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Kategorie: Kulturbetrieb
hwk koubiAktueller Welt-Tanz mit der Compagnie Hervé Koubi in Fulda

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Im Schlosstheater war die Tanzcompagnie mit der Choreografie zu Gast. Das Stück riss das Publikum zu Szenenapplaus und am Ende zu Ovationen im Stehen hin.

Wie ein langsam erwachendes Riesentier bewegt sich ein großer diffuser Menschenberg auf der nebeligen Bühne. Zu leisen Klängen, zwischen Folklore und elektronischen Tönen, lösen sich behutsam einzelne Menschen aus dem Haufen. Mit Drehungen und Windungen beginnen sie zu tanzen, ihre Bewegungen werden wilder, schließlich fügen sie ihren Tänzen kühne Saltos und akrobatische Sprünge hinzu. Bis sich der Dunst lichtet, tanzen alle 13 Männer der Compagnie mal miteinander, mal gegeneinander.

hwk hervekoubi 2016ctsushima 08jpg b921d42e3cab1391Während der gesamten Darbietung bewegen sie sich niemals synchron im gleichen Rhythmus. Immer wieder bilden sie kleine Gruppen, die stillstehen oder in Zeitlupe dahingleiten, während andere atemberaubende Breakdance- Figuren mit zeitgenössischen westlichen, afrikanischen und Sufi-Tänzen verweben. Als aus Menschentrauben Tänzer meterhoch in die Luft geschleudert und von anderen Gruppen aufgefangen werden ist das wohl ein Höhepunkt des Abends.

Die schwitzenden Männer mit freien Oberkörpern sind in helle Hosen und lange Leinenröcke gekleidet. Wenn sie sich im kämpferischen Pas de Deux begegnen, werfen sie manchmal die offenen Röcke über sich, frieren ein und wirken wie seltsame Tiere. Dazu wechselt die Musik von pathetischen, dann verzerrten Opernklängen zu leiser orientalischer Flötenmusik, von Bachschen Chören zu elektronischen Lauten.

Choreograf Koubi kreiert diffuse assoziative Traumszenen, die das Publikum in eine eigenartige fremde Welt entführen und die Seele berühren. Nur selten entstehen interpretierbare Tanzbilder, etwa als ein Mann auf einer Menschenpyramide steht und seinen Arm zum Himmel reckt. Oder als ein scheinbar verletzter Tänzer von anderen in Tücher gewickelt und über die Bühne gezogen wird. Die kräftigen Rhythmen des Ensembles wirken häufig wie afrikanische Männerrituale, die jedoch ständig aufgelöst werden. Die schnell wechselnden Szenen erzählen nichts Dramatisches, sondern erzeugen vor allem enorme Spannung und spürbare Energie.

Den Titel seines Tanzstücks, „Die Schuld des Tages an der Nacht“, übernahm Koubi dem gleichnamigen Buch. Mit dem Schreiben dieses Romans machte sich - ein algerischer Offizier unter dem weiblichen Pseudonym - Yasmina Khadra auf die Suche nach seinen Wurzeln. Der in Südfrankreich geborene und aufgewachsene Koubi betrat vor der Aufführung die Bühne des Schlosstheaters und berichtete von seinem Entsetzen, als er erfuhr, arabischer Herkunft zu sein. Mit seinem neu zusammen gestellten Ensemble begab er sich ebenfalls auf die Suche nach seiner Identität.

Sein Werk ist keine getanzte Interpretation des Buches und schon gar kein afrikanisches Erzählballett. Es greift zu kurz, dieses großartige Spektakel auf exotische Tänze oder die mitreißende Akrobatik zu reduzieren: Wir sind nicht im Zirkus, die Artistik ist kein Selbstzweck. Durch die Struktur moderner westlicher Choreografien, mit ihren Widersprüchen und Verwerfungen, entsteht aus den Tänzen unterschiedlicher Provenienz etwas eigenes Drittes, eine Brücke von Orient und Okzident, aktueller Welt-Tanz.

Fotos: © Veranstalter