst recht. Aber wie Nabokov das schreibt, wie er die Abhängigkeiten kenntlich macht, die Stationen der Unterwerfung, das eben ist große Literatur. Meint Azar Nafisi und bezweifeln die jungen an die Macht gekommenen Sittenwächter. Schnell führt dies zu heftigen Attacken, fast nur von den männlichen Studenten gegen das Buch und damit auch die Professorin. Die dreht den Spieß um, nutzt das Interesse ihrer Studenten und setzt in der Uni eine Gerichtsverhandlung des neuen islamischen Staates gegen das Buch an. Das wird ein intellektuell-literarisches Gewitter, zumal sie selbst die Rolle des Buches übernimmt und sich verteidigt. Dabei gibt es einen heimlichen Lehrplan. Denn die Islamisten sind dem lüsternen Humbert Humbert des Romans viel näher, als sie selbst wissen. Eines der ersten islamischen Gesetze ist es, das Heiratsalter der Mädchen, das bei 18 Jahren lag, auf 9 Jahre festzulegen. Wirklich. Schrecklich.

 

loloWir erleben buchstäblich auf die Schnelle, wie aus den zuvor freien Frauen – der Schah war absolut westlich eingestellt, Frauen hatten die gleichen Rechte wie Männer und Bildung war wichtig – Schattenwesen werden, weil das Kopftuch, das zuvor nur eine religiöse Geste besonders frommer, meist alter Frauen war, als Hijab eine absolute Pflicht für Frauen und schon kleine Mädchen wird. Dem will sich die Professorin nicht unterwerfen und provoziert ihren Rausschmiß. Das ist nicht subtil dargestellt, sondern kommt genauso direkt, derb und inhuman rüber, wie immer wieder ältere unansehnliche Frauen mit jungen hübschen umgehen. Sie wird betatscht und grob behandelt, worauf sie verzichten kann. Nicht aber auf das Unterrichten.

 

So kommt es zu dem privaten Zirkel von sieben Frauen, die jeden Donnerstag in ihre Wohnung kommen und bei Leckereien die Analyse von Literatur betreiben, aber eben auch viel Privates mitverarbeiten. Denn sie lernen sich ja auch persönlich gegenseitig gut kennen, sprechen über Privates, machen sich Sorgen um einzelne. Jede der Sieben hat eine spezielle Geschichte mit gesonderten Problemen, was der Film anschaulich widerspiegelt.

 

Höchste Zeit von etwas zu sprechen, was im Roman eine Rolle spielt, aber jetzt auf der Leinwand erst richtig Geltung erhält: die majestätischen Berge, auf die Azar von ihrem Schreibtisch aus blicken kann und die wirklich erhebend schön sind. Überhaupt lebt der Film auch vom Schauwerk, wenn die Leckereien in Großaufnahme gezeigt werden, oder die Buntheit und Attraktivität der jungen Frauen, wenn sie in der Wohnung ihre schwarzen Gewänder und das Kopftuch abgelegt haben und sich gegenseitig wahrnehmen. Mitten in die totale Kontrolle durch das neue Regime kommt es zum Krieg Irak-Iran. Da glaubt man, man säße in Kiew, wenn in Teheran die Bomben herunterkommen. Acht Jahre wird er dauern und – das vermittelt der Film deutlich – durch die äußere Bedrohung ist die innere Opposition im Iran erstickt. Denn es gilt gemeinsam gegen den äußeren Feind zu gewinnen.

 

Längst hat auch Azar ihren inneren Schwur, nie mit Kopftuch die Universität zu betreten, abgetan und unterrichtet wieder mit verhülltem Haar, denn als Professorin für Literaturwissenschaft ist sie weiterhin eine anerkannte Größe. Der Film kann allerdings die Breite und Tiefe, mit der im Buch die einzelnen Titel mitsamt ihren Verfassern literarisch und literaturwissenschaftlich abgehandelt werden, nicht leisten. Die Beschäftigung mit den einzelnen Autoren F. Scott Fitzgerald, Henry James, Saul Bellow, Jane Austen bleibt oberflächlich. Ob man das anders hätte lösen können? Eine schwierige Frage, die direkt zum Problem der Verfilmung führt. Daß Azar mit ihrem Mann und den zwei Kindern, die sie inzwischen haben, irgendwann, es war 1997, das Land wieder Richtung USA verlassen, ist eine klar erkennbare Konsequenz, die von Anfang an in der Geschichte mitgedacht, vorweggenommen wird. Dies kann man an der Verkörperung der Azar durch Golshifteh Farahani erkennen. Von Anfang an liegt eine Tragik über ihr, eine Trauer in den Augen, eine Miene, die Unzufriedenheit und Abneigung gegen die Verhältnisse, in denen sie leben muß, spiegelt  und gegen die Männer, mit denen sie zu tun hat.

 

Das gibt dem Film eine Zwangsläufigkeit, die zwar historisch gegeben, aber für einen Film zu wenig Spielraum läßt. Dem Zuschauer wird serviert, was er eh erwartet. Es ist alles sehr tragisch. Im Film wird deutlich, welche wichtige Rolle Filme für viele Iraner spielen und wie sie sich die nun verbotenen ausländischen Filme unter der Hand besorgen. Da muß man einfach an Jafar Panahis Film TAXI TEHERAN denken, der 2015 den Goldenen Bären der Berlinale gewann, und eine längere Szene enthält, wo ein Filmsüchtiger vom Taxichauffeur verbotene ausländische CDs mit den berühmten Filmen erhält. Ein solches Filmzitat hätte diesem Film gutgetan, der dem Irrsinn der heutigen iranischen Gesellschaft eben auch mit Witz, mit Komik auf die Schliche kommt. Immer nur Tragik erschöpft sich. Im Film. Auch wenn es in Wirklichkeit so ist.


Foto:
©Verleih                                                                                                                                                                                                                                                                                             

Info:                                                                         

Ein Film von ERAN RIKLIS
Italien, Israel 2025
Kinostart: 20. November 2025
Laufzeit: 108 min
FSK: tba
Stab
Regie ERAN RIKLIS
Drehbuch MARJORIE DAVID
basierend auf dem Roman von AZAR NAFISI

Besetzung
Azar Nafisi GOLSHIFTEH FARAHANI
Sanaz ZAR AMI
Nassrin MINA KAVANI
Mahshid BAHAR BEIHAGHI
Yassi ISABELLA NEFAR
Manna RAHA RAHBARI
Azin LARA WOLF
Bijan ARASH MARANDI
The Magician SHAHBAZ NOSHIR