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Kategorie: Lust und Leben
Rathaus 7630Neue Stolpersteine in Schlüchtern,  Teil 2 (Ende)

Hanswerner Kruse & Clas Röhl

Schlüchtern (Weltexpresso) „Wir sind tief bewegt, hier zu sein. Es ist eine große Ehre an diesem Ort zu stehen und zu sehen, wie sie sich entschieden haben, an die schwierige Vergangenheit zu erinnern!“, erklärte Zvi Goldschmidt, ein Enkel der 1937 nach Palästina geflüchteten Irmgard Oppenheimer, bei der Verlegung von fünf Stolpersteinen für seine Verwandtschaft.


Dort in der Schlossstr. 10 wurden damit symbolisch die sechs israelischen Gäste mit den ermordeten oder vertriebenen Familienmitgliedern zusammengeführt. Es waren eindrückliche Momente, besonders als sie sogar das Haus ihrer Vorfahren besichtigen konnten.

 Insgesamt ließ der Heimat- und Geschichtsverein Bergwinkel 16 neue Gedenkplatten in Schlüchterns Innenstadt an drei Orten verlegen (wir berichteten). Zu den Zeremonien reisten aus Israel Nachkommen der vertriebenen Oppenheimer-Töchter und deren ermordeten Eltern an. Mehrere Tage lang hielten sie sich in unserer Stadt auf, betreut von Mitgliedern der Stolpersteingruppe. Beim Empfang im Rathaus im historischen Sitzungsaal erklärte Bürgermeister Matthias Möller (parteilos), die Steinsetzungen seien keine Pflichtübungen, sondern Teil unseres Selbstverständnisses:
Die Stolpersteine sind Fenster in die Zukunft!“

IMG 1D81AE0BBF75 1Die Tage der Israelis in unserer Stadt waren gekennzeichnet von einem umfangreichen offiziellen Programm. Beim Besuch der jüdischen Friedhöfe in Altengronau und Schlüchtern fand Neomy Nilly (20) – Urenkelin der zunächst nach England geflüchteten Käthe Oppenheimer – die Gräber von Familienmitgliedern aus sieben Generationen. „Das hat uns verbunden – mit diesem Ort, mit unserer jüdischen Geschichte, mit unseren Vorfahren und mit unserem Glauben“, erklärte sie, die vorher keine große Beziehung zu ihren Wurzeln in Deutschland hatte. Nun will sie sich – wie andere Familienmitglieder – ebenfalls um einen deutschen Pass bemühen, der allen aus Deutschland vertriebenen Juden zusteht. 


Bemerkenswert ist diese Entscheidung angesichts der an früheren Generationen verübten Verbrechen und des zunehmenden Antisemitismus in der Bundesrepublik. Auch ihr jüngerer Bruder Achyia, der Mitte nächsten Jahres in die israelische Armee eintreten wird, meinte, er sei hier zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, zu seiner Herkunft.

Eli Goldschmidt erzählte, vor 23 Jahren sei er anonym hier auf der Suche nach den Spuren seiner Herkunftslinie gewesen. Niemand in der Stadt wusste davon, er organisierte damals alles selbst. Jetzt sei es wohl nicht nur in Schlüchtern akzeptiert, über die Vergangenheit zu sprechen und sich mit ihr auseinanderzusetzen – wie die Stolpersteine zeigten.

Während der Begegnungen entstanden auch viele informelle Gespräche in den Kneipen „Lasch“ und „Heideküppel“ oder in privater häuslicher Umgebung. Menashe Merzel, der Vater der beiden jungen Leute, berichtete, dass seine Großmutter Käthe niemals über die Vergangenheit reden wollte, obwohl er sie oft danach fragte. In Israel gebe es viele Menschen, die mit Deutschland nichts (mehr) zu tun haben wollten. Aber auch andere, wie nun beispielsweise seine Familie, würden durchaus ihre Meinung ändern. Deutlich wurde, mit welch großer innerer Last die Gäste anreisten. Sie berichteten, dass bereits am ersten Tag des Überfalls der Hamas in 2023 ein naher Freund ermordet wurde und dass sie entführte Geiseln kannten. 

Zum Antisemitismus nicht nur in Deutschland meinte Merzel, viele redeten so abwertend über Juden, weil sie einfach keine Fakten kennen: "Man sagt in Israel, diejenigen, die keine Vergangenheit haben, werden auch keine Zukunft bekommen.“

Am Vorabend seines Abschieds äußerte der, eingangs zitierte Besucher seinen Dank für die bedeutsame Veranstaltung: „Wir sind zutiefst berührt von ihrer Wärme und ihrem Respekt.“

Fotos:
© Clas Röhl
Die Gäste auf dem Jüdischen Friedhof

©  Hanswerner Kruse
Die Besucher über den Dächern der Stadt Schlüchtern (im Rathaus)