c wirsindnichtdaZum Alzheimer Tag der Auguste D. am 25. November: Olivia Rosenthal im Ulrike Helmer Verlag, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So ungerecht geht es zu. Seit September will Weltexpresso über eine hervorragende Veranstaltung zum Internationalen Alzheimertag, dem 21. 9., durch das Gesundheitsamt Frankfurt berichten, wo Rudolf Dederer seine Erzählung vorstellte, in der er fiktiv nachvollzieht, wie Auguste D. am selben Septembertag 1901 in Begleitung ihre Mannes ihr Haus verläßt und mit der Straßenbahn zum Arzt Alois Alzheimer fährt.

Sie kommt in die - im deutlichen Sprachgebrauch der Bevölkerung IRRENSCHLOSS genannte - psychiatrische Klinik auf dem Affenstein in Frankfurt, eine anteilnehmende und spannende Geschichte, die von Rudolf Dederer einfühlsam und sehr gut nachvollziehbar erzählt wird. In diesem Zusammenhang muß auch Prof. Konrad Maurer erwähnt werden, damals Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes, der die Krankenakte der Auguste D. Ende der 90er Jahre auffand und erstmals literarisch verwertete.

Immer kam zur Absicht, über den Text von Rudolf Dederer: 25. NOVEMBER 1901 VORMITTAGS 10 ½ UHR zu schreiben und von der geradezu aufregenden Veranstaltung zu berichten, etwas dazwischen, dann kam die Buchmesse und... Also, beschloß die Redaktion, den 25. November, der Tag, an dem Auguste D. im Jahr 1901 ihr zu Hause verläßt, zu nutzen, um nun wirklich terminlich genau heute ihren Weg nachzuverfolgen, was so eindringlich in Dederers Erzählung darstellt wird.

Das war das Vorhaben und dann haute das Buch von Olivia Rosenthal WIR SIND NICHT DA UM ZU VERSCHWINDEN rein, ein sehr komplexes, also auch vielschichtiges Werk über die Krankheit A. und den Arzt, Alois Alzheimer, der sie erstmals als eigenständige Krankheit diagnostizierte mitsamt den physiologischen Ursachen. In einer Redaktionskonferenz wurde dann festgelegt, daß zum Tag der Auguste D. , dem 25. November, erst einmal dieses aktuelle Buch von mehreren gelesen und auch von denen, die es wollen, besprochen wird.

Aber am Todestag von Alois Alzheimer, dem 19. Dezember, bringen wir dann die Erinnerung an den Arzt und damit auch die Vorstellung dessen, was sich Interessantes am Alzheimer Tag am 21. September 2017 in Frankfurt tat. Vielleicht sollte man gleich mal weitertragen, daß an Alzheimer zu erkranken, zwar in der Familie das Problem einzelner ist, aber man längst weltweit davon ausgeht, daß derzeit etwas 35 Millionen Menschen schwer dementkrank sind. Bis auf etwa 115 Millionen soll dies bis 2050 ansteigen. Warum in China, Indien und Lateinamerika besonders viele Alzheimerpatienten erwartet werden, hat vielleicht mit deren Bevölkerungsexplosion zu tun.

Inzwischen haben wir also drei Erinnerungstage für diese extremste Form des Gedächtnisverlustes:

- Am 21. September den internationalen Alzheimertag, seit 1994 eingerichtet,

- den 25. November, den Tag, an dem Auguste D., deren Gehirn den Aufschluß über die A. - Krankheit ergab, im Jahr 1901 die Klinik in Frankfurt aufsuchte  und

- den 19. Dezember, an dem im Jahr 1915 der verdienstvolle Arzt Alois Alzheimer in Breslau starb.


Heute am 25. November beginnen wir mit WIR SIND NICHT DA UM ZU VERSCHWINDEN von Olivia Rosenthal, was im Verlag Ulrike Helmer von Birgit Leib aus dem Französischen übersetzt wurde:

„DEN SCHMERZ WILL ich auslöschen
Die Traurigkeit will ich auslöschen
Die Wut will ich auslöschen
Den Hass will ich auslöschen
Ich will alles auslöschen bis auf die Ruhe

Bei der Krankheit A. wählt man nicht aus, wen man vergisst, man vergisst die zuletzt Gekannten, sie verschwimmen, verwischen, vermischen sich und verschwinden
nun muss man neu eröffnen
erfinden
ausgehend von nichts
als ob nichts
als ob nichts gewesen wäre
neu beginnen.“ (113)

Sehr oft überkommt einem beim Lesen das Gefühl, daß die Verfasserin Olivia Rosenthal ihre Sprache, den Duktus, den Inhalt ihrer Darstellung den Phänomenen dieser Krankheit anverwandelt hat, so daß etwas Schwebendes entsteht, etwas, was sich also zwischen den Zeilen eine eigene Wirklichkeit erobert. Und während ich dies gerade niedergeschrieb, nachdem ich zuerst das Gedicht zitierte hatte, lese ich auf der selben Seite weiter: „Fühlte man sich nicht gleichzeitig in höchster Bedrängnis, wäre die Krankheit A. die Krankheit der Eroberer.“ Das ist dann schon ein kleiner Schock, wie man selber die potentielle Eroberung vorwegnahm.

Nun haben wir mittendrinnen angefangen, dabei hat das Buch von 194 Seiten, das erst einmal ästhetisch gefällt, einen so schönen Beginn. Der eigentliche Anfang aber ist das Loch. Denn tatsächlich ist in den petrolgefärbten Titel mit Verfasser- und Verlagsname und der Behauptung: WIR SIND NICHT DA ein ovales Loch gestanzt, durch das auf schwarzem Grund zu lesen ist: UM ZU VERSCHWINDEN, wobei die letzten Buchstaben das Verschwinden schon andeuten, sie werden schwächer und schwächer.

Eine tolle Idee, erst einmal völlig unabhängig vom Inhalt schon ungewöhnlich, aber dann mit diesem Inhalt um die Krankheit A. geradezu genial.


FORTSETZUNG FOLGT

Foto: ©

Info: 
Olivia Rosenthal
Wir sind nicht da, um zu verschwinden
Aus dem Französischen von Birgit Leib
180 Seiten, Hardcover
Ulrike Heimer Verlag
Erschienen August 2017
ISBN 973 3 897414 02 0
Ladenpreis 20,00 Euro

Rudolf Dederer, Frankfurt am Main, 25. November 1901 Vormittags 10 1/2 UHR. Was ist mit Auguste D., biographische Erzählung, Broschüre