westwindSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Februar 2021 , Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vom sechsten Rang im Vormonat, ist WESTWIND auf Platz 3 hochgewertet. Sicher ist es Zufall, daß zwei englandtypische Krimis auf der Bestenliste stehen, die so gleich wie verschieden sind, denn auch Robert Galbraith BÖSES BLUT ist noch dabei, jetzt auf dem achten Platz, zuvor auf Fünf.

Kommen wir auf das Gleiche, das Verschiedene soll im nächsten Beitrag folgen. Gleich sind solche englischen Romane in Zweierlei. Sie haben ein großes Vertrauen in ihren Stoff und auch ihre Leserschaft. Denn diese Art von Romane entwickeln sich ganz langsam, den Personen und ihrer Individualität wird großer Raum gegeben. Das sind die formalen Gleichheiten. Und dann gibt es diese Originalität in der Figurengestaltung. Bei WESTWIND kommt hinzu, daß die Handlung 1491 spielt. Da war in Europa allerhand los und ein Jahr später entdeckt Christoph Columbus Amerika und die Neue Welt beginnt.

Doch davon ist in Oakham, Somerset, also im Süden Englands, keine Rede, dort ist nichts weiter bekannt, als daß das Leben der Menschen Qual und Arbeit ist und daß man sich an kleine Freuden halten muß, will man überleben. John Reve ist der örtliche Pfarrer, Priester der Katholischen Kirche, die damals noch in England zu Hause war. Eigenartig, daß genau im selben Jahr 1491 in Greenwich Henry Tudor geboren wurde, der als Heinrich VIII die Trennung von Rom vollzog und die Anglikanische Staatskirche errichtete. Doch davon sind wir noch entfernt, die Menschen sind fromm und erwarten von der Kirche nichts Schlechtes, sondern ihr Seelenheil.

Die Autorin, die für sogenannte Spannungsromane bekannt und hochgeehrt ist, ist für Zweierlei gut. Ihre sprachliche Gestaltung der Gedanken, der Gespräche, der Einsichten der Einwohner des kleinen armen Dorfes ist oft in wundersame Sätze gehüllt, die poetisch und einfach possierlich sind, ohne jegliche gewollte Altertümlichkeit sind das Eine. Das Andere ist ihre Entscheidung, die Geschichte vom Schwanz aus auszuführen. Doch das merkt man erst zwischendurch, spätestens als der Icherzähler und Dorfpfarrer im vierten Kapitel die Gans bekommt, die er schon in den vorherigen gebraten und gegessen hat. Das ist echt originell.

Hintergrund ist, daß der reichste Mann des Ortes, ein fescher Reicher, der nach Oakham gekommen ist, als seine Frau und Tochter gestorben waren, und nun mit seinem Geld die örtliche Wirtschaft in Gang setzt, so daß alle zu essen haben, tot sein muß, denn der Bursche Herry Carter hat bei dem Dauerregen und Sturm, der zum Abbruch der gerade gebauten Brücke über den Fluß geführt hat, dort im Wasser die Leiche eines Mannes gefunden, weshalb er zurücklief und den schlafenden Pater weckte, damit er mitkomme. Was dieser tut. Doch als sie an die Stelle gelangen, ist die Leiche fortgeschwemmt, nur das Hemd hängt in den Zweigen, von dem jeder weiß, daß es Tom Newman trug.

Was sich nun tut, ist eine regelrechte Hanswurstiade, was angesichts eines Todes natürlich ein starker Begriff ist. Aber er soll ausdrücken, daß sich nach der Meldung des Toten und dem übergeordneten Dekan, der nach Oakham kommt, um nach dem Rechten zu schauen, wir mit dem so naiv und brav scheinenden Priester hinter fast alle Geheimnisse der kleinen Ortschaft kommen. Schließlich hat dieser kurz vor der Fastenzeit einen großen Ablaß versprochen für diejenigen, die zur Beichte kommen, was nach und nach alle Einwohner tun, weshalb wir Leser immer dabei sind. Bei den Beichten. Wirklich witzig und auch ungewöhnlich, daß das Beichtgeheimnis auch gegenüber dem Dekan gebrochen wird, denn der hatte ja diese Aktion als Aufklärung über Mord, Selbstmord oder Unfall des Tom Newman angeordnet.

Wie es wirklich war, wissen wir am Schluß. Dann kennen wir die internen Verhältnisse, wer mit wem und wer mit wem nicht. Insbesondere die Tatsache, daß die Mönche schon wild darauf sind, das Dorf zu übernehmen, was keiner will, kann erklären, weshalb der Tote in seinem Testament den Mann am Ort zum Erben bestimmte, von dem er einst das bewirtschaftete Land gekauft hatte und der der zweite Großgrundbesitzer am Ort ist, mit dessen Frau Newman zudem ein Verhältnis hatte.

Es geht rund in diesem kleinen Ort, den John Reve zwar ängstlich, aber souverän durch die Schwierigkeiten manövriert. Nur mit einem muß er leben. Er hat versäumt, dem Toten die letzte Beichte abzunehmen, als dieser es wollte, weshalb der Arme nun in der Vorhölle warten muß, obwohl er doch ein so guter Mann war.

FORTSETZUNG FOLGT


KRIMIBESTENLISTE IM FEBRUAR


1 (4) Tim MacGabhann: „Der erste Tote“
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp, Berlin 2020
274 Seiten, 15,95 Euro

Poza Rica, Mexiko. Blutiges Erdöl. Der irische Journalist Andrew und der Fotograf Carlos stolpern über einen massakrierten Öko-Aktivisten. Als auch Carlos ermordet wird – von einem Polizisten –, überwindet Andrew seine Angst und recherchiert: Staat und US-Konzerne vereint gegen Natur und Indigene.


2 (10) David Whish-Wilson: „Das große Aufräumen“
Aus dem Englischen von Sven Koch
Suhrkamp, Berlin 2020
327 Seiten, zehn Euro

David Whish-Wilson: „Das große Aufräumen“ (Suhrkamp / Deutschlandradio)
Perth 1983. Ex-Superintendent Swann, jetzt Privatdetektiv, soll dem neuen Premier die unsauberen Wege ebnen. Mit und gegen Bikerklubs, korrupte Polizeibanden, lokale Gangster, Baulöwen und Spindoctors. Swann verfolgt seine eigene Agenda: treu, mit leichten Skrupeln, kompromisslos clever und rau.


3 (6) Samantha Harvey: „Westwind“
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs
Atrium, Hamburg 2020
382 Seiten, 22 Euro

„Oakham“, Somerset 1491. Der reichste Mann des ärmsten Dorfes ist tot, der Dekan steckt seine Nase in alle Ritzen, Pfarrer John Reve möchte nicht „Richter und Sheriff“ zugleich sein. Als ließe sich die Zeit zurückdrehen, erzählt Reves Ich vier Tage rückwärts: Scham, (geistige) Armut, Lügen.


4 (2) Dominique Manotti: „Marseille.73“
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Ariadne im Argumentverlag, Hamburg 2020
400 Seiten, 23 Euro

Als ein verrückter Araber einen Busfahrer ersticht, legen die Fremdenhasser los. Malek, 16, Berufsschüler, wird niedergeschossen. Commissaire Daquin und sein Team agieren taktisch klug und fast allein gegen Ausländerhass, Mordwut, Verlustangst, Rassisten im Apparat. All das gab es schon in Marseille 1973.


5 (- ) Stephen Hunter: „Im Visier des Snipers“
Aus dem Englischen von Patrick Baumann
Festa-Verlag, Leipzig 2020
592 Seiten, 14,99 Euro

Vier Heroen der Antikriegsbewegung niedergeschossen, Präzisionsarbeit. Ex-Marine Bob Lee Swagger wird vom FBI angeheuert: Nur Scharfschützen können Scharfschützen jagen. Ein legendärer Vietnam-Veteran wird verdächtigt, aber Swagger stellt die wahren Übeltäter und rettet die Ehre seiner Profession.


6. (-) Graham Moore: „Verweigerung“
Übersetzt von André Mumot
Eichborn, Köln 2020
400 Seiten, 22 Euro

Los Angeles. Vor zehn Jahren hat Maya als Jurymitglied verhindert, dass ein Schwarzer wegen Mordes an der 15-jährigen Tochter eines Immobilien-Tycoons verurteilt wurde. Heute ist Maya Anwältin, die alte Jury kommt wieder zusammen. Tot in ihrem Hotel: der Widersacher von damals. Im Zweifel für die Täuschung.


7 (1) Candice Fox: „Dark“
Aus dem Englischen von Andrea O‘Brien
Suhrkamp, Berlin 2020
394 Seiten, 15,95 Euro

Los Angeles. Irgendwo ist die Beute von einem Bankraub versteckt. Aber das spielt erst mal keine Rolle, denn die Tochter der Diebin Sneak ist verschwunden. Vier Frauen – eine Ärztin und verurteilte Mörderin, eine Polizistin, eine Gangsterin und die Mutter – suchen sie. Im Dunkel des Sunshine State. Rabiat.


8 (5) Robert Galbraith: „Böses Blut“
Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz
Blanvalet, München 2020
1194 Seiten, 26 Euro

London, Cornwall. Strike und Robin haben einen Cold Case: Vor 40 Jahren verschwand eine Ärztin. Ein Serienmörder ist verdächtig, jetzt will die Tochter Wahrheit. Ergebnis wie Lösungsweg können Vorurteile Hegenden nicht gefallen. Galbraith seziert Beziehungszwänge. Gekonnt weitschweifige Bösartigkeit.


9 (-) Doug Johnstone: „Der Bruch“
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Polar, Stuttgart 2021
308 Seiten, 20 Euro

Edinburgh. Tyler, 17, zwischen allen Stühlen. Er sorgt für Schwester Bean, sieben, und Junkie-Mum Angela, hilft Bruder Barry einbrechen. Als Psycho Barry die Frau eines Gangsterbosses absticht, sind auch noch die Bullen hinter ihm her. Brutales Sozialdrama, voller Bitterkeit mit einem Tröpfchen Sentimentalität.


10 (8) Nicci French: „Eine bittere Wahrheit“
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller
C. Bertelsmann, München 2

„Okeham“, England. Tabitha ist in das Dorf ihrer Jugend zurückgekehrt, hat den Lehrer von damals tot im Schuppen gefunden und sitzt jetzt unter Mordanklage in Untersuchungshaft: Depressiv, von Medikamenten benebelt, sich selbst verteidigend ohne Beistand. Psychologisch fein, leise Spannung.020
506 Seiten, 16 Euro


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste erscheint  nicht mehr am ersten Sonntag des Monats in der Printausgabe: www.faz.net !!! Diezukünftigen Krimibestenlisten  2021 sind allerdings noch nicht einmal  online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Noch einmal im Klartext: Leider gibt es die Liste ab 2021  noch nicht einmal  im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachveröffentlichen.

An jedem ersten Freitag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war zuvor eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein wichtiges Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.

Die Jury:

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, ARD
Gunter Blank, „Rolling Stone“
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Alf Mayer, „CulturMag“, „Strandgut“
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, „SWR“, „WDR“
Frank Rumpel, „SWR“
Ingeborg Sperl, „Der Standard“
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Wie funktioniert die Abstimmung?

Die Krimibestenliste wird im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur durch eine Jury aus Kritikerinnen und Kritikern erstellt.

Es sind die obigen 19 Spezialistinnen und Spezialisten für Kriminalliteratur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die aus der laufenden Produktion monatlich jeweils vier Titel vorschlagen, die sie mit sieben, fünf, drei oder einem Punkt bewerten.

Der so gefundene Punktwert pro Titel wird mit der Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen multipliziert. Daraus wird die monatliche Liste berechnet.

Jedes Jurymitglied darf insgesamt drei Mal für denselben Titel votieren. Voten für Titel, an deren Entstehung oder Vorbereitung man beteiligt war, sind verboten.

Die Titel dürfen nicht älter als zwölf Monate und keine Wiederauflagen, Sammelbände oder Anthologien sein. Unterschiede zwischen Hardcover, Paperback und Taschenbuch werden nicht gemacht.

Im Durchschnitt kommen fünf Titel neu auf die monatliche Liste. Die Ziffer in Klammern gibt den Rang des Vormonats an.


Cover

Info:
Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO  im Dezember 2020
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20678-goetter-und-tiere-von-denise-mina-von-ariadne-weiterhin-auf-platz-
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20679-platz-6-eric-plamondon-mit-taqawan-aus-dem-lenos-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20680-platz-1-denise-mina-goetter-und-tiere-ariadne-im-argument-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20735-die-guten-krimis-von-gestern-annas-rendon-steph-cha-u-a
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20733-real-tigers-von-mick-herron-von-diogenes-auf-platz-4
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20894-platz-9-und-10-ungewoehnliche-amerikanische-verbrecher-damals-1919-und-heute


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Januar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20958-dark-von-candice-fox-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20962-dominique-manotti-mit-marseille-73-von-ariadne-bleibt-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20972-unter-den-ausgeschiedenen-kalmann-von-joachim-b-schmidt
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21031-unter-den-ausgeschiedenen-heisses-blut-von-un-su-kim
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21023-unter-den-ausgeschiedenen-dammbruch-von-robert-brack
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21050-neu-auf-platz-8-nicci-french-mit-eine-bittere-wahrheit
konnten wir noch nicht besprechen, das wollten wir im Zusammenhang mit der Februarliste leisten, aber, siehe Teil 1, leider ist DIE RESIDENTUR einfach weggefallen. Deshalb wird in einer der nächsten Teile eine Besprechung folgen!

Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Februar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21208-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21211-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21226-dark-von-candice-fox-aus-dem-suhrkamp-verlag-auf-platz-7
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21248-westwind-von-samantha-harvey-im-atrium-verlag-auf-platz-3
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21249-boeses-blut-von-robert-galbraith-verlag-blanvalet-auf-dem-achten-rang