Klassisches Wählschetelefon auf Holzoberfläche„Es geschah am hellen Tag“

Sabine Zoller

Bad Herrenalb (Weltexpresso) - In den vergangenen Wochen häuften sich in Bad Herrenalb wieder Anrufe, bei denen sogenannte „Enkeltrick“-Betrüger mit dreister Raffinesse versuchten, ältere Menschen in Angst und Panik zu versetzen, um Geld und Schmuck zu ergaunern. Erst vor wenigen Tagen erhielt eine 90-jährige Bürgerin der Stadt einen dieser mysteriösen Anrufe,


„Mutti, Mutti, es ist etwas Schreckliches passiert!“, wimmert eine aufgelöste Stimme. Panik, Tränen, das Zittern in jeder Silbe. Die Angerufene hält den Hörer fest umklammert, das Herz klopft bis zum Hals. Dann übernimmt ein Mann das Gespräch, ruhig, sachlich, fast freundlich:

„Hier spricht Hauptkommissar Berger von der Verkehrspolizei“, sagt er mit tiefer, bestimmter Stimme. „Ihr Sohn hat beim Autofahren das Handy benutzt, eine rote Ampel übersehen und dabei eine Frau angefahren. Sie ringt mit dem Tod.“

Kurze Stille. Dann folgt der Satz, der die Fassung der Frau vollends bricht: „Sie, Frau Müller (Name von der Redaktion geändert), sind als Bürgin eingetragen. Sie können Ihrem Sohn jetzt helfen, aber es muss schnell gehen.“

Wie in Trance beantwortet sie die Fragen des vermeintlichen Polizisten: Geburtsdatum, Wohnort, Familienstand. Alles klingt offiziell. Alles klingt echt. Der Mann am Telefon erklärt, der Staatsanwalt werde sich in Kürze mit ihr in Verbindung setzen. Doch zuvor müsse eine Kaution erfolgen 45.000 Euro in bar. „Wenn Sie das nicht sofort aufbringen können“, so die ruhige Stimme, „würde auch Schmuck akzeptiert.“

Die ältere Dame steht unter Schock, unfähig, klar zu denken. Ihre Hände zittern, der Atem geht stoßweise. Sie will helfen. Sie glaubt jedes Wort. Doch irgendwo tief im Innern regt sich Zweifel. Nach zehn langen Minuten legt sie auf und wählt aufgewühlt die Nummer ihrer Tochter.

Diese hört am Telefon nur einzelne Wortfetzen wie „Unfall“, „Frau liegt im Steben“. Entsetzt ruft sie Polizei und Rettungsdienst, überzeugt, dass vor dem Haus ihrer Mutter ein schrecklicher Unfall geschehen sei.

Doch dort ist alles ruhig. Kein Blaulicht, keine Einsatzfahrzeuge, kein Unfall. Nur eine völlig aufgelöste Frau, blass und zitternd. Wenige Minuten später bringt ein Anruf beim Sohn die Wahrheit ans Licht: Er sitzt wohlauf auf der Arbeit. Kein Unfall. Kein Opfer. Nur eine perfide Lüge.

Die Polizei versucht vor Ort die Nummer zu ermitteln, vergeblich. „Diese Täter agieren hochprofessionell, oft aus dem Ausland, mit psychologisch durchdachter Taktik. Sie kennen ihre Opfer nicht aber sie wissen genau, wie sie deren Herz treffen“, so ein Polizeisprecher.

„Echte Polizisten rufen nie an“

„Wer so etwas erlebt, vergisst es nie“, sagt ein Polizeisprecher aus der Region. „Diese Anrufe hinterlassen Angst, Verwirrung, Hilflosigkeit. Es ist ein emotionaler Überfall.“

Die Polizei warnt mit Nachdruck: Kein echter Polizist ruft an, um Geld zu verlangen. Niemals. Wenn ein Familienmitglied in einen Unfall verwickelt wäre, würden solche Nachrichten immer persönlich überbracht.

Die Täter, oft aus organisierten Banden im Ausland, arbeiten mit psychologischem Feingefühl. Sie wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen. Tränen, Schuldgefühle, Dringlichkeit, alles Teil eines perfiden Drehbuchs.

Wachsamkeit ist die beste Waffe

„Man muss solche Szenarien üben wie einen Feueralarm“, rät die Polizei. „Wenn das Telefon klingelt und eine weinende Stimme nach Geld oder Schmuck verlangt, sofort auflegen, durchatmen, Angehörige oder die 110 anrufen.“

Denn die Täter schlafen nicht. Besonders in der dunklen Jahreszeit, wenn Einsamkeit und Unsicherheit zunehmen, wittern sie ihre Chance. Und jedes Mal, wenn ein Telefon klingelt, beginnt ihr Spiel von Neuem.

Die Betroffenen in Bad Herrenalb hatten Glück. Sie haben den Betrug erkannt, bevor Schaden entstand. Doch zurück bleibt dieses Gefühl, dass sich plötzlich jemand Fremdes in die eigenen vier Wände geschlichen hat, durch eine einfache Telefonleitung.

Und genau davor will die Polizei warnen: Bleiben Sie wachsam. Vertrauen Sie niemandem, der am Telefon Geld fordert, selbst wenn die Stimme vertraut klingt. Denn am anderen Ende lauern Profis, die nur eines wollen: Ihre Angst und Ihr Geld!

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