deutscher gewerkschaftsbundVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 462

Der Paritätische


Berlin (Weltexpresso) - Anlässlich der am 25.09.2023 stattgefundenen Spitzenrunde und dem auf Einladung des Bundeskanzlers stattfindenden Bündnistag vom Bündnis bezahlbarer Wohnraum hat die Bundesregierung ein kurzfristiges Maßnahmenpaket aufgelegt. Zudem hat das Bündnis eine Zwischenbilanz zum Stand der Umsetzung der insgesamt 187 beschlossenen Maßnahmen gezogen.


Im 2022 gegründeten Bündnis bezahlbarer Wohnraum sind Vertreter*innen aus Bund, Ländern und Kommunen, der Bau- und Immobilienwirtschaft, Gewerkschaften, sowie von Mieterschutz-, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialverbänden bis hin zur Zivilgesellschaft vertreten. Als einziger Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege ist der Paritätische Gesamtverband vertreten.

Das Bündnis war sich beim Spitzentreffen einig, dass derzeit und künftig der in Deutschland hohe Bedarf an bezahlbaren, barrierefreien und klimafreundlichen Wohnraum nicht gedeckt werden kann. Ursächlich dafür sind sprunghaft gestiegene (Bau-)Zinsen, Preissteigerungen beim Bau, knappes Bauland und zum Teil noch bestehende Materialengpässe und Lieferkettenprobleme. Der Neubau ist und wird noch stärker ins Stocken geraten, dies zeigen u.a. die drastisch gesunkenen Bauanträge, die steigende Zahl von Insolvenzen von Projektentwickler*innen und Bauträgern sowie das deutlich verfehlte Neubauziel der Bundesregierung von 400.000 Wohnungen pro Jahr und von 100.000 Sozialwohnungen - 2022 sind lediglich 23.000 Sozialwohnungen gebaut worden. Die veränderten Bedingungen am Wohnungsmarkt werden sich erst mit einem Nachlauf von rund 1,5 Jahren offenbaren, da 2023 und 2024 noch Bauprojekte realisiert werden, die unter den „alten Bedingungen“ insbesondere niedriger Bauzinsen begonnen wurden. Umso wichtiger ist ein Gegensteuern der Bundesregierung in Anbetracht der künftig rund 700.000 fehlenden Wohnungen in Deutschland, einem Tiefstand an Sozialwohnungen und mit Blick auf die hohe Wohnkostenbelastung insbesondere von einkommensarmen Mieter*innen.

Unterschiedliche Auffassungen bestanden bei den Bündnisteilnehmenden hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um der (sozialen) Frage nach genügend bezahlbarem Wohnraum beizukommen. Die Bau- und Immobilienindustrie fordert beispielsweise ein milliardenschweres Investitionsprogramm zur Stabilisierung der Bau- und Wohnungswirtschaft, noch mehr zinsverbilligende Kredite, eine Absenkung oder Aussetzen der Grunderwerbssteuer und eine stärkere Eigentumsförderung. Vertreter*innen der Sozial- und Verbraucherschutzverbände fordern demgegenüber verstärkt zielgenauere Maßnahmen, d.h. eine Kopplung staatlicher Förderungen und Steuernachteile an soziale Kriterien wie Mietobergrenzen und/ oder barrierefreien Wohnungsbau. Zudem kommt dem Schutz von Mieter*innen eine besondere Bedeutung zu, damit nicht noch mehr Bestandswohnungen unbezahlbar werden. Daher wurde das Fehlen von Mieter*innenschutz im Rahmen der 187 beschlossenen und nun im Prozess der Umsetzung befindenden Maßnahmen kritisiert. Ebenfalls mahnten die Sozial- und Verbraucherschutzverbände eine baldige Einigung zur Neuen Wohngemeinnützigkeit an, damit dauerhaft preisgedämpfte Mietwohnungen entstehen und ein Gegenmodell zum profitorientierten Wohnungsmarkt etabliert wird.

Die Notwendigkeit klimapolitischer Maßnahmen beim Thema Wohnen wurde von allen Beteiligten betont und der hohe Bedarf an energetischen Sanierungen von Bestandsgebäuden formuliert. Die Frage nach Verpflichtungen zu besonders effizientem Neubau oder der energetischen Sanierung wurde hingegen unterschiedlich bewertet. Während die Bauwirtschaft darin vor allem hohe und wenig effektive Hürden sieht, die zu weiter steigenden Baukosten führen, betonen Umwelt- und Sozialverbände die Notwendigkeit zur sozialökologischen Wende, die Klimaschutz fördert und zugleich Menschen vor hohen Wohnkosten durch steigende Energiepreise schützt.  

Aus Paritätischer Sicht sind die Umsetzung eines wirksamen Mieter*innenschutzes und die Einführung der NWG zentrale Anliegen. Zu beiden Angelegenheiten hat die Bundesregierung noch keine Einigung erzielt bzw. Gesetzesentwürfe vorgelegt. Die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau werden voraussichtlich auf 18,15 Mrd. Euro bis 2027 aufgestockt, doch werden diese nicht ausreichen, um den Mangel an bezahlbaren Wohnraum gerecht zu werden. Positiv hervorzuheben ist das Förderprogramm "Junges Wohnen". So können u.a. Bauvorhaben (Neubau und / oder Sanierung) der Deutschen Studierendenwerke in den Ländern umgesetzt und damit dringend benötigte Wohnheimplätze für Studierende geschaffen werden.

Die von der Bundesregierung vorgestellten, kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen (siehe Anhang) sind in aller Kürze:

  1. Neue degressive Afa (Absetzung für Abnutzung) im Rahmen des Wachstumschancengesetzes für Wohngebäude ab EH 55 Effizienzstandard, deren angezeigter Baubeginn zwischen dem 30.9.2023 und 1.10.2029 liegt. Diese Afa ergänzt die lineare AfA und die Sonder-Afa für besonders klimafreundlichen Mietwohnungsneubau.
  2. Aussetzung der Verankerung von EH 40 als verbindlicher gesetzlicher Neubaustandard, damit bleibt EH 55 als Standard (ab 1.1.2023) bestehen. Abkehr der Bundesregierung von MEPS auf EU-Ebene im Rahmen der Verhandlungen über die EU-Gebäuderichtlinie. Die Bundesregierung setzt sich nicht für verpflichtende Sanierungen einzelner Wohngebäude ein.
  3. Schaffung einer Generalklausel des § 246 Abs. 14 BauGB bis zum 31.12.2026 (Abweichungen von Vorschriften des Baurechts) für Städte und Kommunen mit angespannten Wohnungsmärkten, damit bezahlbarer Wohnraum einfacher und schneller entstehen kann.  
  4. 18,15 Mrd. Bundesmittel für sozialen Wohnungsbau von 2022 bis 2027; nach Fortschreibung der Kofinanzierung der Länder käme man auf einen gesamtstaatlichen Betrag von 45 Mrd. Euro.
  5. Verbesserungen bei den KfW-Programmen „Klimafreundlicher Neubau“ (KFN) und „Wohneigentum für Familien“ (WEF) durch (beim WEF) Anhebung der Kredithöchstbeträge um 30.000 € und Erhöhung der Einkommensgrenzen auf 90.000 €.
  6. Einführung (für 2024 und 2025) eines Wohneigentumsprogramm „Jung kauft Alt“ für den Erwerb von sanierungsbedürftigen Bestandsgebäuden verbunden mit einer an den BEG-Regeln orientierten Sanierungsauflage.
  7. zusätzliches KfW-Förderprogramm (Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds, KTF) in 2024 und 2025 für Eigentümer*innen und Investoren, die Gewerbeimmobilien in klimafreundlichen Wohnraum umbauen und damit Leerstand beseitigen. (480 Mio. aus dem KTF)
  8. Bundesregierung wird mit Partner*innen des Bündnisses eine „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ bis Ende 2023 vorlegen und damit das einfache und schnelle Bauen durch Abweichen von kostenintensiven Standards befördern.
  9. Fortführung der Ende 2024 endenden Möglichkeit zur vergünstigten Abgabe BImA-eigener Grundstücke für öffentliche Aufgaben und den sozialen Wohnungsbau um fünf weitere Jahre. Weitere Fördermöglichkeiten zur Entwicklung von Bauland durch die Kommunen werden optional ausgewiesen, wie die Erhöhung des Verbilligungsbeitrags pro geschaffener Sozialwohnung um 40 Prozent, Erhöhung des Verbilligungsvolumens für sonstige öffentliche Zwecke um 10 Mio. € pro Jahr und Umstellung des jährlichen Erbbauzins (für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus) auf Grundlage des verbilligten Verkehrswerts.
  10. Anhebung der Lärmrichtwerte in der TA Lärm in Form einer Experimentierklausel
  11. Erhöhung und Ausweitung des Klima-Bonus („Speed-Bonus“) für den Austausch besonders alter Heizungen im Rahmen des Bundesenergiegesetzes (BEG). Erhöhung von 20 auf 25 Prozent mit vorgezogener Degression und Ausweitung auf Wohnungsunternehmen und Vermieter*innen. Erhöhung der Sanierungssätze auf 20 Prozent und Abschreibung auf 30 Prozent bis Ende 2025
  12. Ermöglichung der Länder zur flexiblen Gestaltung der Grunderwerbssteuer.
  13. „Pakt für Planungs- und Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ zwischen Ländern und Bund zu Beschleunigung von Plan- und Genehmigungsverfahren. Änderungen in Landesbauverordnungen werden länderseits geplant.
  14. Neue Wohngemeinnützigkeit (NWG) soll 2024 in Kraft treten mit Investitionszuschüssen und Steuervorteilen zur Förderung von dauerhaften Sozialbindungen in Neubau und Bestand.