Bildschirmfoto 2022 02 04 um 00.52.27Der elfte Fall für Gamache, erschienen im Kampa Verlag

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Heute soll er auf den Verkaufstischen liegen, der neue Krimi der kanadischen Autorin, die sich in die Krimiherzen ihrer Leser schreibt und mit diesem Fall, dem elften für Gamache, der sich derzeit in Three Pines in Québec nahe der Grenze zur USA frühpensioniert äußert wohl fühlt, die große weite Kriegswelt in die kanadischen Wälder läßt.

Daß tatsächlich dort von Tarnnetzen verhüllt die größte Kanone gefunden wird, bringt die kleine Dorfgemeinschaft völlig durcheinander. Doch das ist erst die zweite Überraschung. Die eigentliche Katastrophe liegt darin, daß von der Existenz dieser Kanone der neunjährige Laurent Lepage aufgregt den Dorfbewohnern erzählt hatte, aber keiner ihn ernst nahm, weil er sowieso immer von den Aliens berichtete und Monster sah. Und nun ist der Junge tot. Unfall heißt es erst einmal, denn das Fahrrad liegt auf der Straße neben ihm. Aber der Stock fehlt, mit dem er die Gegend unsicher und sich sicher machte. Ohne diesen wäre er nie im Wald unterwegs gewesen. Und was wie ein Märchen klingt, wird zur Wahrheit: sie finden den Stock im Wald und sie finden diese Riesenkanone.

Mord also. Aber wer bringt ein Kind um? Gamache versteht die Welt nicht und sich selber auch nicht, warum hat er dem Jungen nicht geglaubt? Zu seinem Schuldbewußtsein gesellen sich merkwürdige Begebenheiten. Die örtliche Leitung der Sûreté beharrt auf einem Unfall, Isabelle Lacoste, seine Getreue, hat Gamaches Funktion als Leiterin der übergeordneten Sûreté aus Montreal übernommen und plädiert mit ihrem Stellvertreter, Gamaches Schwiegersohn Jean-Guy jedoch auf Mord und ruft den einzigen noch lebenden, jetzt siebzigjährigen Wissenschaftler zur Hilfe, der bei den damaligen staatlichen Programmen der militärischen Aufrüstung mitplante. „Damalig“ heißt in den Neunziger Jahren und davor, als in Saddam Hussein Kanada und die USA die größte internationale Gefahr sahen. Nach und nach erfahren wir, daß es damals zwei weitere Wissenschaftler gab, von denen der eine, Gerald Bull, sich an den Waffen dumm und dämlich verdiente, dann aber erschossen wurde und ein weiterer, Dr. Couture, hier am Ort die Pläne ausarbeitete, die Waffen, hier die Riesenkanone sollte meistbietend versteigert werden und daß Saddam Hussein über Geld verfügte, war ja bekannt. Eine derartige Kanone, die im irakischen Auftrag ohne weitere technischen Vorrichtungen Richtung Süden, also US-Städte bombardieren kann, von der niemand wußte, ist natürlich eine Sensation, die so gewaltig ist, daß man sie nicht weitersagen sollte.

Das ist wenigstens die Meinung von Gamache und der Sûreté. Doch, wir sind ja in Three Pines und die dortige Meinung wird durch die Meinungsführer im Ort geprägt. Diese sind diesmal viel weniger präsent als sonst, was folgerichtig mit der Kanone zu tun hat, dem Projekt BABYLON deren Urheber von außerhalb des Dorfes kommen. Die Nachricht von der Kanone ruft auch sofort den kanadischen Geheimdienst auf den Plan ruft, zwei Beamte, die dämlich wirken, es aber faustdick hinter den Ohren haben.

Diesmal bleibt im Roman nur der harte Kern des Ortes am Ball. Das sind zuvörderst das Schwulenpärchen Gabri und Olivier, die die Pension führen, die nun die vielen Auswärtigen beherbergt, zu denen noch weitere Beamte der Sûreté gehören. Auch Myrna die Buchhändlerin und Clara, die ganz spezielle Künstlerin ermitteln mit, vor allem aber rankt sich Dunkles um Ruth, die mit Ente Rosa unterm Arm von etwas raunt, was nur die Durchblicker als Wahrheit erkennen, die anderen hören Unsinn.

Es kommen allerdings zwei hinzu, die Nichte Antoinette des verstorbenen alten Couture, die sein Haus geerbt hatte und deren Freund Brian, die beide ein Theaterstück mit den Dorfbewohnern aufführen wollen, daß von einem landbekannten Mörder namens Fleming stammt, den Gamache in seiner Gefängniszelle besucht...

Nein, diese Geschichte ist derart reich, daß man sie nicht gut zusammenfassen kann, denn es ist ja noch nicht mal von den Lapages die Rede gewesen, den unglücklichen trauernden Eltern des Jungen, mit einer so speziellen Geschichte, von der wir jetzt nur verraten, daß der Vater ständig Neil Young hört und singt. Der Roman ist original 2015 erschienen, Neil Young ist schon lange eine kanadische Berühmtheit, aber seit er Trump den Kampf angesagt hat, von der Bevölkerung geliebt. Mit seinen Songs kämpft er gegen Korruption und Umweltsünder wie Monsanto, gegen die er ein ganzes Album schrieb und sang. Im Moment ist er im Gespräch, weil er im Januar den Streamingdienst Spotify verließ, weil ihm die Sendungen mit der Verharmlosung der COVID19-Pandemie und den Verschwörungstheorien mißfielen, was dazu führte, daß Spotify solche Aussagen künftig mit Verlinkungen zu wissenschaftlich fundierten Informationen begleitet. Das nur nebenbei, weil es aufzeigt, wie die Autorin wach ihre Zeit verfolgt und in ihre Bücher hineinschreibt.

Al Lepage hat also eine ganz eigene, sehr traurige und sehr intensive Geschichte, wie überhaupt, wenn man es sich recht überlegt, in diesem Roman wieder einmal eine Handvoll Geschichten stecken, wobei es Louise Penny mühelos gelingt, die alle unter einen Hut zu bringen und uns nach 524 Seiten um viele Lebensweisheiten klüger alleine läßt. Das ist schon so, daß man beim Lesen ein Mitbewohner in Three Pines wird und sich auf den nächsten Besuch, das nächste Buch, freut.

P.S.

Zwei Dinge noch. Dies ist Band elf aus dem Jahr 2015. Der Verlag Kampa, der seit 2018 Louise Penny und Gamache herausbringt, hatte damals mit Band 1+2 und 13+14, nämlich den gerade erschienen begonnen und ist nun in der Durchnummerierung von 1 bei 11 angekommen und hat nach dem beabsichtigten Band 12 dann noch die Bände bis 17 vor sich, der 2021 in Kanada herauskam.

Für das Lesen spielt die Reihenfolge eine untergeordnete Rolle. Man kommt zurecht und kann die unterschiedlichen dienstlichen Funktionen des Inspector Gamache, am Anfang in Quebec, später Oberster Leiter der Sûreté gut einordnen, wie auch die Bände, wie dieser wo er zwischen den Stühlen sitzt, also in Frühpension, wo aber schon die Anfragen von oben ständig eintrudeln.

Die vielen Bände hintereinander zu veröffentlichen, bringt - laut Verlag - die Notwendigkeit, mehrere Übersetzer zu beauftragen, was wiederum leichtere Probleme mit sich bringt. Ich kannte bisher nur die Übersetzungen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck, die auch die Blanvaletbände verantworteten . Diesen elften Band hat Nora Petroll übersetzt. Eine Änderung merkt die Leserin durch die Häufung französischer Anreden und Aussprüche. ‚Patron‘ und ‚merci‘ war auch sonst geläufig, aber ‚mon vieux‘, ‚oui, allo?‘,‘excusez-moi‘ und vieles andere, wirken dann doch manieriert und so etwas wie auf Seite 433, „Ein gewaltiger Akt von Legerdemain“, geht überhaupt nicht.

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Cover

Info:
LOUISE PENNY,Totes Laub. Der elfte Fall für Gamache
Originaltitel: The Nature of the Beast | Kriminalroman
Aus dem kanadischen Englisch von Nora Petroll
528 Seiten | Klappenbroschur
€ (D) 19,90 | sFr 26,90 | € (A) 20,50
ISBN 978 3 311 12032 2 | Auch als E-Book
Erscheinungsdatum 4.2.2022