lehmannAuf der Leipziger Buchmesse, Teil 7

Claudia Schulmerich

Leipzig (Weltexpresso) – „Krimi ist die Literatur der Krise, sagt Dominique Manotti. Wie jetzt schreiben – und worüber? Krimiautorinnen diskutieren“, heißt die Einladung für’s Forum Literatur in Halle 4, Stand B401, am 22. März 17-18 Uhr. Und wenn man dann die Namen der Diskutierenden liest: Zoe Beck, Monika Geier, Christine Lehmann, weiß frau, daß sie sofort zuhören will.  Zoë Becks aktueller Roman: Memoria, 2023,  Monika Geiers aktueller Roman: Antoniusfeuer, 2023), Christine Lehmann, aktueller Roman: Alles nicht echt, 2024),  Moderation: Sophie Sumburanes aktueller Roman: Tote Winkel, 2022.

beckDie Moderatorin und Autorin Sophie Sumburane wollen wir nicht unterschlagen, aber gleich feststellen, daß die drei Krimi-Frauen ihr die Arbeit leicht machten. Denn das war im Nu eine echte Diskussion! Wir stießen hinzu, als Zoe Beck (rechts) auf den Hinweis, man müsse jetzt aufgrund der politischen Situation mit einer Partei mit drei Buchstaben, die mit A anfängt, Flagge zeigen und auch in Krimis den gesellschaftspolitischen Hintergrund aufzeigen, meinte: „Wenn wir jetzt schreiben, sind wir zu spät! Sie will nicht schreiben, wenn besagte Partei bei 20 Prozent liegt, denn sie will nicht über die Realität schreiben. Sie interessiert die Zeit davor, wenn etwas gärt und man die Ursache benennen kann. „Bücher können helfen“, meinte dagegen Christine Lehmann, denn Literatur kann Vorschläge machen, wie man Krisen bewältigt. Der Krimi findet Antworten und gibt verbale Vorschläge. Aber „zu spät“, signalisiert, daß man nichts mehr tun könne.

geierMonika Geier (rechts) stimmt ihr zu. Man müsse raus aus den Dystopien, daß also immer nur die schlechteste der Welten eine Rolle spiele. „Zu spät“, signalisiere: „es ist nichts mehr zu tun. Dieses Szenario Dystopien, Ruinen...aus diesen müssen wir raus!“ Die Zuhörerinnen hatten längst verstanden, daß es hier nicht um einen politischen Schlagabtausch ging, sondern um die Binnenmotivation der Schreiberinnen. Das bestärkte noch einmal Zoe Beck, daß der Anfang, wenn etwas brodelt für sie die der Schreibansatz sei, auf die gegenwärtige politische Situation zu reagieren, heiße für sie, Wählen gehen, öffentlich seine Meinung sagen, aber beim Krimischreiben könne sie damit nichts anfangen. „Wir schmeißen doch auch unsere Heldinnen in ein Loch“, aus dem sie sich befreien müssen. „Du mußt einen Ausweg aus dieser Krise suchen“, riet erneut Monika Geier.

Man müsse erst einmal die Krise beschreiben, war einhellige Meinung, auf die hin Christine Lehmann als Kompromiss bekannte: „Im Schreiben kann ich tun, was ich will, aber so ganz die Herrschaft habe ich nicht“, und kam auf das Eigenleben der Figuren zu sprechen, die sich in ihren Krimis ergeben. Und jetzt wurde es spannend, weil wirklich politisch! Man müsse sich damit auseinandersetzen, welche Funktion heute Medienkritik habe, ob die Redaktionen der öffentlichen Medien noch zeitgemäß arbeiteten. Wir kritisieren immer die Regierung, wie in den 60ger, 70ger Jahren, als Regierungen der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkten. Aber heute sei eine andere Situation. Im übrigen können Geschichten oft den Kern gegenwärtiger Politik viel besser vermitteln, als die Politik selbst – noch besser sei das in Filmen möglich. Im Krimi ist Gesellschaftskritik mit Fiktion sehr viel besser zu erreichen.

Monika Geier stieg da ein und betonte, man müsse heute die Berichterstattung über politisches Geschehen ändern, sie müsse ihren revoltierenden Söhnen erst einmal erklären, daß wir einen tollen Staat haben, auch wenn nicht alles so läuft, wie sie wollen, es sei wichtig, herauszustellen, daß wir in einem System leben, das erhaltenswert ist. Die beste der vorhandenen Welten, nicht die beste aller Welten, meint dazu die zuhörende Verfasserin dieser Zeilen.

alleEs wurde Verschiedenes hin- und herdiskutiert. „Man googelt nicht mehr, man tiktokt“. Die Partei mit den drei Buchstaben und dem A am Anfang habe Deutungshoheit. Der Generationenkonflikt sei konstitutiv. Auch die Eltern der gegenwärtigen Eltern haben damals ihren Kindern nicht vertraut. Nichts ist so, wie es scheint: „Die Jugend wird es schon machen.“

Eine andere Frage war, wie man über Verbrechen schreibe. Ob man die Verbrechen beschreibe und damit die Gewalt reproduziere. Christine Lehmann wollte eigentlich keine Krimis schreiben, weil sie nicht jemanden umbringen will. Aber eine echte Mordtat habe ihr gezeigt, sie interessiert nicht der Täter, sondern das Opfer und wie die Umwelt damit umgehen kann. „Ich versuche, den Opfern die Pointen zu geben. Die Täter haben das coolere Setting, weil sie überleben. Zoe Beck reflektierte, wieso Serienmörder so viele Fans unter den Frauen haben. Warum wird jemand Oper, warum ein anderer Täter.
Man solle den Elefant im Raum doch endlich benennen, rbeschloß Christine Lehmann . Das Patriarchat schaffe Heldengeschichten, männliche Geschichten, die mit Gewalt sich durchsetzen, woraufhin Frauen sich mit solchen Männern solidarisierten, die dann von diesen bestimmt würden als Göttin, als Kind, als Engel… „Die Ästhetik der Heldengeschichte ist männlich“

Fotos:
©Redaktion

Info:
Die Messebesucher und wer sonst noch in Leipzig ist, können am Messesamstag am Abend in der Stadt die beiden Autorinnen Christine Lehmann und Monika Geier erneut diskuiteren hören und sehen. 
Christine Lehmann am Samstag, 23.3., um 14:30 Uhr auf der Messe im Forum die Unabhängigen, Halle 5.
Außerdem am Samstag um 20 Uhr im Haus der Demokratie Leipzig (Connewitz), zusammen mit Monika Geier: "Politische Spannungsliteratur hart am Wind" - Kurzlesungen und Diskussion, moderiert von Else Laudan.
Und Monika Geier, die kürzlich für ANTONIUSFEUER den Deutschen Krimipreis (2) erhielt, liest am Samstag, 23.3., um 22 Uhr im Centralkabarett Krimikeller (Am Markt).
Seit gestern steht übrigens ein ziemlich interessantes Interview mit Monika Geier online, wo es (auch) um Antoniusfeuer geht: "Vorbild Agatha".