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Kategorie: Musik

Christian Gerhahers Schumann-Interpretationen in Berlin

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Christian Gerhaher ist einer der letzten bedeutenden noch verbliebenen Liedsänger, wenn nicht der einzige. Eine Interpretation, mit der er das im vergangenen Jahr stark beglaubigte, war seine „Winterreise“, in der er den von enttäuschter Liebe und Einsamkeit geprägten Weg des Wanderers, der sukzessive in den Tod führt, eindrücklich nachzeichnete.


Diesmal nun hatte Gerhaher seltener zu hörende biblische Lieder von Dvorak und drei Zyklen von Robert Schumann, darunter die Kerner Lieder op.35 sowie die spröderen Zyklen op.90 und 83, auf das Programm gesetzt.


Gerhaher trug die Lieder gewohnt kultiviert, tonschön und textverständlich vor, jedoch kamen von Lied zu Lied, von Zyklus zu Zyklus so wenige Stimmungs- und Farbwechsel auf, dass den Abend doch eine seltsame Monotonie bestimmte. Gewiss, viele dieser Lieder  - Einsamkeit, Resignation, Stirb Lieb’ und Freud, Wer machte dich so krank - verschreiben sich von ihrem Titel her schon melancholischen Regungen, aber sie sind letztlich doch weitaus komplexer in ihren Schattierungen und vor allem untereinander in den Liedanfängen kontrastreicher, hört man zum Vergleich einmal Fischer-Dieskau mit den Kerner-Liedern, die einen gänzlich anderen Höreindruck bescheren.

 

Auch, wenn es vielleicht nicht ganz fair erscheint, Gerhaher nun just an dem größten Liedinterpreten aller Zeiten zu messen, bei dem er immerhin auch Meisterklassen absolvierte, aber im Vergleich vermittelt sich schlagartig, worin der Bariton seinem Meister nachsteht: Fischer-Dieskau deutet jedes Wort aus, er behauptet nicht nur Empfindungen, er setzt sie musikalisch um, mit Haut und Haaren. In Gerhahers Gesang spiegelt sich weniger von den subtilen Feinheiten dieser Lyrik, zumindest überträgt sich keine vergleichbar tiefe Ergriffenheit. Besonders eklatant erscheinen die Interpretationsunterschiede in dem Kerner-Lied „Stirb, Lieb’ und Freud“, in dem eine empfindsame Männerseele ihrem Schmerz darüber Ausdruck verleiht, dass die geliebte Frau sich für das Kloster entscheidet. Wenn Fischer-Dieskau die Worte „mein Herz zerbricht“ im vorletzten Vers erreicht, ganz im Falsett und im Ritardando angesetzt, dann meint man, diesen Schmerz körperlich zu erfahren. Bei Gerhaher und seinem Pianisten Gerold Hubert vermittelt sich dieser nicht in dieser Dimension, nicht in der Bedeutsamkeit jedes Worts. Der Ausdruck wird zwar eingefangen, aber nicht aus der Tiefe des Herzens.


Ebenso verströmen auch die beiden Wanderlieder bei Fi-Di, wie ihn seine Freunde kurz nannten, einen anderen Geist, der in der Generation eines Christian Gerhaher offenbar schon unter die Räder gekommen ist. Was  letztlich auch nicht erstaunt. Wie soll schließlich ein Künstler in einer Gesellschaft, der alles Nationale -und damit eben auch das deutsche Kunstlied- zunehmend als suspekter gilt, und der im Wandel der Zeiten kaum mehr vertraut ist mit dem Lebensgefühl eines Eichendorff, Heine, Rückert oder Kerner, sich in deren Gefühlswelten beheimaten?


Eine Pianistin, die an der Berliner Musikhochschule Fischer-Dieskau assistierte und selbst Liedinterpretation unterrichtete, vertraute mir einmal an, dass ihre Studenten, darunter auch Deutsche, sie zunehmend darum bäten, ihnen den Sinn ihrer Liedtexte zu erläutern. Sie selbst konnten sie diesen offenbar nicht erschließen, so fremd ist uns die Sprache der Romantik demnach noch geworden. Welcher Zauber geht also von der Poesie der Romantik aus, was verbanden einst die Dichter mit Versen wie „Ich bin die Blum’ im Garten“ oder „Du junges Grün, du frisches Gras“?  


Wenn letztlich noch nicht einmal mehr ein so intelligenter, gebildeter  Sänger wie Gerhaher in die Tiefen solcher Poesie einzudringen vermag, wer dann?
Und dann war da noch etwas, was mich ein wenig gestört hat: das Notenpult, das Gerhaher neben dem Flügel seitlich positionierte, wiewohl er die Lieder eigentlich auswendig beherrscht. Nicht, dass ich von jedem Sänger erwarten würde, dass er sich, wie einst Elisabeth Schwarzkopf von den Scheinwerfern blenden lasse, um nicht vom Publikum abgelenkt zu werden, aber unzweifelhaft vertieft sich jemand freier in den gedanklichen Mikrokosmos eines Liedes, wenn es keiner Gedächtnisstütze bedarf, wenn da nichts mehr ist zwischen ihm, seinem Pianisten und dem Publikum.  

Foto: Christian Gerhahe (c) philharmonie-essen.de