KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Oktober 2013

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Na, das hat uns sozusagen kalt erwischt! Da kommt zuerst einmal die KrimiBestenListe für Oktober schon im September und dann schnellt aus der Tiefe des Raumes auch ein völlig neuer Kriminalroman an die Spitze, dessen Autor uns allerdings bekannt ist. Jerome Charyn hat eine doppelte literarische Top-Qualität. Er ist berühmt für autobiographische Romane und Bücher über New York oder den Film.

 

Seine andere Seite zeigt ihn als Verfasser der mythischen Romanserie um Isaac Sidel, den jüdischen Polizisten und Verbrecher, der zum Bürgermeister New Yorks aufsteigt und in diesem, dem elften Band, sogar Präsident der Vereinigten Staaten wird. Seine Leserschaft ist deshalb sehr unterschiedlich, fast kann man sagen: zweigeteilt, denn seinen 'hochliterarischen' Ambitionen galten bisher in Deutschland bisher stärkere Anerkennung als seinem Werk der Kriminalliteratur. Wir selbst können das noch nicht beurteilen – wirklich kalt erwischt – werden aber das nächste Mal mitsprechen können, ob die Lobsprüche von Don DeLillo oder der KrimiBestenListe von uns geteilt werden.

 

Bisher wissen wir nur, daß in diesem elften Band der Autor alles Bisherige zusammenführt: die ins Mythische gesteigerte Geschichte von New York und ihrer – jüdischen – Gangster, das Charisma seines Helden mit der Glock und der großen Liebe zu magischen Frauen, den ewigen Kampf um die Erhaltung einer Welt, in der ein Mann in Pantoffeln ein Gangsterimperium leiten kann.

 

Dafür könnten wir aber viel über Andrea Maria Schenkels neuen Krimi TÄUSCHER aus dem Verlag Hoffmann und Campe sagen, der vom dritten Platz auf den zweiten vorgerutscht ist und die Meisterin der kurzen Krimis mit den knappen und volkstümlichen Sätzen in Hochform zeigt. Wer über die Autorin immer noch nicht viel weiß, was wir nicht verstehen könnten, sollte in der letztmonatlichen Besprechung nachlesen. Hier geht es jetzt erneut um eine wahre Begebenheit, der sie ihre Form gibt. Ein äußerst blutiger Doppelmord, der noch dazu die Morde dem gerade angelaufen Kinofilm nachmacht, erschüttert 1922 das südliche Deutschland.

 

In einzelnen Kapiteln, die den Tag, den Ort - meist Landshut, auch München – und sogar die Uhrzeit nebst den im Kapitel handelnden Personen vornewegstellt, erzählt die Autorin meist in wörtlicher Rede und das heißt oft in niederbayerischen kräftigen Ausdrücken sachlich, was passiert ist. Der Trick dabei ist, daß sie den eigentlichen Ablauf nicht zeitlich hintereinander wegerzählt, sondern die Geschichte so folgen läßt, wie sie in der öffentlichen Wahrnehmung ans Licht kam. Schließlich wurde der wirklich etwas merkwürdige Bürstenfabrikantensohn Hubert Täuscher wegen des Doppelmordes hingerichtet, obwohl man schon beim Lesen erkennt, daß er es nicht gewesen sein kann.

 

Eigentlich ahnt man auch den eigentlichen Schuldigen, der tatsächlich davon kommt, recht bald, aber dann hat die Autorin uns noch diesen Dritten in unsere Aufmerksamkeit hineingeschraubt, der feine Herr da, der mit den Schuhen, den unterschiedlichen. Das macht sie wirklich doll und das Dollste ist dann, daß wir am Ende...aber nein, selber lesen. Wir haben nur eine Einschränkung und die gilt nicht der Autorin, sondern dem Lektorat diese von uns sehr geschätzten Verlags. Auf Seite 109 sagt der Richter: „Seien Sie mir nicht böse, aber das macht doch keinen Sinn.“

 

In Romanen dürfen die Leute zwar auch falsches Deutsch sprechen, aber diese hanebüchene und heute so beliebte falsche Übersetzung aus dem Englischen gab es im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts noch nicht im deutschen Sprachgebrauch. Sie kam erst in den Neunzigern auf, als erst einmal Politiker lauthals von sich gaben, was alles einen oder keinen „Sinn mache“, weil sie das englische 'to make sense' falsch ins Deutsche übertrugen. Es heißt aber nicht 'to do sense', sondern das 'make' wird, da das Englische über zwei Vokabeln für 'machen' verfügt, in dem Sinn im Deutschen verwandt, wie 'drei und drei macht sechs', also ergibt sechs, wie es im Deutschen immer schon hieß, wenn sich ein Sinn ergab. Denn buchstäblich „machen“ kann man den Sinn eben nicht, weshalb es nicht nur falsch, sondern auch ein autoritärer Sprachgebrauch ist. Das neuerdings beliebte, unsinnige englische Apostroph auf Seite 151 ist übrigens auch falsch.

 

ZÜGELLOS von Dominique Manotti von Ariadne, nun vom 1. auf den 3. Platz haben wir schon oft gelobt, so geht es einem guten Roman öfter, wenn er lange dabei ist, rutscht er runter. Bleibt trotzdem ein phantastischer Krimi der Französin. Vom 9. auf den 4. Rang stieg dagegen MANHATTAN FEVER von Walter Mosley aus dem Suhrkamp Verlag hoch. Ein spannender Krimi, den wir das nächste Mal länger beleuchten wollen, wie auch TÖDLICHE OHNMACHT von C.S. Forester, erschienen bei dtv, der nun um einen Platz auf den 5. Rang aufstieg. Dem KATHOLISCHEN BULLEN, nun Platz 6, geht es ähnlich wie der Manotti, das Neue überrollt ihn, der von Adrian McKinty verfaßte Krimi aus dem Suhrkamp Verlag bleibt dennoch etwas ganz Besonderes.

 

Neu auf Platz 7 folgt STIRB FÜR MICH von Robert Wilson, herausgebracht von Page&Turner. Wilson hatte schon einmal den Deutschen Krimipreis erhalten. Es geht um Wirtschaft und Kriminalität in London. Das nächste Mal mehr. Die Kommentierung der nächsten drei Krimis entnehmen Sie bitte den letztmonatlichen Artikeln.

 

KrimiZEIT – die Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio 10/2013

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(-)

Jerome Charyn: Unter dem Auge Gottes

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Penser Pulp bei Diaphanes, 286 S., 16,95 €

New York/Texas 1988. Isaac Sidel, noch Bürgermeister von New York, ist designierter Vizepräsident der USA. Die Bronx wird an die Army verscherbelt. Um sie zu retten, fightet Sidel mit dem letzten jüdischen Gangster, mit wiedererweckten Geliebten und seinen Dämonen. Band 11 des größten Crime-Mythos der Gegenwart. Charyn lesen ist Rausch.

2

2

(3)

Andrea Maria Schenkel: Täuscher

Hoffmann und Campe, 240 S., 18,99 €

Landshut 1922. Hubert Täuscher, Bürstenfabrikantensohn und „Weiberer“, als Mörder der Klavierlehrerin Ganslmeier und ihrer Mutter verhaftet, angeklagt, hingerichtet. Sittenbild aus der Inflationszeit nach wahren Begebenheiten. Rekonstruktion eines Justizirrtums. Well done in Schenkels Manier.

3

3

(1)

Dominique Manotti: Zügellos

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Argument/Ariadne, 286 S., 18,00 €

Paris 1989. Im Osten wankt die Mauer, bei Paris brennen die Pferde. Versicherungsbetrug, Drogenhandel, Rosstäuscherei, Begünstigung, Mord – Wirtschaftsbosse und Polit-Amigos hemmungslos im Bereicherungsrausch, gereifte 68er am Ruder. Scharfer Witz und klare Sprache: Manotti.

4

4

(9)

Walter Mosley: Manhattan Fever

Aus dem Englischen von Kristian Lutze

Suhrkamp, 380 S., 9,99 €

Manhattan. In Gangsterdiensten hatte Leonid McGill Zella gefälschte Beweise untergeschoben, als geläuterter Privatdetektiv will er die Knast-Entlassene nun vor weiteren Folgen seiner Tat bewahren. 58 Millionen wurden damals geklaut, jetzt bringen die Diebe alle Zeugen um. Mosley wieder in Form.

5

5

(6)

C. S. Forester: Tödliche Ohnmacht

Aus dem Englischen von Britta Mümmler

dtv, 280 S., 14,90 €

London/Sussex. Im 1935 verfassten und verschollenen, erst 2011 entdeckten Roman erweist sich Käptn-Hornblower-Erfinder Forester als Meister des psychologischen Noirs. Familiengewalt, Notwehr, Opfer – parteiisch und einfühlsam aus damals außergewöhnlicher weiblicher Perspektive. Eine Sensation.

6

6

(2)

Adrian McKinty: Der katholische Bulle

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 384 S., 19,95 €

Belfast 1981. DS Duffy, einziger Katholik unter Protestanten, glaubt fest an die Aufklärungspflicht der Polizei. Harter Job im glimmenden Bürgerkrieg. Jagt er Schwulenmörder, IRA-Bosse oder protestantische Paramilitärs? Wem nützt sein Wahrheitswille zuletzt? Duffy blickt durch: angeschossen, aber optimistisch.

7

7

(-)

Robert Wilson : Stirb für mich

Aus dem Englischen von Kristian Lutze

Page&Turner, 542 S., 14,99 €

London/Mumbai. Alyshia, Tochter eines indischen Millardärs mit Geheimdienst- und Verbrecherkontakten, wird entführt. Eine Strafaktion gegen den Vater? Kidnapping-Consultant Boxer navigiert auf Sicht im Meer globaler Verwicklungen. Bös verzwickt.

8

8

(10)

Dror Mishani: Vermisst

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Zsolnay, 352 S., 17,90 €

Cholon, Israel. Inspektor Avraham liebt es, die Fehlschlüsse von Krimi-Detektiven aufzudecken. Im Fall des verschwundenen Jugendlichen Ofer Sharabi erfährt er quälend, dass die komplexe Realität auch seinen unbestechlichen Ermittlerblick trüben kann. Very sophisticated. Vielversprechendes Debüt.

9

9

(5)

Carsten Stroud: Die Rückkehr

Aus dem Englischen von Robin Detje

Dumont, 608 S., 19,99 €

USA, im Süden. Band 2 der Niceville-Trilogie bildet die Brücke zwischen alter Südstaaten-Blutschuld und brutal-grotesker Gegenwart. Fossilien tauchen auf, Bankräuber unter. Der Kampf fokussiert sich auf Jung-Rainey: Was gewinnt die Macht über ihn? Fein gewirkter Horror-Crime-Fantasy-Mix.

10

10

(2 im August 2013 )

 

 

Patrícia Melo: Leichendieb

Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita

Tropen, 208 S., 18,95 €

Corumbá, Grenze Brasilien/Bolivien. Dem namenlosen Icherzähler dieser moralischen Groteske fällt beim Angeln ein Flugzeug vor die Füße. Darin der sterbende Sohn eines reichen Viehzüchters und ein Kilo Koks. Welch ein Glück! Der Angler beginnt zu handeln: mit Stoff, mit Leichen, mit Zukunft. Melo ist Extraklasse.

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. Diesmal der Buchmesse im Oktober wegen schon am letzten Donnerstag im September.

Vorgestellt wurde die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 26. September 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 26. September 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.



 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag



http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag