Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 992
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Am 07. Juli 2025 hat eine Bund-Länder-AG zur Erarbeitung einer Pflegereform ihre Arbeit unter dem Titel „Zukunftspakt Pflege“ aufgenommen. Am 13. Oktober 2025 wurden Zwischenergebnisse der Fachebene veröffentlicht. Bis Ende des Jahres sollen Eckpunkte vorgelegt werden. Politische Lösungen sind dringend erforderlich. Eine Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl 2025 im Auftrag des AOK-Bundesverbandes zeigte, dass die Deutschen „Gesundheit und Pflege“ als wichtigstes politisches Handlungsfeld (48 Prozent) bewerten.
Dem Pflegewesen geht es nicht gut. Eine Priorisierung der Probleme ist schwierig, aber es dürfte unbenommen sein, dass es in dieser Legislatur endlich gelingen muss, die Finanzierungsprobleme nachhaltig zu lösen, um insgesamt Verbesserungen anzuschieben. Folgerichtig beschäftigt sich in der Bund-Länder-AG eine der zwei Facharbeitsgruppen, mit dem Thema „Finanzen“. Die AG hat sich laut den ursprünglichen Arbeitsaufträgen/ unter anderem mit Anreizen für eine eigenverantwortliche Vorsorge, der Einführung von Nachhaltigkeitsfaktoren wie einer Karenzzeit, der Verortung der im Koalitionsvertrag als versicherungsfremd bezeichneten Leistungen (wie den Rentenversicherungsbeiträgen für pflegende Angehörige), mit der Ausbildungsumlage sowie der Begrenzung der Eigenanteile befasst oder noch zu befassen.
Da eine Pflege-Vollversicherung (in Kombination mit einer Bürgerversicherung oder solidarischen Pflegeversicherung, in die alle einzahlen) nicht explizit geprüft und weiterhin im so genannten “Teilleistungsmodell” mit Hilfe zur Pflege als Restkostenversicherer gedacht werden soll, zeichnet sich weiterhin eine Fokussierung auf private Zusatzversicherungsmodelle ab.
Der Zwischenbericht zeigt aber, dass auch Erörterungen zum Sockel-Spitze-Tausch (zunächst vollstationär) geführt wurden. Auch das Beschluss-Papier weist aus, dass u.a. der Sockel-Spitze-Tausch als eine Option weiter geprüft werden soll (mit Gegenfinanzierung über die Mittel des Zuschlages nach § 43c SGB XI). Allerdings wird im Bericht auf S. 4 hervorgehoben, dass eine weitere Befassung lediglich von „einem Teil der Mitglieder der Fach-AG“ angeregt wurde. Dies kommt einer vorweggenommenen Beendigung gleich. So erhärtet sich der Eindruck, dass hauptsächlich zusätzliche kapitaldeckende Elemente in Frage kommen, um steigenden Eigenanteilen etwas entgegenzusetzen. Natürlich kann dies auch kurzfristig gelingen, indem etwa die Finanzierung der Behandlungspflege in Pflegeheimen aus dem SGB V und die Finanzierung von Ausbildungskosten aus Steuermitteln erfolgt oder auch durch Förderung von Investitionskosten. Dies wären aber Einmaleffekte. Geprüft werden soll lt. ursprünglichem Auftrag, ob es sich um eine freiwillige Zusatzversicherung oder um ein verpflichtendes Element handeln soll – entweder eine private verpflichtend abzuschließende Versicherung oder staatlich organisiert in Form individueller Kapitalstöcke und ggf. mit optionaler paritätischer Finanzierungsbeteiligung. Lt. Zwischenbericht scheint es eine Vorfestlegung auf eine „obligatorische“ Zusatzversicherung zu geben. Letztlich – und dies ist der entscheidende Punkt – sind die „Vollversicherungsvarianten“ wie Sockel-Spitze-Tausch, echte Vollversicherung usw. in beiden Sektoren (ambulant und stationär) nur mit einem grundsätzlichen Systemwechsel realisierbar. Dafür muss die Einnahmebasis der sozialen Pflegeversicherung verbreitert werden, etwa durch die Verbeitragung aller Einkommensarten und die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sowie der Zusammenlegung beider Versicherungszweige, mindestens aber einem Finanzausgleich zwischen der privaten und der gesetzlichen Pflegeversicherung. Ist dies nicht der Fall, kommen auch diese Optionen aufgrund des Finanzbedarfs nicht in Betracht.
Da all dies keine Rolle in der Bund-Länder-AG spielt, ist es angesichts der Möglichkeiten zu wenig. Auch die Meinung der Bevölkerung wird außer Acht gelassen. Als Paritätischer haben wir zusammen mit dem Bündnis für eine solidarische Pflege-Vollversicherung im Oktober 2025 eine repräsentative Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben. Sie hat ergeben, dass eine deutliche Mehrheit von 65 Prozent der Bevölkerung für den Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung ist, die alle Pflegekosten übernimmt. Dagegen spricht sich lediglich eine kleine Minderheit von 18 Prozent für eine verpflichtende private Zusatzversicherung aus.
Das Bündnis für eine solidarische Pflege-Vollversicherung hat vor einem Jahr ein Gutachten zu den Beitragssatzeffekten einer Pflege-Bürgervollversicherung erstellen lassen und gezeigt, wie sich die Beitragssatzentwicklung und die Finanzen der Pflegeversicherung bei steigenden Ausgaben stabil halten lassen – ohne Leistungskürzungen und ohne Abkehr vom bewährten Umlagesystem. Dies stellt den dringend benötigten Systemwechsel dar. Privatversicherte und weitere Einkommensarten würden in die Sozialversicherung einbezogen und die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden. Wie die Berechnungen von Prof. Dr. Heinz Rothgang in dem Gutachten zeigen, sind die durch die Bürgerversicherung generierten Mehreinnahmen auch langfristig (bis 2060) ausreichend, um die Vollversicherung (vollständige Übernahme der pflegebedingten Kosten in der stationären Pflege und eine bedarfsgerechte Leistungserhöhung im ambulanten Bereich) zu finanzieren. Für die Pflegeversicherung führen die Bürgerversicherungselemente zu einer Beendigung der strukturellen Einnahmeschwäche und stabilisieren die Finanzierung dieses Systems daher auch nachhaltig.
Die vom Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) vorgelegte Expertise zur geforderten Pflege-Zusatzversicherung, die auch als Stellungnahem an die Bund-Länder-AG adressiert wurde, enthält aus unserer Sicht dagegen keine tragfähige Lösung. Die bisher berechneten Modelle des PKV Experten-Rates „Pflegefinanzen“ zur „Pflege-Plus-Versicherung“/ als Vorschlag für eine sog. generationengerechte, paritätische Pflegekostenversicherung zeigen, dass es sich dabei um ein im Vergleich zur Pflege-Bürgervollversicherung teureres Modell handelt, welches dabei lediglich bis zu 90 Prozent der pflegebedingten Eigenanteile abdeckt. D.h. die Personengruppe, die es heute am ehesten bräuchte, würde lediglich 40 Prozent erhalten. Gravierend ist auch, dass darin alle Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit unberücksichtigt bleiben bzw. darüber hinaus eine „optionale, freiwillige Summenversicherung] empfohlen wird.
Folgende Argumente machen deutlich, dass es im Rahmen einer großen Reform der Pflegefinanzierung nicht zur Etablierung einer verpflichtenden privaten Pflegezusatzversicherung kommen sollte:
- Es gibt einen handfesten sozialpolitischen Handlungsbedarf, die gesetzliche Pflegeversicherung zu reformieren. Eine private (verpflichtende) Zusatzversicherung würde das ursprüngliche Sozialleistungsversprechen weiter ignorieren, dass die „pflegebedingten“ Kosten im Durchschnitt durch die soziale Pflegeversicherung gedeckt werden/
- Eine private verpflichtende Pflege-Zusatzversicherung, die das Lebensrisiko „Pflegebedürftigkeit“ absichert und die ggf. auch noch paritätisch durch den Arbeitgeber mitfinanziert wird, braucht es nicht. Dieses Prinzip ermöglicht bereits die soziale Pflegeversicherung.
- Das Konzept des PKV-Experten-Rat „Pflegefinanzen“ für eine verpflichtende Zusatzversicherung, die zur „Begrenzung“ der pflegebedingten Kosten alle einbezieht, führt: „[…] für die im Einführungsjahr 20-Jährigen bei einem (lebenslang prozentual konstanten) Anspruch auf Aufstockung der Leistungen der Gesetzlichen Pflegeversicherung auf 90 % des Eigenanteils im stationären Sektor zu Monatsprämien von 44 Euro, von denen bei Erwerbstätigen der Arbeitgeber die Hälfte trägt. Die Prämie für die Pflege+Versicherung bleibt bei Verwirklichung der getroffenen, konservativen Annahmen in realen Preisen bis zum Eintritt in die Rente konstant, erhöht sich also jährlich nur im Umfang der allgemeinen Inflationsrate. Im Rentenalter sinkt sie dann auf die Hälfte und ist vom Versicherten alleine zu tragen. […]]. Für „[…] Jüngere Erwerbstätige bis 45 Jahre […] und […] Versicherte, die im Einführungsjahr zwischen 45 und 66 Jahre steigt die im Einführungsjahr zu zahlende Prämie bis auf einen Wert von 64 Euro […]“ Versicherte, „[…] die im Einführungsjahr bereits das 67. Lebensjahr vollendet haben, beträgt die Monatsprämie die Hälfte des zuvor genannten Betrags, also 32 Euro. Die Prämie für die Pflege+ Versicherung bleibt in den Folgejahren bei Verwirklichung der Annahmen des Experten-Rats real konstant, erhöht sich also nur im Umfang der allgemeinen Inflationsrate. Der Leistungsanspruch beläuft sich bei dieser Personengruppe auf 40 % des Eigenanteils. Allein die Prämienhöhen zeigen, dass es sich dabei um keine Kleinigkeit handelt. Zur Herstellung von Generationengerechtigkeit werden hier Alterskohorten getrennt und für aktuelle Rentner*innen anderslautende Regelungen mit „höheren“ Selbstbehalten geschaffen. Daraus wird ersichtlich, dass der Teil der Bevölkerung, der jetzt oder zeitnah auf eine Lösung angewiesen ist, nicht die aus unserer Sicht erforderliche Absicherung erhält.
- Die Idee einer Pflege-Vollversicherung wird häufig mit Verweis auf hohe Kosten zurückgewiesen. Dieses Argument hält aber der genauen Betrachtung gerade im Vergleich zu dem o.g. vorgeschlagenen privaten Zusatzversicherungsmodell nicht stand. Eine Vollversicherung führt zu Mehrausgaben der Pflegeversicherung, die aber bei gleichzeitiger Einführung der Bürgerversicherung praktisch ohne Beitragssatzsteigerung finanziert werden können. Wie die Berechnungen zeigen, sind die durch die Bürgerversicherung generierten Mehreinnahmen auch langfristig ausreichend, um eine Vollversicherungsvariante zu finanzieren. Für die Versicherten mit einem Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die bis Ende 2024 galt, führt die Einführung der Pflegebürgerversicherung nur zu einer marginalen Veränderung der monatlichen Beiträge von weniger als 5 Euro. Dem steht aber die vollständige Übernahme der pflegebedingten Kosten in der Heimpflege und eine Leistungserhöhung im ambulanten Bereich, die ausreichend ist, die derzeitigen durchschnittlichen Eigenanteile zu kompensieren, gegenüber.
- Wie die Gegenüberstellung der Beiträge zeigt, wären die Prämien in dem vorgeschlagenen verpflichtenden Zusatzversicherungsmodell gerade für untere Einkommensgruppen vergleichsweise hoch – auch mit einer im Update des Gutachtens des „Experten-Rat Pflegefinanzen“ der PKV (2025) vorgesehenen sozialen Komponente zur „Halbierung“ bspw. für Geringverdiener. Für Pflegebedürftige in der Häuslichkeit kommen die Autoren des „Expertenrat Pflegefinanzen“ zu der Empfehlung, lediglich eine „optionale, freiwillige Summenversicherung anzubieten. D.h. im Klartext, in der Häuslichen Pflege bleiben alle Betroffenen außen vor – die große Mehrheit also. Die oben aufgerufenen Prämien beziehen sich nur auf den vollstationären Bereich. Prämien für den ambulanten Bereich kämen noch obendrauf.
- Die soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit muss sicher und verlässlich sein. Ist es das bei privaten Pflegezusatzversicherungen? Kapitalorientierte Modelle sind i.d.R. den Risiken der Kapitalmärkte (Inflation und Kursverlusten etc.) ausgesetzt. Die soziale Pflegeversicherung ist es nicht.
- Vehement wird die Erbenschutzdebatte vorgebracht. Eine Vollversicherung schütze eher die Erben wohlhabender Menschen, was bereits der heute bestehenden sozialen Pflegeversicherung vorgehalten wird. Der richtige Ort für diese Debatte ist allerdings nicht am Pflegebett, sondern liegt in Instrumenten wie Vermögens- und Erbschaftssteuer und hat mit der Pflegeversicherung wenig zu tun.
- Gerne wird argumentiert, dass das Kernproblem in der Pflege das Umlageverfahren der gesetzlichen Pflegeversicherung ist, weil demographiebedingt weniger Beitragszahler mehr Ältere und Pflegebedürftige finanzieren müssen. Die demographischen Effekte sind nicht von der Hand zu weisen, aber ist dann in erster Linie nicht die Lösung, dass alle in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen und insbesondere gut Verdienende einbezogenen werden?
- Einem umlagefinanzierten Modell, in das alle einzahlen, wird auch häufig entgegnet, dass Pflegebedürftige entlastet werden, die ihre Pflegekosten in vollstationären Pflegeeinrichtungen mehrere Jahre eigenverantwortlich tragen könnten. Aktuelle Berechnungen zeigen, dass dies auf 2/3 der Rentnerhaushalte zutrifft. Dies ist keine neue Erkenntnis und unterstreicht umso mehr den Handlungsbedarf, denn über 1/3 der Heimbewohner*innen sind wiederum auf Hilfe zur Pflege angewiesen – ein heute schon zu hoher Wert, der nicht mit den sozialpolitischen Zielen der Pflegeversicherung in Einklang zu bringen ist. Die Quote zur Hilfe zur Pflege in Pflegeheimen wird zeitnah bis 2027 weiter steigen auf knapp 36 %].
Dies sind nur einige Argumente und sie machen deutlich: Die Umsetzung einer solidarischen Pflegevollversicherung ist keine Utopie, sondern eine logische Möglichkeit, die fundiert berechnet ist und für die es eine Vielzahl an Argumenten und Instrumenten zur Umsetzung gibt. Nach Lektüre der einzelnen Argumente stellt sich dem Leser ggf. ebenfalls die Frage, wie es sein kann, dass es diese Option nicht expressis verbis in den Katalog der zu prüfenden Themen in der Bund-Länder-AG geschafft hat? Eine verpflichtende private Pflege-Zusatzversicherung ist aus den genannten Gründen keine Option und angesichts der Ziele, die sie verfolgt, obsolet, denn wir haben bereits eine soziale Säule, die das Lebensrisiko Pflegebedürftigkeit auffangen soll. Dies muss endlich erkannt werden. Für eine schnelle Lösung zur Verbreiterung der Einnahmebasis und für einen solidarischen Ausgleich bieten sich auch einzelne Instrumente an: Als erster Schritt kann ein umfassender Finanzausgleich auf der Einnahme- und der Ausgabenseite beider Versicherungszweige bis hin zu einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich etabliert werden. Im Weiteren müsste die Verbeitragung sämtlicher Einkommensarten und eine weitere Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze umgesetzt werden. Es gibt also bessere Möglichkeiten. Wer keine verpflichtende private Zusatzversicherung in der Pflege will, muss jetzt laut werden.
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