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Berlin (Weltexpresso) - Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) veröffentlichte am 15.5. seinen Prüfbericht. Dieser Bericht untersucht, ob die Summe der Treibhausgasemissionen (der tatsächlichen sowie der projizierten) die Summe der gesetzlich festgelegten Jahresemissionsgesamtmengen für die Jahre 2021 bis 2030 über- oder unterschreitet.
Einzelne Aspekte dieses Berichts werden im folgenden Text aus Paritätischer Sicht kommentiert, wobei der Schwerpunkt auf konkreten Vorschlägen für eine soziale Wärmewende und Mobilitätswende liegt.
Ergebnisse des Prüfberichts: Defizite im Bereich Gebäude und Verkehr
Zwar verzeichnet der Bericht aktuell keine Überschreitung der Jahresemissionsgesamtmenge. Gemäß den diesjährigen Projektionsdaten würde das im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsbudget für die Jahre 2021 bis 2030 mit einem Puffer von 81 Mt CO2-Äq. eingehalten werden. Aber in einzelnen Sektoren wird großer Handlungsbedarf attestiert. Dabei stellt er fest, dass der Gebäudesektor sowie der Verkehrssektor im Jahr 2024 zum wiederholten Male die vorgegebenen Jahresemissionsmengen überschreiten. In beiden Sektoren ist die Überschreitung höher als im Vorjahr. Auch das Reduktionsziel von 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 scheint bei einem klimapolitischen Weiter-so kaum erreichbar. Sollte der Expertenrat zu dem Ergebnis kommen, dass das Emissionsbudget zum zweiten Mal in Folge überschritten wird, ist die Bundesregierung verpflichtet, noch in diesem Jahr zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen zu beschließen.
Und ob das Ziel erreicht wird, bis 2045, also in 20 Jahren, klimaneutral zu sein, erscheint angesichts der verschleppten Mobilitätswende und Wärmewende mehr als fraglich. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass Deutschland das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 verfehlen wird.
I. Konkrete Schlussfolgerungen aus dem Expertenbericht
Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die Wärmewende und die Mobilitätswende verstärkt in Angriff genommen werden. Aus Paritätischer Sicht haben wir dazu folgende konkrete Anregungen:
I.1. Wärmewende sozial vollenden, statt rückabzuwickeln
Anstatt die Wärmewende rückabzuwickeln, sollte sie sozial vollendet werden. Dazu haben wir zusammen mit dem Ökoinstitut Anfang 2025 eine Studie veröffentlicht:
https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/der-paritaetische-gesamtverband-und-das-oekoinstitut-ev-veroeffentlichen-gemeinsame-studie-zur-sozialen-waermewende/
Maßnahmen zur sozialen Wärmewende:
Warmmietenneutralität für Mietende: Um die nötige Sanierungsrate zu erreichen, sollten Mindesteffizienzstandards auch bei Wohngebäuden eingeführt werden und mit einer hohen sozial gestaffelten Förderung verknüpft werden. Um Mietende zu schützen und Warmmietenneutralität zu garantieren muss die Modernisierungsumlage auf 3% gesenkt werden, Vermietende sollen im Gegenzug von einer ausreichenden Förderung profitieren und sie einbehalten dürfen.
Fördermittel an soziale Kriterien knüpfen: Die meisten Menschen mit geringem Einkommen wohnen zur Miete. Investieren kann aber nur der Vermieter. Es braucht neue Ansätze, damit Förderung diejenigen entlastet, die am meisten Unterstützung brauchen:
- bundesweites Förderprogramm mit dauerhaften Mietpreis- oder Belegungsbindung,
- Stärkung der Programme zum Sozialen Wohnungsbau mit Fokus auf Sanierung.
Klima- und CO2-Komponente im Wohngeld bedarfsgerecht erhöhen: Das Wohngeld entlastet gezielt Haushalte, die einen sehr hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnen aufbringen müssen. Im Wohngeld gibt es zwei Komponenten, die mit der Wärmewende verknüpft sind. Zum einen eine Entlastung bei den Heizkosten, die neben einer dauerhaften Heizkostenentlastung auch einen Entlastungsbetrag aufgrund der CO2-Bepreisung enthält. Diese „CO2-Bepreisungs-Komponente“ ist aktuell statisch und muss dynamisiert werden, d. h. sie muss steigen, wenn der CO2-Preis sich erhöht. Zum anderen gibt es im Wohngeld eine Klimakomponente. Sie soll Erhöhungen der Kaltmiete im Falle einer energetischen Sanierung berücksichtigen, indem die Miethöchstgrenze in der Wohngeldberechnung erhöht wird. Aktuell ist die Klimakomponente pauschal für alle gleich hoch. Die Klimakomponente sollte an den Effizienzstandard gekoppelt und erhöht werden.
Gemeinnützige unterstützen: Gemeinnützige Träger von Pflegeheimen, Kitas sowie soziale Dienste und Einrichtungen können erforderliche Gebäudesanierungen in der Regel nicht refinanzieren. Daran ändert auch die 30-prozentige Grundförderung für die Wärmepumpe in Einrichtungen nichts. Sie benötigen eigene spezielle Förderprogramme, die an ihre Bedürfnisse angepasst werden.
Social Leasing für Wärmepumpen: Die Investition in eine Wärmepumpe kann Haushalte finanziell überfordern. Eine Ratenzahlung kann dieses Finanzierungsproblem lösen. Die entsprechenden Leasing-Angebote sollten zudem abhängig vom Einkommen gefördert werden. Ein besonderer Vorteil des Leasing-Ansatzes besteht darin, dass nicht nur das Gerät verkauft wird, sondern auch eine Garantie für Monitoring, Wartung und Instandhaltung enthalten ist. Dadurch sinken zusätzliche Hürden.
I.2. Mobilitätswende: Mobilitätsarmut vermeiden, Öffentliche stärken, Barrierefreiheit schaffen
Die Mobilitätswende beginnt mit einer Stadt- und Regionalplanung der kurzen Wege, so dass für alle Bedarfe des täglichen Lebens keine langen Wege notwendig sind, gemäß dem Motto: So viel Mobilität wie möglich bei so wenig Verkehr wie nötig. Die Mobilitätswende erfordert außerdem, den Umweltverbund, namentlich Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr, attraktiver zu gestalten.
Als Paritätischer vertreten wir eine Vielzahl von Selbsthilfeorganisationen von und mit Menschen mit Behinderungen. Insofern wissen wir um die Zumutungen, die fehlende Barrierefreiheit im Alltag zur Folge hat. Unserer Meinung nach gehört deshalb die inklusive Ausgestaltung des Öffentlichen Personenverkehrs prioritär auf die Agenda
Um Mobilitätsarmut entgegenzuwirken, muss die Benutzung der Öffentlichen Verkehrsmittel, wie Bus und Bahn, auch für Menschen mit geringen Einkommen finanzierbar sein. In einem Sozialticket-Atlas haben wir als Verband eine Übersicht über Zugänge zu vergünstigten Ticketangeboten zusammengetragen. Dabei konnten wir eine Wohnort-Lotterie feststellen.
https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/deutschlandticket-sozial-mobilitaet-als-wohnort-lotterie/
In Auswertung dieser Studie schlagen wir die Einführung eines bundesweiten Deutschlandtickets Sozial für 25 Euro im Monat für alle Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind (von AsylbewLG über Grundsicherung/Sozialhilfe bis Wohngeld), vor.
II.Grundlegende Anmerkungen aus Paritätischer Sicht
II.1. Klimaschutz ist eine zutiefst soziale Frage
Die Folgen des Klimawandels wie Extremtemperaturen und die Zunahme von Extremwetterlagen sowie Unwettern betreffen einkommensärmere und vulnerable Gruppen besonders. Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen können sich weniger Ausweichmöglichkeiten (wie Einbau Klimaanlage, Umzug in überschwemmungssichere Gebiete etc.) leisten. Je ärmer und ausgegrenzter Menschen sind, umso stärker sind sie Extremtemperaturen ausgeliefert. So können beispielsweise Obdachlose, die auf der Straße leben, sich Extremtemperaturen wie Kälte und Hitze nur schwer entziehen. Das gilt auch für Berufsgruppen, deren Tätigkeit im Außeneinsatz stattfindet, z. B. auf dem Bau. Zudem gehen Extremtemperaturen gerade für vulnerable Gruppen, wie Ältere und chronisch Kranke, mit hohen gesundheitlichen Risiken einher.
Eine Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes unter Mitgliedsorganisationen ergab zudem, dass 69,8 Prozent der Befragten bereits unter den Folgen von extremen Wetterereignissen gelitten haben. Besonders häufig traten Starkniederschläge und Sturzfluten (41,6 %), Hitzeperioden und Dürre (40,6 %), Starkwinde und Stürme (20,3 %) sowie Hochwasser (8,8 %) auf. Also auch soziale Einrichtungen sind von den Folgen des Klimawandels betroffen.
Weitere Informationen zu der Umfrage findet man hier:
https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/dringender-handlungsbedarf-fast-70-prozent-der-befragten-einrichtungen-leiden-bereits-unter-extremwetterfolgen/
II.2. Klimaschutz und sozialer Schutz müssen verzahnt werden
Zwei Kipppunkte gilt es zu vermeiden: Den Umschlag von steigender globaler Erwärmung zur Klimakatastrophe, ab dem ein Gegensteuern kaum noch möglich ist sowie den sozialen Kipppunkt. Beständige soziale Verunsicherung und multiple Krisen befördern ein gesellschaftliches Klima, von dem die Feinde der Demokratie profitieren. Insofern müssen alle Klimaschutzmaßnahmen von Beginn ihrer Konzeptionierung einem Sozialcheck unterzogen werden. Das erhöht auch die Akzeptanz der Maßnahmen und erschwert Stimmungsmache gegen den Klimaschutz.
Es gilt zu verhindern, dass steigende Energiepreise zum kollektiven Frieren für die Ärmsten führen. Sozialer Ausgleich und konsequenter Schutz vor Armut sind immer mitzudenken. In dem Zusammenhang diskutieren wir ein:
sozial gestaffeltes Klimageld statt Pro-Kopf-Pauschale: Ein Klimageld kann eine positive Signalwirkung haben. Als Kompensation ist es aber nur geeignet, wenn es zielgerichtet Haushalte mit geringem Einkommen entlastet, insbesondere in der Übergangsphase, in der sie noch keine klimafreundliche Heizung oder Dämmung haben. Ein pauschales Pro-Kopf-Klimageld in Verbindung mit einem hohen CO2-Preis kann jedoch sogar zu einer Umverteilung von unten nach oben führen, wenn Haushalte
mit hohem Einkommen bereits auf Wärmepumpe und E-Auto umgestiegen sind und nur noch Haushalte mit geringem Einkommen hohe CO2-Preise bezahlen.
Hintergrund zum Prüfbericht
Der Prüfbericht, inwieweit die gesetzlichen Klimaziele eingehalten werden, hat jährlich zu erfolgen. Der Expertenrat für Klimafragen spielt eine wichtige Rolle im Monitoring der deutschen Klimapolitik und bei der Umsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Durch dieses Monitoring soll sichergestellt werden, dass die nationalen Klimaschutzziele und die europäischen Zielvorgaben eingehalten werden.
Laut Gesetz müssen die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. Bis zum Jahr 2040 muss die Emissionsminderung mindestens 88 Prozent betragen und bis zum Jahr 2045 muss Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Ab dem Jahr 2050 sollen sogar negative Treibhausgasemissionen erreicht werden.
Hier gibt es mehr Informationen über den Expertenrat und den bericht: https://expertenrat-klima.de/
Foto:
©ND Hessen