Hintergründe des schockierenden Geschehens in Washington
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) Wie konnte es dazu kommen, dass ein amerikanischer Präsident so viel Macht über seine Anhänger bekommt, dass sie sich zum Sturm auf das Zentrum der Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika hinreißen lassen? Das ist die zentrale Frage, die über das aktuelle Geschehen hinaus nach einer Antwort verlangt. Sie stellte sich bereits bei der Wahl Donald Trumps vor vier Jahren, die damals von kaum jemandem für möglich gehalten worden war. Aufstieg und Fall des Egomanen haben dieselben Gründe
Wenige Stunden nach seinem Sieg im November 2016 schrieb ich an dieser Stelle, die kapitalistischen Eliten, nicht nur in den USA, sondern auch anderswo, wollten nicht wahr haben, dass sich zwischen ihnen und großen Teilen der Bevölkerung eine Entfremdung breit gemacht hat, die sich irgendwann politisch entlade. Weiter führte ich aus:
"Zwei Dinge sind es, die diese Entfremdung bewirken: Zunehmende soziale Unsicherheit und das Gefühl einer Bedrohung der eigenen Identität durch den Zustrom fremder Menschen, von Menschen, die noch ärmer sind als die Ärmsten im Lande, aber anders aussehen und einer anderen Kultur angehören. Donald Trump hat es verstanden, die Unzufriedenheit in eine Richtung zu lenken, die für ihn, den Milliardär, und Seinesgleichen ungefährlich ist: Weg von den Reichen und hin zu den armen Schluckern, die aus Mexiko oder sonst woher in die USA strömen, um dort ein besseres Leben zu suchen.
Die Entzauberung Donald Trumps vor seinen Anhängern wird nicht lange auf sich warten lassen; die Ursachen für den wachsenden Reichtum auf der einen Seite und die wachsende Armut auf der anderen bestehen schließlich weiter. Was das außenpolitische Getöse Trumps betrifft, so werden es die Finanzjongleure an den Börsen der USA eine Zeit lang tolerieren, ehe sie ihm bedeuten, dass dem schnellen Profit auf keinen Fall Hindernisse in den Weg gelegt werden dürfen. Auch Barack Obama wurde schnell in seine Grenzen verwiesen.
Das eigentliche Problem sind nicht die Leute vom Schlage eines Donald Trump, Victor Orban oder Marine Le Pen; deren Parolen gedeihen auf einem Boden, den andere für sie bereitet haben. Das eigentliche Problem sind jene demokratischen Politiker, die sich in ihrer Selbstverliebtheit und Arroganz blind und taub stellen gegenüber dem Unbehagen und dem dumpfen Gefühl vieler Menschen, nicht ernst genommen zu werden und niemanden zu haben, der sich um ihre Sorgen kümmert.. Dass so viele Menschen nicht wählen gehen oder sich für Parteien entscheiden, die sich als Alternative zur vorherrschenden Immobilität bezeichnen, resultiert aus diesem Gefühl der Ohnmacht.
Das sollte alle alarmieren, aber alle werkeln weiter wie gewohnt. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie gewährleistet werden kann, dass die Schüler in Deutschland nicht in maroden Schulen und überfüllten Klassen unterrichtet werden müssen, statt dafür zu sorgen, dass niemand so gering entlohnt wird, dass er auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, verschwenden die Bundesminister für Auswärtiges, Wirtschaft und Verteidigung in Berlin ihre Gedanken auf ein neues Rüstungskonzept, das Milliarden Euro verschlingen wird. Das klingt vielleicht nicht sehr hilfreich angesichts der Probleme, die mit Donald Trump auf Deutschland und Europa zukommen, aber es hängt ursächlich mit den Problemen zusammen", so meine damalige Analyse, um die es bei der Wahl in Amerika ging und um die es auch hierzulande geht.
Das wird sich auch bei der politischen Aufarbeitung der dramatischen Ereignisse von Washington erweisen. Alle demokratischen Parteien täten gut daran, nicht jeder Sau nachzulaufen, die von den Medien gerade durchs Dorf getrieben wird, sondern sich ernsthaft mit der alles entscheidende Frage zu befassen, wie der gemeinsam erwirtschaftete Reichtum halbwegs gerecht verteilt werden kann. Nur so kann der Entfremdung zwischen der Demokratie und ihren Repräsentanten auf der eine Seite und großen Teilen der Bevölkerung auf der anderen wirksam begegnet und der Slogan vom Wohlstand für alle in die Tat umgesetzt werden.
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