Elke Heidenreich Petra KammannAuf der Frankfurter Buchmesse 2021. Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch Heidenreichs Auslassungen über Susan Sonntag, hätte ich mit jedem Wort unterschreiben können. Welche rasante Frau und ihr Buch KRANKHEIT ALS METAPHER wichtig. Ja, stimmt, es gibt Krankheiten, die eher adeln und welche, die einen als Verlierer zeigen. Die Lunge war – siehe Thomas Manns Zauberberg – ein ätherisches Organ, dessen Probleme eher hochangesehen waren, Krebs dagegen eine häßliche Krankheit von armen und kaputten Leuten. Dagegen wandte sich Sonntag, die dann Jahrzehnte später ebenfalls an Krebs starb.

Wie kam es dann zu Virginia Wolf. Hatte die Moderatorin nachgefragt, die immer nur Stichworte brauchte, um Elke Heidenreich zum Reden zu bringen. Es ging um das, was nötig ist, damit man als Frau schreiben und damit man leben kann: ein eigenes Zimmer und eigenes Geld. Dafür hat Elke Heidenreich immer gesorgt. In ihrer Kindheit war ein entscheidender Sprung von der reinen Mädchenliteratur zur Literatur, ja geradezu ein Erweckungserlebnis Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen von Selma Lagerlöf, die 1909 als erste weibliche Autorin den Literaturnobelpreis erhielt. Heute als Schulbuch in Schweden gelesen, habe sie erst viel später verstanden,d aß dies ein buch über Schweden sei. Kein Wunder, denn die Autorin hatte es genau für die Schule geschrieben, damit schwedische Kinder Schweden kennenlernen. Für Elke Heidenreich war jedoch etwas anderes wichtig: Sie gewann ein Gefühl für die Sprache, also wie etwas geschrieben ist: „Seither war ich verloren für den Kitsch.“

Jungen lieben die starken Männer in der Literatur, aber Mädchen trösten die Verlierer, sie verstehen die Blessuren und Verletzungen.

Immer wieder wurde am Vater angeknüpft, an dessen Schönheit und Eleganz sie die potentiellen und die echten Männer in ihrem Leben maß. Das muß natürlich schief gehen. Eigenartig, wie die Moderatorin die Befragte doch ein wenig in eine Ecke stecken wollte, in der sie nicht steht. Nein, ihr Verhältnis zu Männern sei doch gut gewesen, immerhin habe sie mit ihrem Mann 25 Jahre glücklich gelebt, aber ihre Eigenständigkeit sei ihr genauso wichtig wie die Gemeinsamkeiten gewesen. Doch in der Kindheit hat sie die verläßliche Größe in der Vaterfigur vermißt. Stattdessen trat eine andere Liebe an diese Stelle. Ihr Lebensretter in der Kindheit sei die Musik geworden. Und das gelte bis heute.

Dann kamen die Gedichte, die sie bewundert, wie hier in wenigen Worten Gefühlszustände in die Welt kommen, die man mit vielen Worten nie so zutreffend beschreiben könne. In diesem Zusammenhang sei die 1996 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete polnische Poetin Szymborska (Maria Wisława Anna Szymborska, 1923-2012) für sie das Ereignis gewesen und sie habe sich ihre Gedichte besorgt, die insbesondere die Stimmungslagen der Seele so gut beschreiben können.

Und dann rezitierte sie ihr Lieblingsgedicht, mit 16 Jahren gelesen, und von Gottfried Benn, der hier nachgetragene Liebe zu seiner Mutter formuliert:

Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde


Dann sprach sie von Reiner Kunze und seinem Gedicht Sehnsucht und meinte

IMMERFORT

Du weisst zur stunde ihn an fernem ort
Mit dem verstand begreifst du seine ferne
Du weisst, es liegen zwischen ihm und dir
Ein himmel sonne und ein himmel sterne
Und doch trittst du ans fenster immerfort

Ach, ist das schön, daß auf dem Blauen Sofa während eines Gesprächs Gedichte auswendig rezitiert werden. Größte Hochachtung, die alle im Kopf zu behalten!

Auf jeden Fall faßte Cécile Schortmann Elke Heidenreichs gesellschaftlichen Einsatz für's Buch und für's Lesen zusammen als : LEIDENSCHAFT.

Die am 15. Februar 1943 in Korbach – sie ist also eine Hessin – Geborene ist sich aber auch nicht zu schade, ihre Meinung auch dann auszusprechen, wenn es Ärger geben könnte. Und das war vor kurzem bei einer Sendung Markus Lanz der Fall. Da gab es eine Einspielung der Grünen-Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich, wo diese in Halbsätzen, stotternd, aber mit Emphase von der „ekligen deutschen Mehrheitsgesellschaft“ sprach und Heidenreich spontan sagte: Die kann ja nicht sprechen. Und noch deutlichere Worte fand. Die Jugendsprecherin ist selbst verbal nicht von schlechten Eltern und liebt für sich deftige Ausdrücke. Schwierig, ihr „Heil“ unter einem Hakenkreuz als Jugendsünde zu bezeichnen. Auf jeden Fall keine Majestätsbeleidigung, ihr ausgesprochen schlechtes Deutsch zu attestieren, vom Inhaltlichen ganz abgesehen.

Wir sind in der Jugend auch über‘s Ziel hinausgeschossen. Und wurden gerügt. So ist das im Leben. Aber, daß nun Ältere den Jüngeren nicht mehr die Meinung sagen dürfen, das ist neu, das ist falsch.

Und hier kam die Moderatorin ins Spiel. Muß man sich um die freie Meinungsäußerung von 3sat Moderatorinnen Sorgen machen? Auf jeden Fall war peinlich, wie sich Cécile Schortmann ins Zeug legte und hier Heidenreich ein potentielles Fehlverhalten attestierte, statt am Inhalt wie ‚eklige weiße Mehrheitsgesellschaft‘ oder der Sprachunfähigkeit der jungen Frau, nämlich Sätze nicht zu beenden, zu haspeln, sich zu versprechen anzusetzen. Sie habe Verständnis für die junge Frau. Heidenreich dagegen hielt die Reaktion, nämlich diesen Shitstorm gegen sie für unverhältnismäßig und stellte fest: „Diesen Schuh zieh ich mir nicht an.“ Recht hat sie.

Foto:
©Petra Kammann

Info:
Auf dem Blauen Sofa am 22.10.21