Hakan Nesser verfängt sich in seinem neuesten Roman in den eigenen Fallstricken, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Für uns war das ganz simpel Leonhard, der am Trafalgar Square von dieser Frau angesprochen wird, für die er unter geheimnisvollen Umständen etwas aufbewahren soll, was auch gelingt, Carla aus der Tschechoslowakei, die zur Liebe seines Lebens wird. Sie ist Spionin und er ihr zu Diensten, nicht wegen der politischen Linientreue, sondern aus Liebe.

 

 

Doch, das alles hat uns erst einmal gut gefallen, daß einmal ein Mann aus Liebe alles vergißt, was an Werten ihm zuvor teuer war. Und wie geschickt er sich anstellt, beim Dechiffrieren mittels eines alten Buches in einer alten Buchhandlung. Oh je, das ist auch alles sehr verstiegen und wenig realistisch, wie hier die Zeiten des Kalten Krieges dargestelt werden. Aber noch sind wir ja vom Buch sehr angetan, denn es wird etwas passieren, da spürt man deutlich.

 

Richtig spannend fanden wir die Einführung dieser beiden Kinder, die zum Geburtstagsessen geladen sind und von weither anreisen. Sie sind ja längst Erwachsene, allerdings nur dem Alter nach. Irina ist schwer neurotisch und mit Waschzwang und allen möglichen Zwängen geschlagen, Gregorius ist ein verwöhnter Heini, dem die Frauen es zu leicht machten und der keinen Halt im Leben hat. Diesen soll ihm das Geld vermitteln, das er sich vom baldigen Tod des Leonhard verspricht, denn dieser, ganz wichtig!, ist steinreich. Wenigstens heißt es so und insbesondere Gregorius spekuliert auf das Erbe schon länger, weshalb er sich leichtfertig verschuldete.

 

Das sind zwar keine angenehme Wesen, aber durchaus interessant, dann aber kommt Milos ins Spiel, der in den USA lebt und dessen Mutter ihm vor ihrem Tod etwas Wichtiges mitteilen wollte; er aber kam zu spät. Dieser Brief mit der Geburtstagseinladung nach London und der Begleichung aller Kosten kommt so pünktlich, daß Milos sich auf den Weg macht. Verstanden? Jetzt sind wir in der Gegenwart. Aber das Buch handelt die meiste Zeit über von der Vergangenheit, wo Leonhard und Carla ihre Rollen spielen, er sie sogar in der Tschechoslowakei besucht, aber verläßt, sie allerdings trotz ihres Versagens in London, zuvor auch ein zweites Mal ins westliche Feindesland geschickt wird: als Übersetzerin.

 

Das ist alle so verquer und unwahrscheinlich. Es kommt aber viel Schlimmer. Denn schon lange geistert ein gewisser Lars Gustav Selén aus Schweden durch das Buch, dem eine Krankheit unmöglich mache, mit seinen Freunden in den Sechzigern die pulsierende Stadt London aufzusuchen, wohin aber seine Liebe Carla – jawohl, noch eine Carla, eine schwedische – mit den anderen reiste....nein, nein, nein, das werde wir jetzt nicht erzählen, auch nicht, wie es kommt, daß die erschrockene Maud den nackten Leonhard vom Balkon holt, der vor sich hinstammelt, daß er Lars Gustav sei...das müssen Sie selber entwirren, worum wir uns weidlich bemühten und nach dem 16stündigen Hören des Romans als Hörbuch aus lauter Verzweiflung das Buch dann auch noch lasen, ohne schlauer zu werden, gut, manches war klarer, wenn man die Namen der beiden, die in der U-Bahn Londons zu Tode kommen – oder vielleicht nicht? - deutlich lesen konnte, was beim Hören eben doch schnell vorbei ist.

 

Was dann aber noch das Allerletzte ist, ist dieser Serienmörder, der an seinen Opfern jeweils eine Uhr mit dem Todeszeitpunkt zurückläßt und London unsicher macht. Ja, auch hier erwischt es einen vom literarischen Personals des Hakan Nesser. Nur findet man das dann am Schluß reichlich abgeschmackt, genauso wie die Geburtstagsfeier, die mit dem...nein, das darf man nicht verraten und auch nicht, mit welcher bescheuerten Idee der wirklich schwer reiche Leonhard alle seine Erben an der Nase herumführt.

 

Und dieser Ungenannte, der gegen Ende sich vorwitzig im Roman als derjenige präsentiert, der den gewaltigen Londonroman schreiben wird, geschrieben hat...sollte das etwa dieser Russel sein?Wir lassen es und wollen nur noch darauf hinweisen, daß viele Ideen im Buch pfiffig sind, daß Nesser mit vielen Stimmen sprechen läßt, große Anteile bekommt zunehmend Maud, und daß wir von einem Lektorat, nein, nicht der Übersetzerin Christel Hildebrandt, vom schwedischen Lektor also erwartet hätten, daß er den Autor davor bewahrt, sich in seinen eigenen, so kühn und kreuz und quer ausgelegten Fangstricken selber verfängt. Die Geschichte vom Leonhard, auf diesen konzentriert, hätten wir gerne gelesen,. Und im übrigen, ein Serienmörder macht noch keinen Krimi, we der nur als Pausenfüller und deus ex machina auftritt.

 

Si tacuisses, philosophus mansisses, lieber Hakan Nesser. Aber wir werden auf das nächste Werk mit neuer Spannung warten und die Lesung mit Dietmar Bär und dem Autor lassen wir uns auch nicht entgehen.

 

 

INFO:

 

Hakan Nesser, HIMMEL ÜBER LONDON, btb Verlag

auch als E-Book erhältlich

 

als Hörbuch im Hörverlag München

gelesen von Dietmar Bär, Walter Kreye u. Simone Kabst