welt unter taschenbuch thor kunkelEin packender Öko-Natur-Thriller zwischen Dystopie und Utopie 

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie konnte das passieren, daß ich noch nie ein Buch, einen Roman von Thor Kunkel gelesen habe, wo er doch zu den erfolgreichsten und, wie ich nachlese, auch umstrittensten Autoren Deutschlands gehört. Doch, ist mir schon klar, seine bevorzugten technikafinen und Zukunftsthemen liegen mir nicht so, ach was, interessieren mich nicht besonders. Dabei habe ich doch Jules Verne und Aldous Huxley sehr gerne gelesen.

Stimmt, es kommt in diesem Klimathriller viel Naturwissenschaftliches, viel Technisches vor in WELT UNTER, aber auch so viel Komisches, das ich mich nicht erinnern kann, beim Lesen eines deutschen Romans so viel gelacht zu haben, wie bei diesem, immerhin 527 starken Buches und diese Selbstironie des Verfassers sowie die Komik seines literarischen Personals rettet das ganze Buch und gibt die Gelassenheit, sich ernsthaft mit den zugrundeliegenden evolutionsbiologischen Behauptungen zu beschäftigen.

Wir alle, zumindest die Gebildeten, wissen, daß sich das Leben auf der Erde aus dem Wasser entwickelt hat. Daß Amphibien Lungen wuchsen, das sie an Land gelangten etc. Irgendwann war dann der Mensch in seiner ihm eigenen Entwicklung ausgereift, zum Homo Sapiens. Das weiß doch jeder. Und seither keine Weiterentwicklung, bzw. keine Deformation. Nur kleinere Veränderungen, Abnehmen der körperlichen Kraft, größere Gehirne , auch Frauen und Männer gleichen sich körperlich einander an, etc.

Ausgangspunkt dieses Romans ist nun die Aussicht – in diesem Jahr durch Dauerregen und Überschwemmungen besonders einsichtig - , daß durch Abschmelzen der Gletscher der Alpen sowie aller europäischen Gebirge sowie des Nordpols, insbesondere Grönlands, das wieder zu Grünland wird, die Gewässer, die Meere, die Seen der Erde das umliegende Land überspülen und Leben nur noch unter Wasser möglich wird. Da die Natur für sich selbst sorgt, sagt dieser Roman, haben sich seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in Norddeutschland schon Menschen derart (weiter- oder zurück)entwickelt, daß sie über Kiemen unter Wasser atmen können und daß die zwischen ihren Zehen und Fingern befindlichen Schwimmhäute ihnen das Unterwasserleben leichter macht.

Faszinierend daran ist erst einmal die These, daß unsere ganzen Umweltsorgen, mit denen wir das Leben auf Erden derzeit reparieren wollen, gar nicht nötig sind, weil die Natur den Bestand von Leben für Mensch und Tier selber übernimmt, evolutionsbiologisch, wobei meiner Erinnerung nach kein einziges Mal der Begriff Evolution auftaucht.

Das Geschehen findet auf dem Hintergrund des Ringens der Weltmächte USA und Rußland statt, China spielt eine kleine Nebenrolle und Ausgangspunkt ist erst einmal Europa, hier Deutschland, schnell aber der eigentliche Austragungsort Grönland. Freya, Umweltaktivistin, ist und bleibt die Heldin des Geschehens. 2029 wird sie fälschlich in Berlin eines Mordanschlags verdächtigt und flüchtet nach Grönland, wo sie eine Stelle als Entnehmerin von Eisbohrkernen auf einer russischen Forschungsstation antreten will. Doch kommt sie nicht an, die Russen der Station sind alle ermordet, nicht nur die Natur spielt verrückt, sondern auch ein US-Amerikaner, der des Weges kommt, an seiner Seite ein Pinguin, Shakleton: „Ork!Ork!“, der allen immer das Leben rettet. Das ist nicht nur possierlich, sondern gibt dem schweren Thema immer wieder eine Leichtigkeit, ja Tröstliches.

Wider Willen verliebt sich Freya in Miles Glennock, Glenner, „zumindest nicht unansehnlicher als Jean Reno oder George Clooney“, erst undurchsichtig, dann für den Leser ganz klar ein amerikanischer Geheimagent. Beide überstehen die schlimmsten Stürme und Angriffe der Einheimischen wie auch der homines aquāticī . Diese dramatische Verfolgungsjagd über Grönlands Küste kann man nicht zusammenfassen, nur, daß sie überleben. Aber das weiß man eh, denn Romane, wo die Helden am Ende tot sind, machen keinen Spaß.

Und dann gibt es noch den gleichgewichtigen zweiten Strang, in dem der Hydrotechniker Frodo, einer der ersten deutschen Mutanten, dem aber die Kiemen gleich operativ entfernt wurden, über sich hinauswächst, endlich Seinesgleichen mit funktionierenden Kiemen und Schwimmhäuten kennenlernt und gemeinsam mit dem völlig durchgedrehten Bieker das Faß aufmacht.

Und dann gibt es noch den Menschenwohltäter, wie er sich bezeichnet, den Multimillionär Orlando Pesceros, der die neue maritime Welt mit den Kiemenmenschen, ausgehend von Grönland, gestalten möchte, gerne Freya als Mitarbeiterin hätte, aber wo die Liebe hinfällt...

Mir hat’s gefallen! Apokalypse maritim.

Und hinreißend einfach das Vorwort:
„Ich glaube an die friedliche Koexistenz von Menschen und Fischen.
George W. Busch, 43. Präsident der Vereinigten Staaten

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Thor Kunkel, Welt Unter, Golkonda Verlag in Europa Verlage GmbH,
ISBN 978 3 96509 061 3