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Kategorie: Film & Fernsehen

tragendSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. November 2025, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein warmherziger, märchenhafter, Mut machender Film, der von seiner Hauptdarstellerin Esther (Leïla Bekhti) lebt, die man gleich von der Leinwand in die eigene Familie oder die Redaktion holen möchte, weil sie eine ist, die Berge versetzen kann oder, wie hier, ein medizinisches Wunder vollbringt. Mutterinstinkt, Leidenschaft, nicht nachlassende Energie, in der Rolle der sich für den Sohn durchsetzenden Rolle erinnert man sich sofort an Andreas Dresens "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush", wo Meltem Kaptan als Mutter ähnliche Wunder vollbringt. Allerdings sind politische Wunder doch einfacher zu erklären als medizinische.



im zimmerEsther Perez hatte in ihrer jüdisch-marokkanischen Familie schon fünf Kinder, als mit Roland das sechste geboren wird. Doch mit ihm stimmt etwas nicht. Er hat seit seiner Geburt eine Fehlbildung am Fuß, einen Klumpfuß. Erst läßt die Mutter seine Entwicklung zu Hause laufen, heißt, daß er lange am Boden herumkrabbelt, bis deutlich wird, es muß mit ihm etwas geschehen, damit er läuft. Aber genau das kann er nicht, kann er nicht richtig. Er fällt um, weil sein Klumpfuß ihn nicht trägt. Es beginnt für den kleinen Roland eine Leidenstour, denn er wird von Ärzten untersucht, immer wieder, aber deren Diagnose ist immer eindeutig: man kann nichts machen, er wird nie normal laufen können, keine Operation würde helfen. Als der kleine Junge hilflos und verzweifelt seine Mutter anschaut, sagt die etwas, wo es dem Zuschauer den Atem verschlägt. Sie verspricht ihrem Sohn nämlich, daß er an seinem ersten Schultag genauso in die Schule gehen wird wie alle anderen Kinder. Und sie verspricht ihm darüber hinaus, daß er ein glückliches Leben haben werde, dafür werde sie sorgen. 

syvieErst einmal versucht sie es noch einmal mit dee Orthopädie, verschiedene Operationen hatten nichts gebracht. Dann schließt sie einen Pakt mit Gott. Sie verpflichtet ihn, ihrem Sohn zu helfen. Und tatsächlich gibt es eine ungewöhnliche Behandlungsmethode, wo der Fuß in ein stützendes Korsett zugeschnürrt wird, so ganz wird das im Film nicht deutlich, nur eben, daß der Junge lange, sehr lange im Bett das medizinische Wunder wirken lassen muß. Und nun kommt Sylvie Vartain ins Spiel. Das Bett des Jungen wird nämlich im Wohnzimmer aufgebaut, dort wo auch der Fernseher steht und wo Roland das erste Mal Sylvie Vartain singen hört. Nun ist das erst einmal für heutige Deutsche kaum mehr erinnerbar, die ja schon mit Caterina Valente nichts mehr anfangen können, deshalb muß man einfach erklären, welche gesellschaftliche Bedeutung die Sängerin und Musikerin Sylvie Vartein, in den späten Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahren mit ihrem damaligen Mann, Johnny Hallyday, hatte. Sie verkörperte das junge, neue, fortschrittliche Frankreich. Die Leute liebte sie. Aber am meisten lernte Roland sie lieben. Höchste Zeit davon zu berichten, daß hier kein Film erfunden wird, sondern daß eine wahre Geschichte erzählt wird. Die hat Roland Perez niedergeschrieben, der dieses Kind war und der, wie man nachlesen kann, mit der Verfilmung sehr zufrieden ist, weil sie zum einen seine durchsetzunggewillte und durchsetzungsfähige Mutter ins rechte Licht rückt und zum anderen Sylvie Vartain in den Film zaubert. Sie spielt wirklich auch als 80zigjährige mit. Und der erwachsene echte Roland ist ihr größter Fan geblieben. 

Als Roland sie als Kind im Fernsehen sieht und hört, wird sie für ihn zum Inbegriff dessen, was er anbetet. Mit ihren Liedern lernt er lesen und schreiben auch. Sie wird die Initiatorin all seiner Bemühungen und diese Gemengelage, die Liebe und Leidenschaft der Mutter, die Gesprächspartnerin von Gott ist, die Göttin aus dem Fernsehen, zusammen schaffen sie es, daß der gehbehinderte Junge ganz normal laufen wird und Abitur machen wird, studieren und ein eigenständiges Leben führen kann. 

Stimmt, das Ganze hat etwas von einem Märchen. Aber es ist ja passiert und einfach ein Beispiel dafür, daß es mehr zwischen Himmel und Erde gbit, was sich unsere Schulweisheit nicht träumen läßt. Der kanadische Regisseur Ken Scott hat Regie geführt und auch das Drehbuch nach der Romanvorlage verfaßt. Sicher mit Beistand von oben. Denn er beläßt es nicht bei der tollen Mutter, die sich vehement für ihren Sohn einsetzt. Wie im Buch geschildert wird ja auch der erwachsene, gehende Roland (Jonathan Cohen) von der Mutter so behandelt, als ob er ein kleines Kind wäre. Gegängelt ist noch ein sanfter Ausdruck. Wir erleben eine Mutter, die von ihrer Dominanz nicht lassen kann, die ein Kind nicht erwachsen werden lassen will. Das gibt der Figur, die erst einmal so wunderbar, schön sowieso, aber eben auch edel und gut war, den Zusatz der Nervensäge, der Frau, die auf ihre Rolle nicht verzichten kann und den Sohn nicht in Freiheit 'entlassen' kann, sondern sich ständig einmischt. Das alles steht auch im Buch. Keine schlechte Idee, dies auch dem Kinozuschauer zu bieten, denn so ist es im Leben. Alles hat zwei Seiten. Mindestens. Und so versteht man, daß der Mann Roland das alles erst aufschreiben und veröffentlichen konnte, als die Mutter gestorben war, der nun Leïla Bekhti eine schönere Version gibt, als die Mutter selber war. Aus der Komödie ist längst eine Tragigkomödie geworden. 

  

Foto:
©Verleih

Info:

Komödie /
Frankreich 2025 /
103 Minuten

Besetzung
Esther Perez.   Leïla Bekhti
Roland Perez    Jonathan Cohen
Litzie Gozlan.     Joséphine Japy
Sylvie Vartan.     als sie selbst
Madame Fleury.   Jeanne Balibar
Maklouf Perez.       Lionel Dray
Roland Perez (5 Jahre alt).      Naïm Naji
Jacques Perez (12 Jahre alt).   Milo Machado-Graner
Madame Vergepoche.     Anne Le Ny
Monsieur Foenkinos.      David Ayala

Stab
Regie
Ken Scott
Drehbuch
Ken Scott
Autor der Romanvorlage
Roland Perez