ERNST-DEUTSCH THEATER, HAMBURG
Wolfgang Mielke
Hamburg (Weltexpresso) - Natürlich könnte man es auch anders herum sagen: das Neue drückt sich zunächst einmal in einer Art Ruine aus: Denn das Foyer des Ernst-Deutsch-Theaters wurde sozusagen entgemütlicht; gleich an der Stirnwand des Treppenhauses erleuchtet grell ein neues Logo: nicht mehr die beiden weißen Mondsicheln auf rotem Grund, die zusammen ein antikes Theater andeuten sollten, sondern ein großes Dreieck mit abgerundeten Ecken, das mich an dasVDE-Logo erinnerte, also an das Zeichen des Verbands Deutscher Elektro- und Elektronik-Ingenieure, ein Zeichen für technische Sicherheit.
Der Teppichboden auf den Treppen und im Foyer ist entfernt, es hat alles etwas von harter Großstadt-Wirklichkeit, mit Kellergefühl, es könnte auch ein U-Bahnhof sein, eine festlich beleuchtete Tiefgarage oder ein luxuriöser Bunker. Überall Sichtbeton. Auch nicht mehr die lackrot verkleidete Trennstufe zwischen dem ersten Foyer im Untergeschoss, wo die Garderoben sich befinden, die Toiletten und die Bar, und dem Bereich, in dem man sitzen kann – ursprünglich waren diese beiden Räume auch mal durch eine Wand getrennt, später, - und das war für mich die gelungenste Teilung und Verbindung des Raumes -, befand sich in der Mitte zwischen diesen beiden Foyer-Teilen die große langgestreckte und herrlich von allen Seiten immer umlagerte Bar: sie erinnerte an das berühmte Gemälde von Édouard Manet (1832 – 1883) "Bar in den Folies-Bergère" (1882)! - Nun - zeigt auch hier die Trennstufe nackten Beton, aber darüber neu sind jetzt lange Holztische angebracht, die wiederum eine kleine Form der Wärme oder Gemütlichkeit oder Behaglichkeit andeuten; ebenso wie die abschließende Wandverkleidung vom Foyer zum Bühnenraum hin: hellbraune Dämmplatten, denn natürlich hallt es jetzt in dem neuen Foyer mehr als früher: wir bewegen uns auf einem neu gelegten Fliesenboden und nicht mehr auf dämpfendem Teppichboden. - Vielleicht soll die neue Gestaltung eine Anspielung auf den Krieg in der Ukraine oder auf den im Gazastreifen sein? Fast täglich werden wir ja mit Bildern zerstörter Gebäude oder bloßliegendem Beton konfrontiert.
Die neue Leitung des Theaters: Ayla Yeginer (*1983) und Daniel Schütter (*1990). Daniel Schütter ist der Sohn des Mit-Gründers des Theaters, Friedrich Schütter (1921 – 1995), und dessen Frau Isabella Vértes-Schütter (*1962), die das Theater nach Friedrich Schütters Tod bis heute, also von 1995 – 2025, 30 Jahre lang, leitete. Seit 1964 liegt das Theater, das 1951 als "Das junge Theater" von Friedrich Schütter zusammen mit Wolfgang Borchert (1922 – 2007) – nicht zu verwechseln mit dem Dichter Wolfgang Borchert (1921 – 1947) – gegründet wurde an der Mundsburg in dem dortigen ehemaligen UFA-Palast. An das Kino erinnert höchstens noch der Blick vom Parkett nahe der Bühnenrampe hoch in den ersten Rang durch die Eckigkeigkeit des Raumes. In der Dunkelheit fällt das allerdings kaum auf und schon gar nicht ins Gewicht. - Seit 1973 heißt das Theater, - das größte Privattheater Deutschlands -, als Erinnerung an den berühmten Schauspieler Ernst Deutsch (1890 – 1969): Ernst-Deutsch-Theater. - Das Haus wird nun also in dritter Generation fortgeführt.
Während der letzten 10 – 15 Jahre haben wir fast alle Premieren begleitet. Und diese Zeit war nicht so unbedeutend, dass man nicht noch einmal einige der Aufführungen kurz erwähnen sollte. Das war zuerst die "Geisterkomödie" ("Blithe Spirit") von Noel Coward (1899 – 1973) am 27.11.2008; ich verglich sie damals mit der Inszenierung des Shubert Theatres in New York. - Dann "Warten auf Godot" von Samuel Beckett (1906 – 1989) mit dem Versuch einer neuen Sichtweise, am 22.4.2010. - "Die Kreutzersonate – eine Frage der Schuld?", eine Lesung mit Günter Lamprecht (1930 – 2022) am 25.10.2010. - "Love Letters" mit Nicole Heesters (*1937) und Uwe Friedrichsen (1934 – 2016) am 26.5.2011. - "Mein Kampf" von George Tabori (1914 - 2007) mit Peter Kremer (*1958) am 31.5.2012. - "Tartuffe" von Molière (1622 - 1673) mit Leslie Malton (*1958) am 29.11.2012. - "Der letzte Vorhang" mit Suzanne v. Borsody (*1957) und Guntbert Warns (*1959) am 10.1.2013; das Beste darin die Szene, wo bei betrunken am Steuer in eine Verkehrskontrolle geraten – und aus Not auf die Plätze auf der Rückbank klettern. - "Mein Freund Harvey" mit Volker Lechtenbrink (1944 - 2021) am 28.11.2013. - "Halpern und Johnson" am 17.4.2014 mit Werner Rehm (1934 - 2025) und Charles Brauer (*1935) unter der Regie von Gerd Heinz (*1940). - "Das Boot" am 12.3.2015. - "Halbe Wahrheiten" ("Relatively Speeking"), inszeniert von Hubertus Meyer-Burckhardt (*1956)), am 26.11.2015, mit einem hübschen Anfang mit der Straßenbahn (oder U-Bahn). - "Kabale und Liebe" am 28.4.2016, mit einem eindrucksvollen Moment von Konstantin Graudus (*1965), der der Vater Miller spielte, der nach der Haft durch die Regierenden seine Hände zurückzieht, als sei er gefoltert worden. - "Der Fall Furtwängler" am 17.1.2019 über den Dirigenten Wilhelm Furtwängler (1886 – 1954) und die komplizierte Frage nach der historischen deutschen Schuld. - "Demokratie" am 25.4.2019 über die problematische erste sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt (1913 - 1992) in Deutschland. - "Leonce und Lena" war die letzte Aufführung, die wir vor der schwindelerregenden Corona-Zeit sahen; genau am letzten Tag vor der Schließung, am 12.3.2020; ein schwieriges Stück und eine gute Aufführung. --- In einer Corona-Pause konnte eine Produktion von uns selbst gezeigt werden: "I happen to like New York" mit Christian Brückner (*1943) als Sprecher und dem Saxophonisten Frank Delle (*1966). - Die erste Aufführung, die wir dann wieder sahen, war: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", am 16.1.2025. --- Wenn ich die Liste so grob überschlage, waren es jedes Jahr immer mindestens zwei Inszenierungen, die tiefer im Gedächtnis verankert sind; keine schlechte Bilanz. --------
Nun also ein Neu-Anfang mit einer neuen Mannschaft. Entscheidend ist natürlich und wird es immer bleiben, was auf der Bühne geboten wird! - Die Wahl von Georg Büchners (1813 – 1837) "Dantons Tod" (1835) als Eröffnungsstück einer Intendanz ist an sich überraschend gewesen, hängt aber zusammen mit der politisierten Zeit, in der wir jetzt leben. Insofern ist diese Wahl nachvollziehbar und passend.
Büchners Stück spielt im Jahr 1794, als die französische Revolution in ihre grausamste und menschfressenste Phase geraten war, die als "Terrorherrschaft" bezeichnet wird; 'Die Revolution frisst ihre Kinder' heißt es – und genau das wird im Stück gezeigt. - Büchners Stück zählt 27 Figuren, dazu noch eine große Zahl von 'Männern und Weibern aus dem Volk, Grisetten, Deputierte, Henker etc.'. - Die Aufführung im EDT beschränkt sich auf 6 Darsteller, von denen 2 auch mehrere Rollen spielen. Trotzdem gelingt es, die Zeit der französischen Revolution kenntlich zu machen. Nur ein kleines Problem ist mir aufgefallen: der Schriftsteller Camille Desmoulins (1760 – 5.4.1794) wird im EDT von einer Frau dargestellt. Das ist insofern ungünstig, bei aller Mühe, die sich die Darstellerin gibt, als dadurch verdeckt wird, dass die französische Revolution, was die Entscheidungen angeht, fast ausschließlich durch eine Gesellschaft von Männern geprägt wurde. - Freundlicher, zustimmender Applaus des Publikums, das trotz allen Neuerungen nach wie vor das alte geblieben ist.
Fotos:
©WM