die windsbraut gebundene ausgabe hilde bergerDie Geschichte von Oskar Kokoschka und Alma Mahler von Hilde Berger

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich sollte diese Buchbesprechung direkt vor dem Anlaufen von ALMA&OSKAR am Donnerstag veröffentlicht werden, aber wie jeder und jede nachlesen kann, sind dann zum Film so viele Meinungen und Stellungnahmen gekommen, daß es einfach zu viel wurde. Aber das Buch ist es völlig unabhängig vom Film, dessen Vorlage es sit, wert, sich damit auseinanderzusetzen.

Grundsätzlich gilt, was auch für den Film zutrifft, es kann gar nicht genug über Wien um 1900 und auch Wien von 1900-20 geschrieben und gelesen werden. Von heute her ist es ein unglaublicher künstlerischer, geistig-wissenschaftlicher, literarischer und eben auch musikalischer Aufbruch, der in der alten Kaiserstadt, die ab 1918 keine mehr war, stattfand. Die Literatur darüber ist unendlich und so ist man zufrieden, daß Hilde Berger in einem Literaturverzeichnis das Wichtigste zu ihrem Thema zusammenträgt. Sie hatte den biographischen Roman 1999 das erste Mal veröffentlich. Damals mit dem Titel OB ES Haß IST, SOLCHE LIEBE?, 2008 in eine zweite Auflage. Die dritte – alle bei Böhlau – erschien 2020 mit dem neuen Titel DIE WINDSBRAUT, auch der Filmtitel. Die Windsbraut allerdings nennt Kokoschka auch sein Gemälde, sein Porträt der von ihm mit Suchtpotential geliebten Frau: Alma Mahler. Das ist 1913 und für Kokoschka eine Beschwörung, gerade weil es für Alma eigentlich vorbei ist.

Bildschirmfoto 2023 07 09 um 00.27.34Und sagen wir es gleich, damit wir dann die Bemühungen von Hilde Berger loben können: dem Buch fehlen die Bilder! Man kann nicht seitenlang über das Fertigen des Porträts von Alma schreiben, ohne es zu zeigen, und man will, wenn man seitenlang über die Malweise und die Gemütszustände des Malers gelesen hat, das Bild einfach sehen. Und es ist ja nicht nur dieses Bild, DIE WINDSBRAUT, das mittendrinnen eine Rolle spielt. Für Kokoschka war dies nicht nur eine aufregende Liebesgeschichte, die ihn in Verzweiflung stürzte, für Kokoschka war Alma Mahler auch ein Quell eines ungewöhnlich intensiven Schaffensdrangs. Er lernte sie am 12. April 1912 bei einer abendlichen Einladung ihres Stiefvaters, des Malers Carl Moll kennen. Moll war der Secession zugetan, förderte junge Künstler und hielt auch viel Bildschirmfoto 2023 07 09 um 00.27.22vom damals blutjungen Kokoschka, den er mit einem Porträt Almas beauftragte (rechts). In seinem Liebeswahn schuf Kokoschka bis 1915, als auch ihm klar wurde, daß Almas Liebe vorbei war ,rund 450 Zeichnungen und verschiedene Gemälde, das erste 1912, wo Alma sich selbst als Lucrezia Borgia sah, gleich darauf 1912/13 ebenfalls Öl auf Leinwand ein Doppelbildnis (links). Das sah übrigens Gropius, mit dem Alma noch zu Lebzeiten Mahlers eine Liebesbeziehung hatte und der nach der Affäre mit Kokoschka ihr zweiter Mann wurde, in einer Ausstellung in der Berliner Secession im Frühjahr 1913. Alma hatte ihm Kokoschka verschwiegen.

Zu den Bildern gehören auch die von der Puppe als Alma-Surrogat, aber jetzt müssen wir doch von vorne anfangen. Das Buch beginnt mit den Proben zu Kokoschkas Stück über das leidenschaftliche Verhältnis von Mann und Frau, MÖRDER, HOFFNUNG DER FRAUEN, 1909, für das er als Schüler der Kunstgewerbeschule mit dem Schwerpunkt Zeichnen – Zeichenlehrer wurden gebraucht – eine Bühne frei hatte, allerdings mußte er die Kosten bezahlen. Vor Jahren gab es in Wien eine Ausstellung, die das Prozedere und den gewaltigen Skandal minutiös nachzeichnete. Irre, wenn man unsere braven heutigen Aufführungen sieht, die sich doch als besonders fortschrittlich empfinden.

Währenddessen weilt Alma mit dem herzkranken und von Wien enttäuschten, in Almas Augen gedemütigten Gustav Mahler in New York. Von Anfang an, gibt ihr die Autorin immer ein Gläschen Alkohol, ach was, eins, zwei, drei, vier, fünf in die Hand. Als das Ehepaar nach Wien zurückkehrt, weil Mahler sterben wird und am 18.Mai 1911 auch stirbt, ist es dann Kokoschka, den Carl Moll mit der Anfertigung der Totenmaske beauftragt. Und dann später das Kennenlernen, das in Oskar von Anfang an das Beherrschenwollen dieser Frau, dieser Urfrau bedeutet. Kein Wunder, daß sich eine Frau diesem Terror irgendwann entzieht. 

Das liest sich spannend und der Autorin stehen für ihre Worte viele Dokumente zur Verfügung. Aber, es sind die Worte von Oskar. Alma lebt, liebt, schreibt auch Briefe, aber an diese Liebesbeziehung ist nur über Oskars Worte heranzukommen. Im Literaturverzeichnis wird Kokoschka sechsmal aufgeführt, Alma Mahler, dann schon Mahler-Werfel über Kokoschka nur einmal: MEIN LEBEN von 1984. Seien wir ehrlich, auch dieses Buch und auch der Film erzählt die Geschichte von Oskar Kokoschka, der die Frau Alma liebt, die sich bald nicht mehr lieben lassen will, sondern Gropius heiratet. Ein Fehler, das weiß sie selber, aber ein Fehler nicht wegen Kokoschka.

Er dagegen kommt von ihr nicht los. Daran ändert auch sein Einsatz und seine schwere Verwundung im Ersten Weltkrieg nichts. Er läßt viel später sogar eine Puppe anfertigen, mit genauer Beschreibung, welche Haut sie haben muß etc. Die legt er zu sich ins Bett, aber offensiv, denn er bildet sich sogar im Gemälde mit der Puppe ab. Er schämt sich nicht, sondern teilt seine Qual und seinen Ersatz der Welt mit. Schon stark.

Hilde Berger stellt das alles ausführlich dar und das Buch liest sich von alleine.

Das Wichtigste allerdings wurde mir das Personenverzeichnis, das erst in der dritten Auflage hinzukam. Allein die Namen zu lesen, angefangen mit Peter Altenberg (1859-1919) über Karl Kraus (1874-1936), Adolf Loos (1870-1933) bis Bruno Walter (1876-1962) und Herwarth Walden (1878-1941),macht glücklich, weil es die Zeit beschwört, in der Wien in gewissem Sinn das Zentrum der Welt war. Ja, hier fehlt sowohl Klimt wie auch Schiele, die ja mit Kokoschka das Dreier-Genie-Gespann bilden, beide starben 1918 an der Spanischen Grippe; hier fehlt Freud, hier fehlen unglaublich viele illustre Zeitgenossen der Wiener Gesellschaft.  Aber das macht nichts. Denn die Autorin hat recht, daß es in Wien sehr unterschiedliche Kreise gab, die sich nicht mischten. Lesen!.

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Umschlagabbildung

Info:
Hilde Berger, Die Windsbraut, Die Geschichte von Oskar Kokoschka und Alma Mahler, dritte Auflage, Böhlau Verlag 2020
ISBN 978 3 205 21116 7