Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. Dezember 2025, Teil 11
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Das ist eine schöne Geschichte, von der man so gerne glaubt, dass sie wahr ist, einfach, weil sie einen berührt und weil in dem Feld von Politik, wo es sonst um ernste Themen, um Blut und Tränen geht, eine kleine Köpenickiade, wie hier, eine psychische Entlastung bringt, die gut tut. Aber in Wahrheit hat es diese Geschichte nie gegeben, was auch wieder nicht ganz richtig ist, sie hat es nicht im Leben gegeben, aber auf Papier schon, denn es geht bei der Verfilmung um einen Roman von Maxim Leo, der MASSENFLUCHT heißt, den Wolfgang Becker vor seinem Tod noch abdrehen konnte und der sein filmisches Oeuvre liebevoll zusammenfaßt.
Micha Hartung (Charly Hübner) wird zum Held, nicht unbedingt wider Willen, aber doch ohne wirklich etwas dazu getan zu haben, denn hätte nicht Alexander Landmann (Leon Ullrich) zum 30. Jahrestag des Mauerbaus eine Geschichte breitgetreten, die er selbst gut erfunden hat und wäre diese Geschichte nicht groß in der Zeitung gestanden und hätte immer weitere Kreise gezogen, dann wäre Paula (Christiane Paul) nie im Leben von Micha aufgetaucht. Denn bisher ist das Leben von Micha, wenn nicht eintönig geworden, so doch ziemlich rückwärts gewandt. Denn als Videothekenbesitzer hat er nicht mehr viel zu tun, was ihm ja gelegen käme, er ist durchaus ein gemütlicher, aber leider hat er auch kaum noch Einnahmen, aber Ausgaben. Dies kann man an den Mahnungen sehen, die er in die Schublade reinschubst. Im Ernst ist die Lage dramatisch.
Durch die Veröffentlichung seiner Heldengeschichte, die wirklich gut erfunden ist, wird Micha mit einem Schlag zu einem begehrten, attraktiven Mann. Insbesondere für Paula. Denn die saß damals nichts ahnend in der S-Bahn, als diese nicht wie sonst ihre Oststrecke absolvierte, sondern die Fahrt änderte und nach Westberlin abhaute. Nein, so clever waren die Westberliner Zeitungen nicht, daraus gleich eine Geschichte zu machen, dass es jetzt nicht mal mehr die S-Bahnen in der DDR aushalten und abhauen. Haha. Paula war ja ganz jung, blieb in West-Berlin, fühlte sich wohl und ist jetzt ob der Geschichte aus der Zeitung völlig in dem Häuschen.
Und so geht die eigentliche, wie gesagt, gut erfundene Geschichte, die für wahr gehalten wird und Micha zum Helden macht. Er soll auf der Fahrt dieser S-Bahn an einer Weichenstellung durch Ost-Berlin einen Bolzen aus der Weiche geschlagen haben, so dass die Bahn, deren Strecke vorher auf Ost-Berlin beschränkt war, geradeaus nach West-Berlin fuhr, mitsamt der ganzen zufälligen Besetzung im Wagen, also der Fahrgäste, zu denen – Zufall, Zufall – auch Paula gehörte. Micha wurde als zum Befreier von wohl ungefähr 180 Leuten, in der DDR totgeschwiegen, im Westen als Heldenstück in den Himmel gehoben. Und endlich weiß man, wer der Held war: Micha. Angeblich.
Nein, dem tut es gar nicht gut, was da läuft. Erst war er ja noch angetan davon, wie wichtig er auf einmal genommen wird. Und dass eine wie Paula auf ihn aufmerksam wird, erst recht. Aber das Lügengebilde schwillt an zu einem wahnhaften Lügengebirge und das verursacht ihm Pein. Aus gutem Grund, denn als es zusammenbricht – dass es das tut, war Micha klar – ist seine Lage schlimmer als zuvor, denn jetzt ist er nicht nur ein armes Schwein, sondern ein Lügenbaron dazu. Die Ohrfeige von Paula ist auch nicht von schlechten Eltern und so wackelt der Film hin und her zwischen dem privaten Unglück von Micha wegen Paula und seiner gesellschaftlichen Rolle in dem ganzen Spiel. Denn er hat durchaus noch etwas zu sagen und außerdem wurde ihm echt übel mitgespielt. Er mußte einsitzen in der DDR, wenn auch nur für 1-2 Tage, aber dass seine Ehefrau ein Stasi-Spitzel war, ist eine Kränkung, die niemals aufhört. Was ist dagegen so eine kleine Lüge.
Gestern vor einem Jahr verstarb der Regisseur des Films, Wolfgang Becker, der mit vielen herzenswarmen Geschichten deutsche Kinogeschichte schrieb. GOOG BYE, LENIN! wird sicher die eindrücklichste bleiben. Im DER HELD VOM BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE kann man viele der Schauspieler sehen, die durch seine Filme bekannt wurden. Sicher am meisten, auch international, Daniel Brühl. Aber Sie werden staunen, welche Schauspieleraufgebot auch in kleinen Rollen ihm die Ehre geben. Der Film faßt die Gefühle, die seine Filme vermitteln, dass es eben auch um die sogenannten kleinen Leute geht, sehr gut zusammen.
Foto:
©Verleih
Stab
Regie: WOLFGANG BECKER
Drehbuch: CONSTANTIN LIEB, WOLFGANG BECKER
Nach dem Roman von MAXIM LEO
Besetzung
MICHA HARTUNG. CHARLY HÜBNER
PAULA KURZ. CHRISTIANE PAUL
ALEXANDER LANDMANN. LEON ULLRICH
NATALIE HARTUNG. LEONIE BENESCH
HARALD WISCHNEWSKY. THORSTEN MERTEN
HOLGER RÖSLEIN. DIRK MARTENS
FRITZ TEUBNER. PETER KURTH
ALEX ALLONGE. DANIEL BRÜHL
BEATE. EVA LÖBAU
BERND. JÖRN HENTSCHEL
FRAU MÖCKEL. LILLI FICHTNER
DR. ANTJE MUNSBERG. CLAUDIA EISINGER
BUNDESPRÄSIDENT. BERNHARD SCHÜTZ
KATARINA WITT. KATARINA WITT
MONA SCHÖNBAUM. ANNABELLE MANDENG
JAMILLA KARUME ADISAT SEMENITZSCH
WERBEFILMREGISSEUR. JÜRGEN VOGEL
STASIVERNEHMER. HOLGER HANDTKE
Technische Daten
LÄNGE: 112 MINUTEN
BILDFORMAT: 1.85:1
TONFORMAT: 5.1