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Kategorie: Kunst

friends 3135Kunstschaffende im Dialog, ihre Antwort auf die documenta fifteen (2)

Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse

Kleinsassen/Rhön (Weltexpresso) - In der aktuellen Ausstellung „Make Friends AND Art“ präsentieren 32 Kunstschaffende Gemälde, Skulpturen und Installationen. Das umfangreiche Begleitprogramm begann mit einer Performance von Malerin Ulrike Kuborn und Musikerin Nirit Sommerfeld.

Performance 3884Im dynamischen Tanz umkreisen sich die Frauen auf der am Boden befestigten, eingefärbten Leinwand. Schubsen und schieben einander, reißen sich los. Gehen in die Horizontale, winden und wälzen sich auf der Unterlage. Umreißen ihre Silhouetten mit Stiften. Kämpfe, Annäherungen, Trennungen. Die Performance "Approach / Begegnung" endet nicht harmonisch, sondern mit einem Moment der Ruhe.


Beide haben „Make Friends AND Art“ exemplarisch ausgedrückt: Sich begegnen und Freundinnen werden ist ein schwieriger Prozess, kein einmaliger Akt, insbesondere wenn die Deutsche Kuborn auf die Deutsch-Israelin Sommerfeld trifft (Bild links).
Gleichzeitig ist ihre dramatische Begegnung als Kunstwerk festgehalten, das von Kuborn weiterbearbeitet wird. Im Hintergrund hängen zwei ihrer Leinwände mit dem Titel „Approach“, die ähnlich entstanden.


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Nahe dieser „bewegten Bilder“ montierte Udo Breitenbach um ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel vier alte hölzerne Skulpturen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Auch diese Figuren scheinen innezuhalten, sich nicht (mehr) zu ärgern. Schließlich ist alles nur ein Spiel, in dem man Revanche fordern und sein Glück aufs Neue versuchen kann. 

Aber ist das Leben ein Spiel? An der Stirnwand des großen Saals installierte Robert Kunec seine angekokelten hölzernen Fahnenständer und provoziert damit Nachdenken über Fahnen als Symbole. Sie signalisieren Zugehörigkeit, Abgrenzung oder Widerstand, die Brandspuren verweisen darauf, dass daraus auch Kämpfe entstehen.

An der gegenüberliegenden Wand befestigte Roswitha Vogtmann ihre langen, mit freien bildhaften Elementen bemalten Papierbahnen (Bild rechts). Sie kopierte keine japanischen Schriftzeichen, sondern ließ sich von der Kultur Nippons inspirieren, wie es ihr Lehrmeister forderte: Die Lebensenergie solle aus der Körpermitte heraus beim Ausatmen den Pinsel führen. Hier im großen Saal treffen vermischte oder sich beeinflusste Kulturen aufeinander. 


Kuratorin Dr. Elisabeth Heil, die durch die Ausstellung führte, erläuterte an diesem Ort die Idee der Kunststation zur Ausschreibung: Was dürfe man heute noch, wenn alles als kulturelle Aneignung denunziert wird? Der „agitatorische Begriff“ habe heftige Reaktionen ausgelöst – aber die Künstler selbst seien nicht zu Wort gekommen, hier seien ihre ästhetischen Antworten (wir berichteten).

Am vorderen Eingang zeigt Andreas Arnheim Gemälde von Rappern mit Autos, Klamotten und Goldzähnen, den Insignien ihres neuen Reichtums (Bild oben). Er malte sie wie barocke Porzellanfiguren, doch mit ihren heutigen Statussymbolen. 

Der kleine Saal nebenan ist die „Gruselkammer“ für notorische Kritiker kultureller Aneignung. Über die Performerin Irena Paskali im afrikanischen Kleid berichteten wir, ebenso über Gisela Hafer, die exotische Textilien in einem „Mustertuch“ zusammenführte. Nele Probst zeigt einen „Lovewagen“, den sie aus den Klischees der Musikindustrie und des Club-Lifestyles zusammenstellte. 

 Micha Fuchs 2916Wenn man den hinteren Eingang nutzt, gerät man in den „israelischen Bereich“. Der fehlte auf der documenta, weil Israel in der Ideologie des Globalen Südens als Kolonialmacht verschrien ist. Hier trifft man auf "Von dem Land herabzugehen", die hochgebundene riesige Kaktusfeige aus Aluminium der Israelin Michal Fuchs, darunter ein Sandhaufen, der die palästinensische Wüste symbolisiert (Bild links). Sie weist kritisch darauf hin, sowohl Juden als auch Palästinenser beanspruchten diese Pflanze als Symbol für ihre Wehrhaftigkeit. 

Danach folgen die „Mauern“ von Jens Lorenzen. Als er 1991 nach Berlin zog, gab es dort keine Mauer mehr. Seitdem gestaltet er eine (bisher) endlose Reihe von Mauerbildern, deren ästhetische Anmutung und Texte sich jeweils im nächsten Objekt fortsetzen. In der Kunststation zeigt er aus seiner Israel-Serie fünf Gemälde (Bild unten mit dem Künstler).


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Wie immer kann man als Besucher alle Arbeiten einfach nur auf sich wirken lassen. Jedoch die letzten beiden Beispiele machen deutlich, dass ein Großteil der Objekte sehr viele Bezüge herstellt.
Um die Arbeiten der Kunstschaffenden (besser) zu verstehen, sollte man den ausgezeichneten Katalog als PDF downloaden oder für zwei Euro kaufen. Darin heißt es am Schluss der Einleitung:

„Vielleicht sind es die Kunstschaffenden in aller Welt selbst, die jeweils respektvoll und frei von Berührungsängsten mit Unbekanntem umgehen, für ihr Kreatives Tun Neues entdecken und beides können: Make Friends AND Art.“

Fotos:
© Hanswerner Kruse

Info:

„Make Friends AND Art“ noch bis zum 17. September, Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 15 – 18 Uhr.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit 40 Seiten, der Fotos aller ausgestellten Arbeiten mit Kommentaren der Kunstschaffenden enthält. Preis 2 Euro. Kostenloser PDF-Download

Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet das Projekt.