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Kategorie: Film & Fernsehen
Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Dezember 2025, Teil 11

Michael Kofler

Meran(Weltexpresso) - Rückblickend habe ich mir eigentlich bereits seit meiner frühesten Jugend in Südtirol immer die Frage gestellt: Südtirol, heute eines der beliebtesten Urlaubsziele Europas, Wintersport- und Wanderparadies par excellence, jedoch vor wenigen Jahrzehnten noch, ethnisch-politischer Krisenherd, Schauplatz von Terroranschlägen und Sorgenkind internationaler Diplomatie. Wie passt das zusammen? Der Gedanke, dass in der vom Hochglanztourismus geprägten Umgebung, in der ich aufwuchs, nur wenige Jahrzehnte zuvor Bomben explodierten und scharf geschossen wurde, schien mir unvorstellbar.

Die Grenzen in Europa waren mittlerweile gefallen, Südtirol zur diplomatischen Erfolgsstory geworden, zu einem Musterbeispiel für eine dauerhafte Befriedung eines Minderheitenkonflikts. Jedoch während ich Nirvana hörte und jugendlich-verloren auf die Schrecken in Bosnien auf der Mattscheibe starrte, war vor der eigenen Haustür das Kapitel der Terroranschläge der 1960er Jahre in Südtirol noch ein Tabu. Darüber redete man nicht, die Narben waren bei vielen noch spürbar. Vielleicht war es gerade dieses Schweigen, warum ich später, als ich bereits im Ausland lebte, dieses Thema so hungrig, aber mit dem kritischen Blick aus der Distanz in mich aufgesogen habe. Daraus wurde eine Geschichte über die Eskalation eines Minderheitenkonflikts, aber vor allem eine Spurensuche nach den Ursachen der Narben, denen ich damals als Heranwachsender in meiner Umgebung begegnet war.

ZWEITLAND ist eine Geschichte über die politische Verantwortung des Einzelnen. Wie weit muss man gehen, um ihr gerecht zu werden und wie weit darf man gehen, ohne Schuld auf sich zu laden? In einer Gegenwart, in der das Vertrauen vieler in das politische Establishment und in traditionelle demokratische Strukturen verloren geht und der Populismus wieder Einzug in viele Parlamente hält, ist die Frage nach politischer Verantwortung relevanter denn je. Grenzzäune werden wieder gezogen und der öffentliche Diskurs wird oft von der Frage bestimmt, was uns als Menschen trennt und nicht was uns verbindet. Mein Debütfilm spielt in einer kleinen Region in den Alpen im Jahre 1961, erzählt aber von gegenwärtig akuten Themen wie der Angst vor ‘Überfremdung’ und den Verwerfungen national-patriotischer Ideologien. Leise und subtil folgt das Drama einer Spirale ausgehend von politischer Frustration, über Radikalisierung, bis hin zu der verlockenden Versuchung sich einfachen Lösungen für sehr komplexe Probleme hinzugeben. Der Film romantisiert dabei nicht, sondern führt seinen Figuren neben den Abgründen der Gewalt auch die Grenzen und die Ambivalenz von Politik und Diplomatie vor Augen.

Der Film ist kein Historienepos, sondern bewegt sich abseits der großen politischen Bühne. Die Geschichte entfaltet sich im Rahmen eines intimen Familiendramas. In der Enge des Bauernhofs und in der Beklemmung des ländlichen Dorfes fordert toxische Maskulinität ihren Tribut. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung kratzt am patriarchalischen Rudelverhalten, aber wird auch zu einer Suche nach der eigenen Identität. Im Zentrum steht dabei eine leise Dreiecksgeschichte zwischen zwei Brüdern und einer Frau, in einer Welt in der wenig Platz für große Worte bleibt, sondern oft ein Schweigen genügen muss.

ZWEITLAND ist ein ‘Anti-Heimatfilm’, der den Blick in einen toten Winkel der Postkartenidylle wagt. Die Landschaft Südtirols bedrückt mehr, als dass sie beeindruckt. Der Film hält jedoch auch inne an den Rissen in der Kruste, durch die, selbst in den dunkelsten Momenten, das Licht und die Menschlichkeit nach außen dringen können.

Die zeitgenössische Ästhetik des Films will eine Brücke zwischen der Vergangenheit und dem Hier und Heute schlagen. Die gelöste, intime Handkamera, ist stets nah dran an den Figuren, die sich Fragen und Ängsten von heute stellen. Das minimalistische Sounddesign schafft Momente unerträglicher Stille, nach denen Lärm und Aufregung nahezu wie eine ersehnte Erlösung wirken.

Seit der ersten Idee zu ZWEITLAND war es mir ein zentrales Anliegen, dass der kreative Prozess selbst auch Ausdruck des Stoffes ist: eine Zusammenarbeit zwischen dem deutsch- und italienischsprachigen Raum, über Sprach und Kulturgrenzen hinweg.


Über den Regisseur

Michael Kofler ist in Südtirol in den italienischen Alpen aufgewachsen. Er hat in London Spielfilmregie studiert, wo er auch mehrere Jahre für ein führendes Film- und TV-Produktionsunternehmen gearbeitet hat. Seine Kurzfilme und Videoarbeiten wurden auf zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt. Sein Drehbuch für sein Spielfilmdebüt ZWEITLAND wurde beim Racconti Entwicklungs-Lab der IDM Film Commission mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Michael ist Alumnus des Berlinale Talents, dem Nachwuchsprogramm der Berlinale.

Foto:
©Verleih

Info:
Zweitland
2025 Deutschland, Italien & Österreich
Genre: Drama
Laufzeit: 112 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Format: 1:1,85
Stab
REGIE & DREHBUCH Michael Kofler
Besetzung
THOMAS PRENN als Paul Passler
AENNE SCHWARZ als Anna Passler
LAURENCE RUPP als Anton Passler
FRANCESCO ACQUAROLI als Maresciallo Lombardo
ANDREA FUORTO als Carabiniere Alessandro

Abdruck aus dem Presseheft