lugenDas Krimi-Debüt von Wolfgang Ainetter im Berliner Regierungsviertel überzeugt mit Spannung, Lokalkolorit und viel Wiener Schmäh

Hans Utech

Berlin (Weltexpresso) - „Ich fühlte mich so kaputt wie mein zerschlissenes oranges Ikea-Sofa und so einsam wie die Glühbirne ohne Lampenschirm in meinem Wohnzimmer. Es war ein frostiger Oktobertag und ich hatte einen Kater. In meiner kleinen Wohnung in Berlin-Moabit litt ich vor mich hin und verabreichte mir eine dreifache Dosis Selbstmitleid. Ich wusste nicht, was schlimmer war: die Kopfschmerzen, das Heimweh nach Wien oder der chronische Liebeskummer.“

So beginnt das gelungene literarische Debüt von Wolfgang Ainetter.
„Geheimnisse, Lügen und andere Währungen: Ein Ministeriums-Krimi“ heißt der wohl erste Kriminalroman, der ebenda, nämlich in einem deutschen Ministerium spielt. Auf rund 300 Seiten nimmt uns der versierte Nachrichten-Journalist Wolfgang Ainetter mit auf eine nicht nur kriminalistisch enthüllende Reise durch den deutschen Politikbetrieb, durch Lügen und Intrigen im Berliner Regierungsviertel. Dabei kommen ihm eigene Erfahrungen als einstiger Minister-Sprecher zugute.

mit autorDas geschieht mit leichter Hand, pointiert und humorvoll. Vor dem Leser breitet sich ein spannender Kriminalfall aus, mit einem überzeugenden Ermittler, einer anrührenden Liebesgeschichte und vielen genau gezeichneten Portraits der Protagonisten aus der politischen Oberklasse.

Im Mittelpunkt steht der Polizeioberkommissar André Heidergott, Österreicher – wie der Autor selbst, der die Entführung eines hohen Beamten in einem Bundesministerium aufdecken soll. Jener war beim Luxus-Menü im Nobelrestaurant Cordo spurlos verschwunden. Die Crux: Das vermeintliche Entführungsopfer war nicht irgendein x-beliebiger Staatsdiener, sondern Ministerialdirektor Hans-Joachim Lörr, eitel, machtgetrieben, extrem geizig, aber mit einem stark ausgeprägten Hang zum Nicht-Nein-Sagen, wenn es um „Geschenke“ und Vergünstigungen geht sowie mit einer Vorliebe für kostenlose Büffets bei Empfängen.

Schnell wird während der Ermittlungen klar: Meisterintrigant Lörr hatte viele Feinde im Ministerium – es könnte jeder oder jede sein. Genaugenommen gäbe es 217 Verdächtige – alle haben gute Gründe, Lörr Böses zu wollen – so ein Personalverantwortlicher des Ministeriums. Die Ermittlungen können sich also ziehen...

In den folgenden 70 Kapiteln wird der Leser/die Leserin auf unterhaltsame Weise in die skurrile Welt eines deutschen Ministeriumsapparates entführt. Auf der langen Liste der Verdächtigen stehen unter anderem: der durchtrainierte Referatsleiter aus der Unterabteilung Presse und Kommunikation, die völlig verängstigte Unterabteilungsleiterin, der Parlamentarischer Staatssekretär, der kurz davor ist – als längst dienender Staatssekretär seit 1949 in die Politikgeschichte einzugehen – , der Ministerialdirigent (der, sehr hübsch beschrieben: gern einen Zweireiher, Weste, Hemd und dazu eine Krawatte mit dem Logo der Universität Cambridge trägt, denn „vor 31 Jahren hatte er ein Semester in England studiert“), die etwas aufmüpfige Social-Media-Chefin und ihr unangepasstes Team sowie diverse Abteilungsleiter. Sie alle eint Angst, denn „Hohe Stellungen erreicht man als Staatsdiener am leichtesten in gebückter Haltung.“

Hauptverdächtiger ist aber der unberechenbare Beamten-Revoluzzer und Ministersprecher (der die Leitungsebene wegen eines Witzes über Lörr verlassen musste) Simon Streif, der als Strafe nun die Projektgruppe „Smartphones und Tablets bei Senioren im ländlichen Raum“ leitet.

Wie in jedem guten Krimi ist am Ende aber alles ganz anders als es scheint. Es geht um Rache, um Demütigung, um Widergutmachung. Nur so viel sei verraten: Lörr taucht natürlich wieder auf. FAST alles ist wie immer. Die großen Feierlichkeiten zur Pensionierung inklusive „Gastgeschenke“ können stattfinden. Die „sparsamen“ Lörrs servieren ihren Gästen ein günstiges Buffet, zusammengeschnorrt von Lobbyisten und Speichelleckern: „Ein Blick auf den zehn Meter langen Geschenketisch zeigte den Lörrs, dass ihre Investitionen hohe Renditen brachten:– (…),– 5 Nächte für zwei Personen im Fürstenzimmer „Deluxe Hideaway“ des 5-Sterne-Superior-Hotels Schloss Elmau (…) Wert: 8.207 Euro,– 1 Fünf-Sterne-plus-Kreuzfahrt von Fidschi nach San Francisco, gespendet von den befreundeten Coronamasken-Fabrikanten Gero Nüsser und Fred Suter (18 Tage in der „Grand Ocean Suite“ des Luxus-Liners „MS Europa 2“ kosten 20.550 Euro – pro Person. Motto des Veranstalters: „Bula!“, „Aloha!“ und „Hello!“),– 2 VIP-Tickets (ohne Backstage-Büfett) für ein Roland-Kaiser-Konzert am Dresdner Elbufer, dazu 1 Roland-Kaiser-Shirt mit dem Aufdruck „Warum hast du nicht NEIN gesagt?“…“

Wir sagen unbedingt JA zum Lesen des Buches. Denn Ainetters Stärke sind die literarischen Bilder. Mit viel Witz, Klugheit und Wiener Schmäh lässt er die fiktiven Buchgestalten zum Leben erwachen. Man merkt schnell: Da ist ein ganz genauer Welt-Beobachter am Werk, einer, der sein Handwerk beherrscht, der schon viel erlebt hat und Geschichten erzählen, den Leser mitreißen kann. Ainetter nimmt uns mit auf eine politische Skandalreise der letzten Jahre. Wer will, erkennt hier den einen oder anderen realen politischen Skandal (von Maskenkäufen bis Familienausflügen mit dem Regierungshubschrauber).
Spätestens an dieser Stelle sei aber auf die Warnung des Autors verwiesen, die er seinem Buch vorangestellt hat: „Diese Geschichte ist ebenso wahr wie die Lebensläufe von Abgeordneten. Die handelnden Personen existieren tatsächlich – in der Halluzination des Autors. Sollte sich eine Leserin oder ein Leser in einer der erfundenen Figuren wiedererkennen: Medienanwalt Christian Schertz wird sich um Sie kümmern, leider nur gegen Honorar. Warnhinweis für Politiker*innen und Beamt*innen: Die folgenden Kapitel können verstörend wirken und das Bedürfnis auslösen, einen sofortigen beruflichen Neustart zu wagen.“

Unser Fazit: Lange war Politik nicht so nahbar, mit so viel Sprachwitz, so sezierend mit einem Blick auf jedes Detail beschrieben. Deshalb eine unbedingte Leseempfehlung – gerade im Superwahljahr.

Fotos:
Umschlagabbildung
Autor und Buch © Verlag

Info:
Das Buch erscheint am 7. März im Haymon Verlag und kann bereist vorbestellt werden.
Geheimnisse, Lügen und andere Währungen: Ein Ministeriums-Krimi eBook : Ainetter, Wolfgang: Amazon.de: Kindle-Shop

Unser Autor ist der Herausgeber von WELTEXPRESSO: Prof. Dr. Hans Utech

Best off Zitate:
Ich liebe meinen Minister - solange er Minister ist. Ich liebe meinen Abteilungsleiter –solange ihn mein Minister liebt. Ich liebe meinen Unterabteilungsleiter–solange ihn mein Abteilungsleiter liebt. Ich hasse alle unter mir– solange sie unter mir und nicht über mir sind.
Eine Freundin hat mich gesehen und gesagt: ,Du guckst ja so verzweifelt wie Peer Steinbrücks Wahl kampfmanager nach dem berühmten Stinkefinger-Fo to7 oder wie Joschka Fischer nach seiner zwanzigsten Hungerkur!‘
Beamte gehen in Therapie wegen Beamten, die nicht in Therapie gegangen sind.
Der weit über 80-jährige Parlamentarier Gauland liebt übrigens meine Heimat Österreich, ich vermute, weil bei uns – verzeihen Sie die miese Pointe –die Kran kengymnastik noch Heilgymnastik heißt. Oder vielleicht weil in der Mozartstadt Salzburg mehr Straßen nach Nationalsozialisten (66) benannt sind als nach Frauen (37).
Die Sprache der Politik konnte ich noch nie leiden, ich mag weder Scholzen (umständlich drumrumreden) noch Södern (angeben in Superlativen) noch Merkeln (überhaupt keine Äußerung von sich geben).


Zum Autor:
Wolfgang Ainetter ist Kommunikationsberater und Autor. Er studiert Germanistik, Psychologie und Philosophie und beginnt 1995 als Reporter beim österreichischen Nachrichtenmagazin „News“. 2005 wechselt er erstmals zu Springer und arbeitet als Nachrichten-Chef der „Bild“, die er 2011 verlässt, um Chefredakteur der Wiener Tageszeitung „Heute“ zu werden. Nur ein Jahr später wechselt Ainetter als Chefredakteur zurück zu „News“, dem Magazin, bei dem er seine Karriere gestartet hatte. Von 2016 bis 2018 arbeitet er erneut für „Bild“, diesmal als Chef der 26 Stadt- und Lokalausgaben. Von 2018 bis 2021 ist er als Kommunikationschef im Bundesverkehrsministerium tätig. Dort baut er u.a. einen Newsroom auf, in dem Pressesprecher und Social-Media-Manager Hand in Hand arbeiten. 2021 veröffentlichte er gemeinsam mit Christiane Germann das Fachbuch „Social Media für Behörden. Wie Bürgerkommunikation heute funktioniert.“ (Rheinwerk-Verlag, 2021).