"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt sich wiederholende Jahresereignisse, auf die freuen sich die Eingeweihten schon lange vorher. FRANKFURT LIEST EIN BUCH gehört zu solchen Ereignissen. Vom 31. März bis 13. April geht es in die fünfte Runde und diesmal ist das Lachen und tiefe Vergnügen in den 70 Veranstaltungen schon vorprogrammiert.

 

 

Tatsächlich hat der spiritus rector der Reihe, der Vorsitzende des gleichnamigen Vereins und Verleger Klaus Schöffling, nach den letztjährigen Erfolgen nun einen überzeugenden Kontrapunkt gesetzt. Im letzten Jahr galt es mit GINSTER von Siegfried Kracauer, hier geboren und aufgewachsen, auch das Frankfurt der Zwanziger Jahre kennenzulernen und die präfaschistische deutsche Gemengelage, auch die Gleichschaltung im Ersten Weltkrieg. Ein anspruchsvolles und absurd hintergründigen Buch und eine phantastische Veranstaltungsreihe (vgl. letztjährige Artikel). Im Jahr davor, 2012, sind wir mit Silvia Tennenbaum durch die STRASSEN VON GESTERN gewandert. Sie, die im Exil zumindest ihr Leben retten konnte, erinnerte sich an die Jugend und damit an das Frankfurt von gestern.

 

Sehr viel zeitnäher ging es es ein Jahr zuvor mit ABSCHAFFEL von Wilhelm Genanzino zu. Da waren es die 70er Jahre, die der 31jährige Angestellte in dieser Trilogie uns erleben, besser: ersitzen läßt und begonnen hatte das Lesefest mit einem Kultbuch, KAISERHOFSTRASSE 12 von Valentin Senger, wo es um das Überleben seiner jüdischen Familie mitten in Frankfurt geht, was 12 Jahre hindurch nur mit nachbarschaftlicher Hilfe möglich war. Und nun, nach vier Jahren ernsthafter und ernster Literatur, die immer wieder auch das Schicksal Frankfurter Juden zum Thema hatte, kommt mit Eckhard Henscheids DIE VOLLIDIOTEN ein Buch zum Zug, das der Autor 1973 als historischen Roman aus dem Jahr 1972 bezeichnete und das sein erster Band der 1978 beendeten TRILOGIE DES LAUFENDEN SCHWACHSINNS wurde.

 

Kann man sagen, daß nicht nur Kracauers wegen die ersten Bücher der Frankfurter Schule mit Adorno und Horkheimer verpflichtet waren, so kommt mit Eckhard Henscheid knallhart die Neue Frankfurter Schule aufs Tapet – wir phantasieren gerade, Henscheid hätte hier bewußt die falsche Formulierung 'aufs Trapez' gebracht - , die durch Autoren und Zeichner wie Robert Gernhardt, F.W. Bernstein, Hans Traxler, F.K. Wächter u.a. repräsentiert ist und durch die Satirezeitschriften wie 'pardon' und 'Titanic' bekannt und beliebt wurden, durch den so absurden wie tiefgehenden Unsinnssinn oder historisch-philosophische Weisheiten wie DIE STÄRKSTEN KRITIKER DER ELCHE/ WAREN FRÜHER SELBER WELCHE.

 

Ein Prinzip der FRANKFURT LIEST EIN BUCH Veranstaltungen ist das Aufsuchen der Orte, die im jeweiligen Roman eine Rolle spielen, und wo auch dieses Mal die Mehrzahl der zweiwöchentlichen Veranstaltungen stattfinden. In dem schönen, diesmal Din-A-4-Veranstaltungsheft, das Sie online einsehen können und sollten, denn manche Veranstaltungen muß man sofort ordern, prangt gleich zu Beginn ein Foto aus dem Jahr 1977 „Bei Mentz“, der zentralen Kneipe Ecke Oederweg/Bornwiesenweg, am Rande des Nordends gelegen, das in DIE VOLLIDIOTEN zum Zentrum Frankfurts wird, was man übrigens als Lageplan auf den Umschlagseiten des neu herausgegebenen Buches mit den Augen erwandern kann.

 

Dieser Henscheidroman kommt in der Ausgabe 2014 aus dem Verlag Schöffling zum ersten Mal in den deutschen Buchhandel, obwohl er einer der großen Verkaufserfolge war. Dieser Widersinn erklärt sich daraus, daß Zweitausendeins dies Buch vertrieb – und über 200 000 Mal verkaufte! -, nachdem es im ersten Anlauf durch Vorfinanzierung durch die Leser im Privatdruck erschien, ansonsten ebenfalls bei Zweitausendeins nur innerhalb der Henscheidschen Gesamtausgabe. Ein Hörbuch, das es gab, wird im Hessischen Rundfunk innerhalb der Veranstaltungszeit ausgestrahlt werden, ist aber vergriffen, ohne daß die Rechte weitergeben würden.

 

Ziel der Veranstaltungsreihe FRANKFURT LIEST EIN BUCH ist es, ein Buch über einige Wochen zum Gesprächsstoff und Gemeinschaftserlebnis für alle Bewohner Frankfurts und drumherum zu machen. „Dabei möchte der Verein Bürger, Institutionen und Prominente zu einem Thema in möglichst vielfältiger Form zusammenbringen. Nach nur vier Jahren hat sich die Leseaktion fest im kulturellen Leben der Stadt etabliert. Mit insgesamt 50.000 Besuchern und rund 400 Veranstaltungen waren die ersten vier Auflagen des Projekts ein überaus großer Erfolg.“ konnte Lothar Ruske, zuständig für Organisation und Planung verkünden.

 

Er gab auch den Überblick über die 70 Veranstaltungen – Lesungen, literarische Spaziergänge, Diskussionen, Vortge, Filmvorführungen, Ausstellungen u.a. - an 60 Veranstaltungsorten wie Ateliers, Buchhandlungen, Cafés, Stadtbücherei, Deutsche Nationalbibliothek, Literaturhaus, Haus am Dom, Universität, Museen und auch der Oper Frankfurt. Beteiligt an den Veranstaltungen sind 55 Kooperationspartner! Die Schirmherrschaft hat mit Peter Feldmann der Oberbürgermeister der Stadt, der äußert: „Ich freue mich auf zwei Wochen Literatur in unserer Stadt, auf viele persönliche Begegnungen mit dem Autor Eckhard Henscheid und auf seinen Humor, vor allem aber auf das gemeinsame Lachen mit Ihnen!“

 

Über das Buch, den Autor und die Veranstaltungen mehr in Teil 2. Fortsetzung folgt.

 

www.frankfurt-liest-ein-buch.de

www.schoeffling.de