Bildschirmfoto 2020 10 26 um 20.26.09Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee: DER NORDEN,der Hörverlag, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Bremer Stadtmusikanten wollen wir nur streifen, denn sicher ist diese Sage bis heute eine der bekanntesten und tatsächlich gibt es auch in Bremen ein Denkmal der Stadtmusikanten, dem Esel, dem Hund, der Katze und dem Hahn. Aber: Ist das überhaupt eine Sage? Und was sind Sagen? Schon kommen wir ins Schleudern, denn die Bremer Stadtmusikanten sind uns als Volksmärchen der Brüder Grimm in ihren Kinder- und Hausmärchen von 1819 bekannt, die heute einfach Grimms Märchen heißen.

Daß Tiere sprechen und auch miteinander auf Deutsch verkehren, das ist kein Alleinstellungsmerkmal von Märchen, auch Sagen berichten von Sagenhaftem. Und da gibt's auch noch die Fabeln und wie ist es  mit der Legende?Das müssen wir uns ein andermal genau anschauen und natürlich kommen wir darauf zurück. Jetzt aber hin und her, geht's um die Bremer Stadtmusikanten und da bin ich nicht so sicher, ob diejenigen, die sagen, "Ja, kenne ich", die Geschichte auch richtig erzählen könnten. Aber immerhin ist der Spruch "Wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall."  Allgemeingut geworden.

Auch den Rattenfänger von Hameln verdanken wir den Brüdern Grimm, allerdings ihren Deutschen Sagen von 1816 und 1818. Der Rattenfänger ist übrigens die bekannteste deutsche Sage, wenn man vom Ausland her auf Deutschland blickt. Denn viele Sagen ähneln sich in verschiedenen Ländern, aber diese Sage ist urdeutsch und bleibt ein Original. Wie sehr aber die eigentliche Aussage, die moralische Lehre, die in jeder Sage steckt, für uns heute genauso gilt, kommt am Schluß. 

Der Sage nach ließ sich im Jahre 1284 zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Der behauptete, er könne die Stadt vnr ihrer unsäglichen Mäuse und Rattenplage befreien. Der Bürgermeister machte einen Kontrakt mit ihm und tatsächlich zog dieser wunderliche Mann eine Pfeife  aus seinem Gewand und fing zu pfeifen an, darob sich in aller Schnelle die Ratten hinter ihm versammelten und er mit ihnen Richtung Weser ging, wo er ins Wasser voranschritt und sie alle folgten und ersoffen.

Verblüfft schauten sich die Bürger an und räsonierten zusammen mit dem  Bürgermeister, daß zwar der Vertragszweck erfüllt sei, die Ratten sind weg, aber daß der Rattenfänger ja kaum Arbeit damit gehabt habe, nicht mal Fallen gestellt oder Gift ausgelegt - die Sage betont ausdrücklich, daß die Bürger die Kunst und Wissenschaft nicht achteten und alles nur nach der Mühe beurteilten -, weshalb der Rattenfänger sich aussuchen könne, ob er mit der Hälfte des Geldes zufrieden sei oder im Turm eingesperrt werde, bis sich herausstelle, ob die Ratten wieder kämen. Verbittert zog der Rattenfänger mit der Hälfte des ausgemachten Lohns von dannen.

Aber an Peter und Paul, am 26. Tag des Vollmonds, kam er im Jägersgewand mit rotem Hut zurück nach Hameln während des Gottesdienstes, zog seine Pfeife heraus und legte los. Und im Nu kamen alle Kinder, die Mägdlein und Knaben von vier Jahren ab  aus den Häusern auf die Gasse, versammelten sich hinter dem Rattenfänger und zogen mit ihm heraus aus Hameln durchs Ostertor Richtung Koppelberg, der sich auftat und wohin die 130 Kinder dem Rattenfänger folgten. Darunter waren auch zwei Kinder, das eine blind, das andere stumm, die nicht schnell genug, zurückgeblieben waren - daher kommt der Spruch: Der Stumme führt den Blinden -, als sich der Berg hinter den Kindern aus Hameln geschlossen hatte. Auch eine Kindermagd  mit ihrem Kind, die neugierig war, kam zu spät. Sie war es, die vom Rattenfänger den kinderlosen Eltern erzälhlte. Die Kinder wurden nie wieder gesehen, sie waren weg. Für immer. 

In Hameln ging es nun rund. Und die Bürger beschimpften sich selbst und den Bürgermeister, daß sie sich so geizig gezeigt hatten: BLÖDSINNIGER GEIZ UND  SPARSAMKEIT SIND DIE WURZELN ALLEN ÜBELS!  Das galt nicht nur für die verschwundenen Kinder, das gilt auch für die Politik der Bundesrepublik und genau das ist es, was der Rattenfänger von Hameln mit Hartz 4 zu tun hat. Aber im Gegensatz zu den auf immer verschwundenen Kindern, lassen sich in der Politik Fehler, wenn schon nicht wieder gut machen, so doch für die Zukunft korrigieren.

Diese Sage war mir bis in die Formulierungen hinein noch heute gegenwärtig, nicht aber die Diskussion, die es in der Literatur über das Schicksal der Kinder gibt. Die nämlich soll der Rattenfänger unterirdisch bis Siebenbürgen geführt haben, wo sie ans LIcht kamen und die ersten deutschsprachigen Siedler wurden. Einig sind sich die Sagenforscher, daß die Sage vom Rattenfänger von Hameln mit der Ostkolonisation zu tun hat, wohin junge Männer und Frauen - keine Kinder - gingen in der Hoffnung, ein besseres Leben führen zu können. Heute geht die Diskussion in die Richtung, daß es sich eher um Brandenburg gehandelt haben soll, wohin die Hamelner gingen, denn nur dort gibt es ähnliche Ortsnamen, in Siebenbürgen überhaupt nicht. Das ist eine spannende Deutung der Entstehung einer Sage.

FORTSETZUNG FOLGT.

Foto:
Bremer Stadtmusikanten vor dem Bremer Rathaus von Gerhard Marcks 1953
© privat

Info:
Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee, 6 CD, mono,
Gesamtlaufzeit 8 h, 17 min.,Hörverlag,
ISBN 978-3-8445-4014-7