dbp17 sechserSerie: Deutscher Buchpreis 2017, Teil 13, Kurze Liste

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kommentar: Die Überraschungen gelten erst mal denen, die nicht mehr dabei sind. Das ist zuvorderst PETER HOLTZ von Ingo Schulz aus dem Fischerverlag. Schulz ist eigentlich, wie auch andere, längst fällig als Preisträger, denn eigentlich stellt man sich schon vor, daß die großen Literaten der Republik, zu denen Schulz gehört, irgendwann mit einem ihrer Bücher dran sind.

Das gilt auch - fürchte ich - für Autorennamen wie Franzobel, Lehr, Menasse, Poschmann, Regener, Zaimoglu und auch für Lüscher als einzigem Schweizer. Drei davon sind nun also bei der Sechserauswahl noch dabei.

Persönlich fehlt mir SCHREICKLIGE GEWALTEN von Jakob Nolte von Matthes & Seitz. Das war mir das ungewöhnlichste Buch, eines, bei dem es nicht mit Lesen getan war, sondern wo man unaufhörlich noch mal zurückgehen mußte, ob man alles richtig verstanden hatte – zudem ein sehr gelehrtes Buch und das ist nicht abwertend gemeint. Ich lerne gerne Neues aus Büchern, auch Fachwissen, auf das ich sonst nie käme. Es sind bei Jakob Nolte aber eben auch die ungewöhnlichen Figuren, die fesseln. Mich wenigstens. Und auch dieses Buch geht um Familien und Familienbande, ob mit oder ohne Karl Kraus. Aber es wird beim Lesen schon klar, daß dies kein Massengeschmack ist. Und natürlich soll ein Buchpreisträger auch für ein Massenpublikum wie es so heißt: kompatibel sein. Denn der Deutsche Buchpreis ist kein rein literarischer, sondern ein Mixtum zwischen Qualität und Verwertbarkeit.

Gut, wichtiger für die Welt und die Leser sind nun die, die weitergekommen sind. Eine kurze Einschätzung. Formal besteht die Auswahl hauptsächlich aus Romanen, die erst gerade im September erschienen sind. Nimmt man den Roman vom August dazu, sind schon fünf der sechs Bücher unmittelbar jetzt erschienen, was heißt, daß die meisten Leser sie noch nicht kennen und darum die Auswahl auch nicht einschätzen können. Das finden wir nicht gut, denn kein Buch aus dem letzten Quartal des Vorjahres und nur eins aus dem Frühjahr dabei zu haben, ist einfach dünn und auffällig. Da könnten die Leser ja glauben, daß sich Bücherlesen erst nach der Auswahl durch die Jury lohnt.

Die Autoren, wieder formal betrachtet, sind zwei Frauen und vier Männer, es sind zwei Österreicher, von fünf auf der Zwanzigerliste, wo übrigens sieben Frauen gesetzt waren. Und: sehr erwähnenswert, von den sechs Romanen stammen drei, also tatsächlich die Hälfte, aus dem Verlag Suhrkamp. Alle diejenigen, die auch bei der 20-Auswahl dabei waren, sind weitergekommen. Das spricht erst einmal für ein gutes Lektorat.

Das ist schon mutig von der Jury und ein dolle Sache für den Suhrkamp Verlag. In der Meldung der Frankfurter Rundschau hieß es: „Jetzt wird Robert Menasse mit seinem Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp, Besprechung siehe unten) gewinnen.“ Und dann folgt auf der selben Zeitungsseite tatsächlich eine begeisterte Besprechung, so als ob die Redaktion genau darauf gewartet habe.

An den Vortagen hatte die FR mit der begeisterten Besprechung von Marion Poschmanns DIE KIEFERNINSELN (auch Suhrkamp) und der wohlwollenden von Sasha Marianna Salzmanns AUSSER SICH ( ebenfalls Suhrkamp) ebenfalls Autoren der kurzen Liste gebracht. Alle drei Suhrkampautoren also Schlag auf Schlag.

Mit Menasses Brüsselroman HAUPTSTADT und einer ausführlichen Kritik zum ausgewählten Roman trumpft auch die FAZ auf, an dem Tag, als sie auf der ersten Seite des Feuilletons die Meldung über die letzten Sechs kommentiert. Und bei Robert Menasse kommt etwas hinzu, was hierzulande kaum zur Kenntnis genommen wird. Im zweiten Jahr gibt es den Österreichischen Buchpreis. Der ist nun anders gestrickt, zeichnet nicht nur Romane aus und unterscheidet: es gibt zwei Listen, eine Liste von zehn Autoren und eine mit drei Debütanten. Es gibt als zwei Preise, die nach der Buchmesse in Wien verliehen werden.

Und auf dieser Zehnerliste ist als einziger von der deutschen Auswahl von 20 Romanen Robert Menasse mit seinem Brüsselroman dabei. Alle neun anderen standen nicht auf der Zwanzigerliste des Deutschen Buchpreises, bzw. umgekehrt: von den weiteren 19 Romanen der bundesdeutschen Liste schaffte es keiner auf die österreichische Auswahlliste.

Das werden wir in einem Extrabeitrag auch noch für die Schweiz aufdröseln. Grundsätzlich ist das aber ein interessanter Fakt und zeigt, wie unterschiedlich Literatur aufgenommen und bewertet wird.

Jetzt aber zu den letzten Sechs und ihren Chancen über Robert Menasse hinaus. Die gilt ganz sicher auch für den zweiten Österreicher, über dessen FLOSS DER MEDUSA wir schon viel schrieben; ein Roman, der sicher, sprachlich und thematisch interessant, uns dennoch nicht vom Hocker riß. Interessant die Zielrichtung in der FAZ, die den ausgewählten Romanen alle die Fernlust attestierte. Die Personen seien immer unterwegs und nicht zu Hause. Das ist deshalb ein interessanter Aspekt, weil wir bei der Zwanzigerliste eine Familienhäufung empfanden. Uns schienen das überproportional viele Familienromane, gerade die kleineren, dünneren Bücher kamen aus dem Inneren von Familien, von zerrrissenen, mehrteiligen – ja eigentlich einer Auflösung des Familienbegriffs als Heimat und Kindheit als sicherer Hort. Davon ist bei der Auswahl auf die letzten Sechs gerade mal  AUSSER SICH von Sasha Marianna Salzmann übrig geblieben.

Wie auch immer. Uns obliegt jetzt, die restlichen Romane noch fertigzulesen und eine Meinung dazu zu formulieren.


Fassen wir zusammen:

Die Jury hat sechs Romane für die letzten Sechs zum Deutschen Buchpreises 2017 ausgewählt:

Gerhard Falkner: Romeo oder Julia (Berlin Verlag, September 2017)
Franzobel: Das Floß der Medusa (Paul Zsolnay, Januar 2017)
Thomas Lehr: Schlafende Sonne (Carl Hanser, August 2017)
Robert Menasse: Die Hauptstadt (Suhrkamp, September 2017)
Marion Poschmann: Die Kieferninseln (Suhrkamp, September 2017)
Sasha Marianna Salzmann: Außer sich (Suhrkamp, September 2017)

Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 200 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2016 und dem 12. September 2017 erschienen sind.

Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2017 gehören neben Katja Gasser an: Silke Behl (Radio Bremen), Mara Delius (Die Welt), Christian Dunker (autorenbuchhandlung berlin), Maria Gazzetti (Casa di Goethe, Rom), Tobias Lehmkuhl (freier Kritiker, Berlin) und Lothar Schröder (Rheinische Post).

Mit dem Deutschen Buchpreis 2017 zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Der Preisträger oder die Preisträgerin erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalistinnen und Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro. Die Preisverleihung findet am 9. Oktober 2017 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt.

Am Montag, 9. Oktober wird dann im Frankfurter Römer der Träger des Deutschen Buchpreises 2017 gekürt. Wie gesagt, meist steht der Autor im Mittelpunkt, wenngleich der Preis eigentlich dem Roman zukommt. forstetzung folgt.

Foto: © faz.net

Info:

Der Deutsche Buchpreis wird von der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben. Förderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland. Interessierte können die Preisverleihung per Live-Stream unter www.deutscher-buchpreis.de verfolgen. Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur übertragen die Preisverleihung im Rahmen von „Dokumente und Debatten“ im Digitalradio und als Livestream im Internet unter www.deutschlandfunk.de.

Ab 27.September 2017 werden Auszüge aus den Shortlist-Titeln in englischer Übersetzung und ein englischsprachiges Dossier zur Shortlist auf dem Internetportal www.new-books-in-german.com präsentiert. „Die Buchpreisblogger“ stellen auf www.deutscher-buchpreis-blog.de die nominierten Titel vor. Die Bloggerinnen und Blogger lesen die 20 Bücher der Longlist, setzen sich mit ihnen auseinander, bieten Hintergrundinformationen und kritische Debattenbeiträge. Zusammengeführt werden die Beiträge auch auf der Facebook-Seite des Deutschen Buchpreises www.facebook.com/DeutscherBuchpreis sowie unter dem Hashtag #dbp17.

Weitere Informationen zum Deutschen Buchpreis 2017 können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.




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