KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio  für Januar 2012

 

Elisabeth Römer

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Neues Jahr, neues Glück. Das gilt vor allem für den neuen Erstling „Payback“ von Mike Nicol aus dem Verlag btb. Glückwunsch, wenn man es auf Anhieb ganz nach vorne packt. Für uns bedeutet das allerdings „Überraschung“. Wir haben es noch nicht gelesen und holen das unmittelbar nach. Es liegt schon bereit. Was man aber schon einmal sagen muß, ist, wie überaus erfolgreich Kriminalromane aus Südafrika sind.

 

Letztes Mal auf Platz 1 Deon Meyer mit „Rote Spur“ von rütten&loening und auch Malla Nunn kommt von dort und wurde mit jedem ihrer Krimis hoch bewertet. Vom neuen Roman des bekannten Mike Nicol wissen wir nur, daß er grundsätzlich den Auftakt der Rache-Trilogie ist, es um die Sünden der Vergangenheit des Befreiungskampfes waren,  in dem Mace Bishop und Pylon Buso Waffenhändler waren. Warum Meyer diesen Monat aber nur auf Platz 8 landete, gehört zu den Rätseln, die wir als Kommentierung der KrimiZEIT-Bestenliste immer so gerne entwirren.

 

Denn es sind ja nicht sieben so hervorragend neue Krimis hinzugekommen, daß Deon Meyer automatisch runterrutschen mußt. Gerade zwei weitere Bücher sind außer Nicol neu dabei: auf Platz 4 Rob Alef mit „Kleine Biester“ aus dem Rotbuch Verlag und auf dem 7. Rang Lee Child mit „Outlaw“, Verlag Blanvalet. Alle anderen waren schon plaziert, als Meyer , der nun das dritte Mal dabei ist, auf dem ersten Platz 1. Ist das nachträglich eine Zurücknahme der Hochdotierung oder dauert es eben seine Zeit, bis so viele aus der Jury das Buch gelesen haben und das Urteil, also die Bewertung jetzt mit satter Mehrheit erfolgt?

 

Dazu noch mehr. Wir ergreifen die Gelegenheit, den neuen 2. Platz zu feiern. Gar nicht oft genug kann man über Ulrich Ritzel und seinen „Schlangenkopf“ schreiben, der  - bei btb erschienen -  einen glauben läßt, daß in Deutschland erst der Roman, der Kriminalroman erscheint, dann die Verbrechen, sprich: die Morde folgen, denn die bundesdeutsche Wirklichkeit, wie sie der Rechtsradikalismus derzeit Blüten treibt, wurde aus dem Sumpf gezerrt, als dieses Buch zu den Morden erschien.

 

Nein, bitte nicht mißverstehen. Ganz und gar nicht eine Anleitung zum grauslichen Geschehen um diese zwei Mörder und Bankräuber und diese undurchsichtige Frau aus Thüringen, sondern eine soziologisch-politische Herleitung, aus welchem Milieu, aus welchem Mief, aber auch mit Hilfe welcher staatlichen Stellen sich solch ein Pack hier in der Bundesrepublik breit macht. Diese Rechtsradikalen werden nicht nur gedeckt staatlicherseits. Ulrich Ritzel schildert, wie Mord und Totschlag direkt vom deutschen Geheimdienst in Gang gesetzt, die Ratten aus den Löchern kommen läßt, eine Melange von politischen Absichten und kriminellen Vorhaben, das einem schlecht wird. Angenehm liest sich so was nur als Fiktion.

 

Daß uns Don Winslow auf Platz 3 dieses Mal mit „Zeit des Zorns“ aus dem Suhrkamp Verlag ganz und gar nicht gefällt, hatten wir schon geäußert. Allerdings hatten wir hier erwartet, daß dieses Buch in der Januarliste den Absturz erlebt, den Meyer erlitt. Neu also „Kleine Biester“ von Rob Alef aus dem Rotbuch Verlag. Endlich einmal ein Krimi in der normalen Welt. Das bedeutet hier Familien, Kinder, Schule, Eltern mit ihrem Ehrgeiz, außerschulische Gruppen, die Schule pushen, aber auch der ganz normale Schulalltag, in dem Schüler für das gesellschaftliche Aussortieren vorbereitet werden, wenn die einen ins Töpfchen einer besseren Bildung an weiterführenden Schulen: sprich Gymnasium kommen, die anderen im Kröpfchen des allgemeinen Restes verbleiben.

 

Aber das ist Alltag. Neu ist, daß hier aus den beschränkten Zugängen für Gymnasien die nicht berücksichtigten Eltern an Mord denken oder wie? Das geht gar nicht um die Wahrscheinlichkeit, daß solche Morde eintreten, sondern um das Klima von Haß und Verbitterung, wenn ein Auslesekrieg Kinder nicht mehr Kinder sein läßt. Natürlich ist das eine satirische Überspitzung. Herrlich wie diese Eltern, die immer den Wahn im Interesse ihrer Kinder zu sprechen, hier entlarvt werden. Es gibt auch andere Eltern. Vor allem andere Kinder!

 

Lee Child landet mit „Outlaw“ direkt auf Platz Sieben. Auch er ist mit seinem Jack Reacher auf der Krimiliste kein Unbekannter. Diesmal ist Reacher, denn Krimi-Papst Tobias Gohlis mal bezeichnet hat als: „Hart, gerecht, Reacher“, zwischen den Käffern in Colorade namens Hope und Despair unterwegs. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung  landet er in Despair, wo er doch eigentlich nur einen Kaffee trinken will, aber von vier üblen Gesellen Platzverweis erhält. Irre, was da abgeht. Denn Reacher macht sich die alte Weisheit zu eigen, daß wer so vorgeht und ihn rauswirft, etwas zu verbergen habe. Welche Schweinereien das dann sind, die auch noch mit dem Irakkrieg zu tun haben, beschädigt die dortige angeblich bürgerliche Welt im Mark.  

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(-)

Mike Nicol: Payback

Aus dem Englischen von Mechthild Barth

btb, 574 S., 9,99 €

Kapstadt/Luanda. Im Befreiungskampf waren Mace und Pylon Waffenhändler, jetzt, in der Demokratie, verdienen sie friedliches Geld. Bis ihnen alte Schulden präsentiert werden. Die Entführung von Maces Tochter ist nur der Anfang. Erster Band der „Rache-Trilogie“. Unbarmherzig rauer Wind aus Südafrika. Gnadenlos gut.

2

2

(6)

Ulrich Ritzel: Schlangenkopf

btb, 448 S., 19,99 €

Berlin/Frankfurt. Ein Türke wird überrollt. Gemeint war der Bosnier, dessen Jacke er trägt. Im Kunstnebel von Geheimdiensten, Rüstungsgeschäften und Kungelei stochern Privatermittler Berndorf und Helfer nach Hintermännern. Cool. Politthriller vom Feinsten. 

3

3

(3)

Don Winslow: Zeit des Zorns

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Suhrkamp, 338 S., 14,95 €

Laguna Beach/Südkalifornien. Nach „Tage der Toten“ nun die Komödie. Ben, Chon und Ophelia sind klug, reich und superentspannt.  Ihr Dopegeschäft läuft, Orgasmen in Menge, Charity dazu. Bis das Drogenkartell in den sunshine-state drängt. Die 3 schönen Wilden bekommen keine Chance, aber nutzen sie.

4

4

(-)

Rob Alef: Kleine Biester

Rotbuch, 352 S., 14,95 €

Berlin-Kreuzberg. Anna verschwindet im Sand einer Buddelkiste. Kein Unfall: Sie wollte aufs schnieke Rosenhof-Gymnasium. Im Auslese-Krieg um Aufstiegschancen ist Kindermord letztes Mittel der Wahl. Subtil punzierte Satire auf mittelständischen Karrierewahn; Hommage auf Kinder, die Kinder bleiben. 

5

5

(5)

Matthias Wittekindt: Scheeschwestern

Edition Nautilus, 352 S., 18,00 €

Fleurville/Benningstedt. Der Triebtäter will es nicht mehr. Aber es geschieht doch. Im Grenzwald zwischen D und F, im Winter. Eine Sechzehnjährige ist erschlagen, in Pubertätstrubel und Geltungsdrang. Die Ermittler taumeln auf dem Grat zwischen Ahnungen und Kriminalistik. Bemerkenswertes Krimidebüt.

6

6

(9)

Jo Nesbø: Die Larve

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein, 564 S., 21,99 €

Oslo. Harry Holes Ziehsohn sitzt in U-Haft. Wegen Mordes an einem Dealer. Harry, zurück aus Hongkong, weiß, was Sucht bedeutet. Um des Jungen und seiner Liebe willen lässt er in der Drogenmetropole Oslo keinen Stein auf dem andern. Und schrammt in die Enttäuschung seines Lebens.

7

7

(-)

Lee Child: Outlaw

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Hope/Despair, Colorado. Wer Jack Reacher nicht durchlässt, bekommt Ärger. So geht es den Leuten von Despair, gebeugt unter dem Dach eines frömmelnden Recycling-Barons. Ein starkes Buch: Handlung pur. An der US-Heimatfront des Irakkriegs. Bilder und Szenen, als wäre Kafka nach Despair gekommen.

8

8

(1)

Deon Meyer: Rote Spur

Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer

rütten&loening, 626 S., 19,99 €

Kapstadt/Südafrika/Simbabwe. Eine Hausfrau, ein Leibwächter und ein Ex-Polizist stoßen vor der Fußball-WM auf eine Geheimaktion von weltpolitischer Bedeutung. Meyer ist raffinierter denn je. Spionage-, Abenteurer- und Detektivroman, meisterhafte Spannungsliteratur.

9

9

(10)

Rainer Gross: Kettenacker

Pendragon, 368 S., 12,95 €

Buttenhausen/Kettenacker. Wieder, wie vor 13 Jahren, stößt Heimatforscher Hermann Mauser im Wald auf ein Skelett. Ein Gottschützedichle-Amulett verrät den Namen des 70 Jahre zuvor getöteten Mädchens. Albtraumhafte Familien- und Heimatgeschichte. Das Vergangene ist nicht tot, nicht einmal vergangen.

10

10

(4)

Joe R. Lansdale: Gauklersommer

Aus dem Englischen von Richard Betzenbichler

Golkonda, 300 S., 16,90 €

Camp Rapture, Ost-Texas. Irakkriegs-Veteran Cason Statler, frisch angestellter Reporter, sucht seinen Scoop. Vor 6 Monaten verschwand die überirdisch schöne Caroline. Eine DVD taucht auf, und die Decke wird weggezogen: Liebschaften, Erpressung, Mord, Entführung. Lansdale in Bestform: Texas ganz unten.

 

Info:

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Januar Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio.

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht, immer am ersten Donnerstag des Monats.

 

Vorgestellt wird sie

-          In den Literatursendungen des NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis)

-          http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

-          unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)

-          in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5.1.2012

 

Monatlich wählen sechzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

Die Jury setzt sich zusammen aus:

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten.

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/312-bester-kriminalroman-des-jahres-wird-qroter-glamourq-von-ariadne-im-argument-verlag