Selbstschreiben SelbstverlegenVeröffentlichen nicht immer Gold

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Schriftsteller werden“, „Verlag sucht Autoren“, „Durch Self-Publishing zum Erfolgsautor“. Auf solche und ähnliche Treffer stößt man immer wieder in Internetsuchmaschinen.

Selbst dann, wenn man Begriffe eingibt, die allenfalls indirekt etwas mit publizistischen Themen zu tun haben. Beim genauen Lesen der Seiten erweisen sich solche jedoch als Kapitel des ewigen Fortsetzungsromans „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. Ihre Adressaten sind Egomanen, die eine Grundtugend der Schriftstellerei nicht beherzigen, nämlich die kritische Distanz aufzubringen gegenüber sich selbst und ihrem vielleicht sogar vorhandenen Talentansatz. Doch das Schreiben für andere will gelernt und ständig neu unter Beweis gestellt sein. Folglich sind Disziplin und Geduld gefragt.

Der klassische Weg, den ein Manuskript nimmt, das etwas Exemplarisches in origineller Weise ausdrückt und das nach sämtlichen Regeln der Sprachkunst verfasst ist, verläuft vom Autor zum Lektorat eines Verlags. Letzterer sollte im bunten Kaleidoskop der schöngeistigen Literatur Alleinstellungsmerkmale in bestimmten Sparten besitzen. Beispielsweise in kritischer Gegenwartsliteratur, in Biografien, in historischen Erzählungen, in Lyrik, in Abenteuergeschichten, in Krimis oder im großen Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Damit sind noch längst nicht alle Disziplinen erwähnt. Sachbücher klammere ich in diesem Zusammenhang aus. Denn ihre Darstellungen müssen wissenschaftlich haltbar und in unterhaltsamer Weise erzählt sein. Das erfordert häufig zwei Autoren, nämlich den Fachmann (der auch häufig eine Fachfrau ist) und einen schreibgewandten Erzähler (eine Erzählerin). Wenn Verlage ihre Sache professionell machen, genießen sie in ihrem jeweiligen Metier sowohl bei Lesern als auch bei Feuilletons einen entsprechend guten Ruf.

Und nicht zuletzt im stationären Buchhandel, dem noch immer wichtigsten Weg für die Verbreitung von Literatur. Aber auch der Versandbuchhandel spielt dabei eine wichtige Rolle. Er arbeitet in der Regel mit Katalogen, in denen Auswahlen nach diversen Kriterien zusammengestellt sind. Bis zur Mitte der 1990er Jahre wurden sie per Post verschickt. Seither ist im Wesentlichen das Internet ihre Plattform. Dieses ermöglicht zudem Shops, die von der Erstinformation über die Detailbeschreibung bis zum Auslösen einer Bestellung reichen. Allerdings verfügen auch Sortimentsbuchhandlungen, die den Zug der Zeit erkannt haben, mittlerweile über einen virtuellen Laden, der rund um die Uhr geöffnet ist. Bei ihnen hat man die Wahl zwischen dem Abholen der Ware im Geschäftslokal oder der Zustellung durch einen Postdienst. Diese feingliedrigen Branchenstrukturen herrschen traditionell in Deutschland, der Schweiz und Österreich vor. Das gilt auch für das Verlagswesen.

Ich blende noch einmal zurück zu den Verlagen, der „klassischen“ Pforte zum Buch und seinen Vertriebswegen. Die Entscheidung, ob ein Manuskript angenommen wird, fällt im Lektorat. Dieses orientiert sich an den Vorgaben der jeweiligen Programm- und Verlagsleitung. Die Schlüsselpositionen in diesen Hierarchien sind nicht immer ideal besetzt. Das merkt man beispielsweise auch daran, dass mancher Titel, der später zu einem riesigen Verkaufserfolg wurde, zunächst von anderen Häusern abgelehnt wurde. Aber auch daran, dass es zu viele Bücher gibt, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden. Austauschbare und oberflächliche Sujets, anspruchslose, nicht differenzierende Sprache, das Äußere aufwändiger gestaltet als die Komposition des Inhalts – das sind die Ingredienzien für Literaturschrott. Verlage, die nach solchen, nur vermeintlichen, Erfolgsrezepten produzieren, verbauen sich mittelfristig den Weg zum reflektierenden Leser, weil sie auf den ungeschulten Geschmack setzen und dessen Verbreitung fördern. Doch wer seine eigenen Verächter erzeugt, wird untergehen. Die Verlagsgeschichte ist reich an Beispielen.

Nicht jeder Autor verfügt über eine halbwegs genaue Vorstellung vom herstellenden und verbreitenden Buchhandel, also von Verlagen und Sortiments- sowie Versandbuchhandlungen. Hinzu kommt eine eher subjektive denn objektive Selbsteinschätzung. Selbst wenn ein Manuskript sprachlich hervorragend abgefasst wurde und sein Inhalt außergewöhnlich ist, scheitern überproportional viele Einsendungen bereits im Vorzimmer des Lektorats. Denn sie gehen völlig unvermittelt ein. Ohne vorangegangene Erstkontakte über die geplante Publikation werden Unterlagen geschickt, die unvollständig sind. Es fehlen Exposee, elektronischer Datenträger (vorzugsweise ein USB-Stick) oder sachdienliche Referenzen wie der Nachweis bereits veröffentlichter Texte (Bücher, Abdrucke in Zeitschriften und Zeitungen). Im Literaturbetrieb genießen Zeitschriften und Feuilletons einen hohen Stellenwert. Wer hier nichts vorweisen kann, setzt sich dem Verdacht aus, allenfalls einen Zufallstreffer eingereicht zu haben, dem nichts Nennenswertes folgen würde. Verlage setzen üblicherweise auf Kontinuität, nicht aber auf Strohfeuer. Damit sind Absagen vorprogrammiert.

Danach schlägt die Stunde jener Verlage, die eigentlich gar keine sind, weil sie kein unternehmerisches Risiko übernehmen, sondern den Autor, der sich von den eingeführten Häusern unterschätzt fühlt, zur Kasse bitten. Im Begriff „Verlag“ steckt auch das Verb „vorlegen“ in der Bedeutung, dass das Unternehmen Geld vorlegt, also investiert. In ein professionelles Lektorat, in Druckvorstufe und Druck, in Lagerung, Werbung und Vertrieb. Und dass der Autor am Erfolg seines Buches beteiligt wird. Üblicherweise zu einem ausgehandelten Prozentsatz am Nettoladenpreis eines jeden verkauften Exemplars.
Pseudo- oder Zuschussverlage hingegen sind faktisch Copy Shops, die alles ohne inhaltliche Prüfung drucken. Und die auch Lagerung und Verkauf kostenpflichtig übernehmen bzw. an andere Firmen delegieren. Von einem professionellen Vertrieb inklusive Vertriebswerbung kann jedoch in den meisten Fällen nicht die Rede sein. Die Bücher tauchen zwar auf den Internetseiten der Zuschussverlage auf und man kann sie bestellen. Aber eine Programmpflege im üblichen Sinn findet nicht statt. Etwa der Versand von Rezensionsexemplaren an die Kulturredaktionen von Zeitschriften, Zeitungen und Rundfunksendern. Oder die Teilnahme an literarischen Veranstaltungen, ganz zu schweigen von der Information des vertreibenden Buchhandels mittels Verlagsvorschauen, Gesamtverzeichnissen oder dem Anbieten von Dekorationsmaterial für Schaufenster.

Der dilettierende und häufig auch schriftstellerisch wenig begabte Autor bleibt sich selbst überlassen. Das kann so weit gehen, dass die eingelagerten Bestände mangels Verkaufserfolgs letztlich makuliert werden müssen, weil die Einlagerung zu teuer geworden ist.

Nicht viel anders ergeht es jenen Schriftstellern, die mangels Insiderkenntnissen ihre Bücher entsprechend der Nachfrage produzieren lassen, also das „Book on Demand“-Verfahren praktizieren. Der Löwenanteil der selbst zu tragenden Investition entfällt auf die Erstellung einer digitalen Druckvorlage inklusive Umschlaggestaltung und die technische Bereitstellung zur raschen Produktion von Einzelexemplaren. Aber auch hier fehlt ein engmaschiges Informationssystem für Leser, Bibliotheken und Buchhändler sowie der Austausch mit Feuilletons und Kulturredaktionen. Marktführer in diesem Bereich ist die Firma Lingenbrink (Libri) in Hamburg, die zu den größten Barsortimenten in Deutschland zählt. Sie möchte zusätzlich zu ihrem Hauptgeschäft auch in der wachsenden Nische der selbstverlegenden Autoren ein Bein in der Tür haben.

Im Zuge der Digitalisierung des Medienmarkts und dem Aufkommen von eBooks haben auch andere Konzerne dieses Wachstumssegment entdeckt. Der Holtzbrinck-Verlag startete 2007 mit „ePubli“ eine Plattform, die Selbstverlegern beim Vertrieb gedruckter und elektronischer Bücher hilft. DroemerKnaur gründete 2010 mit „Neobooks“ einen der heute größten Dienstleister für Indie-Autoren (von Englisch „independent“ = „unabhängig“). Ob Verlagslektoren tatsächlich einschlägige eBook-Bestsellerlisten durchforsten, um vielversprechende Schreiber dort zu orten, entspricht nach meinen Erfahrungen mehr dem Wunsch von Self-Publishern als der Realität. Im Bereich von eBooks zählt auch Amazon zu den Größten. Das Unternehmen hatte einen passablen Reader für elektronische Bücher entwickelt, den Kindle, und sorgt mit Hilfe von Hunderten Schreibern für Warennachschub.

Unbestritten haben es einige geschafft, aus den seichten, aber in ihrem Fall erfolgreichen Abgründen des Self-Publishings aufzusteigen in die Ebenen der gesellschaftlich akzeptierten Unterhaltungsliteratur. Autoren wie Poppy J. Anderson, Hanni Münzer, Nika Lubitsch, Catherine Shepherd, Marah Woolf, Hanna Kaiser oder Béla Bolten werden dem literarischen Connaisseur nichts sagen. Und das ist auch gut so. Doch es sind Einzelne. Die anderen, die Gescheiterten, sieht man nicht. Und sie stellen die Mehrheit. Obwohl geschäftstüchtige Manager die wenigen Arrivierten als Vorbilder anpreisen. Schließlich soll das Geschäft mit unrealistischen literarischen Träumen weiter blühen. Obwohl Unbedarftheit und Dummheit immer wieder grassieren, wie auch die Masse an Corona-Leugnern zeigt, hat eine Gesellschaft dennoch nur ein begrenztes Fassungsvermögen für eindeutigen Kulturschrott.

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Selbstschreiben – Selbstverlegen
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