sudtirolkunstAuf die Schnelle: Gute Kulturliteratur, gebraucht, Teil 86

Felicitas Schubert

München (Weltexpresso) – Erlebnis KUNST in Südtirol heißt das Buch aus dem Folio Verlag, der einer der wenigen Verlage ist, die in Bozen/Südtirol und in Wien zu Hause ist. Wir schauen immer nach den dortigen Neuerscheinungen, weil dieser Verlag uns über wichtige italienische Autoren informiert. Dies jedoch ist ein Buch, das schon vor einigen Jahren herauskam, aber mit einem Thema, das aus der Vergangenheit Gegenwart macht.

In einer Einführung richtet sich Autor Andreas Hapkemeyer vorrangig an Südtirolreisende, aber natürlich auch an Einheimische und bietet einen geschichtlichen Abriß, der auch denen gut tut, die eigentlich die Gegend und die Geschichte kennen. Mit dem 1. Jahrhundert vor Chr. zogen die Römer über die Alpen und beherrschten und vermischten sich mit der ursprünglichen Bevölkerung., Diese Romanisierung hielt über 500 Jahre an, aber mit 500 n. Chr. wanderten die Bajuwaren ein und germanisierten diesen Bereich. Seit 1363 haben die Habsburger Tirol übernommen und in Innsbruck eine 500 Jahre währende Dependance errichtet, wobei Südtirol selbstverständlicher Teil Tirols war und blieb. Noch im Jahr 1910 waren 92 Prozent der 223 000 Personen umfassenden Bevölkerung Südtirols deutschsprechend, nur 4 Prozent sprachen Italienisch, ebenfalls 4 Prozent rätoromanisch.

Das änderte sich nach dem 1. Weltkrieg, 1919, als Tirol durch den Vertrag von St. Germain geteilt wurde und Südtirol Italien zugeschlagen wurde. Von 1922 bis 1943 verfolgten die Faschisten unter Mussolini massiv die Italienisierung, verboten die deutsche Sprache in Schulen und Behörden und setzen überall italienische Bürgermeister ein. In diesen Jahren wird insbesondere Bozen aufgemotzt, mit Industriebetrieben bestückt, damit Arbeitsplätze für eine Umsiedelung von Süditalienern in den Norden italienisiert. Unter den Deutschen 1939 bis 1941 war die Option der Umsiedlung ins Deutsche Reich favorisiert. Über 80 Prozent sprachen sich für die Auswanderung aus, von denen nur ein Viertel wirklich ging.

Nach 1945 wurde ergebnislos um eine Autonomie für Südtirol verhandelt. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, was aber in der Nachkriegszeit in Österreich ein heißes Eisen war, daß immer wieder Attentate verübt wurden, an Tunneln oder österreichischen Denkmälern. Erst 1972 wurden in einem Zweiten Autonomieabkommen Deutsch und Italienisch als gleichwertige Amtssprachen anerkannt.

Auf den Eingangsseiten wird Südtirol mit den wichtigsten Orten und den in ihnen befindlichen historischen Stätten angezeigt. Auf Anhieb sieht man, daß das südlich liegende Bozen den Löwenanteil hat, aber auch Brixen viel zu bieten hat, insgesamt erkennen wir eine Kulturlandschaft, weil es an mehreren Orten Schlösser oder Klöster gibt. Man fühlt sich wohl, wenn man in einem Buch gleich eine Orientierung hat.

Es geht dann mit zwei Straßen in Bozen los, die ihre Geschichte erzählen. Keimzelle der Stadt ist die mittelalterliche 300 Meter lange Laubengasse, deren Häuser nun der Reihe nach im Mittelpunkt stehen. Wie damals üblich, wo die Häuser der Stadt nach ihrer Breite Steuer zahlen mußten, sind die sehr schmal, dafür sehr hoch gebaut. Jedes Haus sieht anders aus. Man sieht sie im Bild und erfährt ihre Geschichte. Gleich möchte man mit dem Buch dort umherwandern.

Und dann wird es systematisch, weil die Bogen und Gewölbe in den Blick genommen werden.Schon aufgrund der Bilder will man gleich hinfahren, denn es ist hinreißend, wie original alles ausschaut. Völlig anderer Art ist dann der BOULEVARD DER MACHT, der am Fluchtpunkt der neuen Stadt Anfang der 1930er Jahre mit dem Siegerdenkmal Italien repräsentieren soll. Mehr als römisch angehaut, ist es im Mussolinistil erbaut. Daneben der Corso, der mitsamt vieler repräsentativer städtischer Wohnhäuser Platz schaffen sollte für die seit damals angestrebten 100 000 Einwohnern. Doch die sind erst in diesem Jahrtausend erreicht worden. 2011 zählte man 102 575 Bürger und aus der ursprünglich überwiegenden deutschsprachigen Bevölkerung sind gerade mal 13 von 50 übrig geblieben. Der moderne Wohnungsbau wird architektonisch am Rechten Winkel durchexerziert.

Das nächste Kapitel zeigt Kunst im Dienst. Was das heißt? Die Auftragskunst der Kirche, des Adels, all derer, die Wände zu bemalen hatten oder an ihnen Gemälde aufhängen oder Skulpturen aufstellen wollten. Dazu ist Wissen über das Christentum wichtig, um die Bilder einordnen zu können. Es wird aber auch der Maler gedacht, die naiven und die geschulten, die Tafelmaler oder die Freskenmaler. Nicht zu vergessen die Stifter dieser Kunst.

Das waren nur einige Kapitel, zu denen die Berge, die Täler, die Natur und so viel anderes dazu kommt, daß man auch ohne das Land Südtirol spürt. Aber wir sind sicher, wer das liest und noch nicht dort war, der fährt hin, wenn man wieder reisen darf.

Foto:
Cover

Info:
Andreas Hapkemeyer, Erlebnis KUNST in Südtirol. Von Fratzen, Fresken und Fassaden, Folio Verlag 2016
ISBN 978 3 85256 692 4