Bildschirmfoto 2021 10 19 um 02.32.01Serie: Der Deutsche Buchpreis  2021, hier die Auswahl der Zwanzig, die letzten Sechs, Teil 19

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß dieser Roman langweilig wäre, kann nun wirklich keiner sagen, witzig, das ja; daß er zynisch sei, hieße. von der, die Romanhandlungen absolut zynisch bestimmenden Düsseldorfer Professorin Saraswati, auf die Autorin Mithu Sanyal schließen. So was geht natürlich nicht. Aber, daß das 424 Seiten umfassende Geschehen bollywoodesk ist, das darf, ja das muß man offen sagen.

Damit beziehen wir uns auf die Liebesgeschichten und auch Geschwisterrivalitäten in der Handlung, aber im Kern geht es beim Roman um das Tableau einer Gesellschaft, die mächtig dabei ist, sich in alle möglichen Richtungen auseinanderzudividieren, so daß man sich am Schluß die Bundesrepublik Deutschland aus derzeit 83, 1 Millionen Einwohnern als in allen Bereichen differente 83,1 Miliionen Menschen vorstellen darf, einmal ganz abgesehen davon, daß sowieso jeder Mensch sein eigener Mensch ist, heißt das jedoch, daß verläßliche Indikatoren für Übereinstimmung, für Gemeinsamkeit entfallen, wie sie einmal für das Geschlecht galten, wo es Männer und Frauen gab und gibt, auch für die Hautfarben weiß, schwarz, gelb, braun etc., auch für die Religionen, die Katholischen und die Evangelischen, alles übrigens schön dualistisch! Dieses Auseinanderdifferenziererei ist im übrigen eine Frage, die auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht in ihrem letzten Buch antrieb – bei ihr mit politischen Folgen, die hier literarische bleiben.

Wie gut, daß uns die Autorin – anders als im Wahlkampf eine Kanzlerkandidatin – nicht nur ihre eigenen, sondern sogar Saraswatis Literaturliste, aus denen sich deren Aussprüche und Inspirationen im Roman speisen, auf sechseinhalb Seiten detailliert in Literaturangaben wiedergibt. Vorbildlich, wenngleich auch angsteinjagend, da zudem tatsächlich geäußerte Zitate namentlich genannter Persönlichkeiten den im Roman fiktiven gleichen Namens in den Mund gelegt werden. Aber keine Angst, als treue Leserin der bundesdeutschen Feuilletons kommen Sie schon durch. Und wenn Sie Schwierigkeiten bekommen, müssen und können Sie dazulernen.

Um was es geht? Um einen herrlichen, eben bollywoodesken Plot. Das wäre ein Fressen für die Bildzeitung, die im übrigen auch nicht mehr ist, was sie einmal war, auch wenn sie sich bemüht. Bemühen tut sich auch Professorin Dr. Saraswati, die als Poc, das lernen Sie auch noch, daß das People of Colour bedeutet, die auf dem Düsseldorfer Lehrstuhl für Postkoloniale Studien eine schwarzbraune Berühmtheit wurde und mit ihren mutigen Aussagen zu diversen Identitätsfragen gerade die Klientel als Studenten an sich bindet, die in einer weißen Übermachtsgesellschaft ihren eigenen Platz finden und notgedrungen das Nichtweiße als positive Abgrenzung betonen müssen. Also, sie „hatte“ sich um intellektuelle und psychische Stabilisierung ihrer Studenten bemüht, diese Saraswati, denn sie ist gerade als eine Weiße entlarvt worden.

Das ist der Skandal, der uns beschäftigen wird und dies hauptsächlich aus der Perspektive der saraswatibesonderstreuen Studentin Nivedita – Hilfe, da kenne ich ja einige Professorinnen an deutschen Hochschulen, die Nivedita mit Vornamen heißen; ich hätte das lieber mit Nivea und dito in Verbindung gebracht: „Nivea“ aus dem Lateinischen abgeleitet mit der Bedeutung: die Schneeweiße und „dito“ als ebenso, ebenso aus dem Lateinischen mit der Bedeutung ‚ebenso‘, hier gut Lateinisch ‚dita‘, da eine Frau), die einen speziellen familiären Hintergrund hat: ihre in Deutschland lebende Familie, wo Nivita auch geboren wurde, setzt sich aus dem, von ihr eher argwöhnisch betrachteten indischen Vater und der Mutter aus Deutschland zusammen. Doch damit nicht genug. Das eigentlich nicht so virulente indische Erbe setzt sich mit Kali in ihr fest und fort oder fort und fest. Kali ist Niveditas innere Stimme, die Protest einlegt, wenn Nivedita sich wieder zu angepaßt erweist, denn grundsätzlich ist Nevdita so eine harmoniebedürftige junge Person, die sich gerne anlehnen möchte an Autoritäten genauso wie an bestimmte Männer, die hier Simon und noch so einer heißen. Doch Kali, das ist das hinduistische Gewissen in ihr, denn Kali ist die vielarmige schwarze Göttin aus Indien, die Furcht und Schrecken verbreitet, aber die Geschlagenen dann wieder aufbaut. Eine Wucht also. Und wirksam nicht nur in Indien, sondern weltumspannend.

Fortsetzung folgt 

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Info:
Mithu Sanyal, Identitti, Carl Hanser Verlag 2021
ISBN 978 3 446 26921 7