clarkJulie Clark nimmt uns mit in eine mordgetränkte Vergangenheit

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war tatsächlich etwas Neues beim Lesen. Das ganze Gerede von Nr.1-Spiegel-Bestsellerautorin einschließlich riesiger Werbekampagne, warum man eigentlich das Buch gar nicht besprechen möchte, denn es läuft als Verkaufsobjekt von alleine, also das ganze Gerede fällt in sich zusammen, interessiert einen nicht, weil Juli Clark ihre Protagonistin Olivia Dumont so unmittelbar erzählen läßt, dass man überhaupt nicht mehr einen Krimi liest, sondern den Eindruck hat, dass eine Freundin, die äußerst unter Druck steht, hier vor sich hinerzählt, woran das liegt, was alles los ist und was sie selbst versucht, sich aus der Schlinge zu ziehen.


Das soll heißen, hier wird nicht mit sogenannten Cliffhängern gearbeitet oder sonstwie die Handlung auf Spannung getrimmt, sondern eher läßt es die Autorin langsam angehen und hat für besagte Olivia Dumont so viele Mißerfolge und Stolpersteine eingebaut, dass die Leserin ihr ab und zu helfen möchte, sich nicht dauernd selbst ein Bein zu stellen. Also: Olivia Dumont ist als Olivia Taylor geboren und ist die Tochter des Bestsellerautors Vincent Taylor,, den sie seit 20 Jahren nicht gesehen hat. Das hat Gründe, denn nachdem die Mutter früh die Familie verließ, kümmerte sich auch der Vater nicht richtig um die Tochter, schickte sie aufs Internat und blieb ihr fern. Das Kind und das junge Mädchen litten darunter, aber dann war Olivia eher froh, mit dem Vater nichts zu tun zu haben, denn die düstere Familiengeschichte mit zwei ermordeten Geschwistern ihres Vaters am 13. Juni 1975 in der übersichtlichen kalifornischen Stadt Ojai flüsterte ihr zu, ihr Vater sei der Mörder gewesen. Die ganze Stadt wüßte das.

 

Olivia hatte in Europa früh geheiratet, früh geschieden und wurde in den USA eine durchaus erfolgreiche Ghostwriterin, der es gelang, für völlig unterschiedliche Frauen in verschiedenen Genres Autobiographien zu verfassen, die als gut geschrieben sehr erfolgreich waren, wobei es ihr lag, dass ihr Name nur am Rande vorkam. Sie konnte sich ein schönes Haus leisten, doch dann sagte sie über einen Kollegen, einen ekligen Frauenverächter, die Wahrheit, was dieser als lügnerische Beleidigung vor Gericht vorbrachte und Schadensersatz forderte, was ihm zugestanden wurde: 500 000 Dollar, eben amerikanische Verhältnisse, wozu die Anwaltskosten von 200 000 kommen. Olivia ist nicht nur pleite, muß ihr Haus verkaufen und hat immer noch nicht genug Geld. In dieser Situation erhält sie ein Angebot, dass ihre Agentin ihr dringend anzunehmen anrät. Denn diese weiß nicht, dass der berühmte Autor Vincent Taylor, der Olivia Dumont für seine Autobiographie anfordert und gutes Geld dafür zahlt, Olivias Vater ist.

Das ist die Ausgangssituation, das Eigentliche geschieht dann im Haus des Vaters in Ojai. Als erstes bekommt Olivia mit, dass ihr Vater an Lewy-Körperchen-Demenz leidet, also tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, seine Memoiren selbst zu schreiben, die auch gar keine Lebensgeschichte werden soll, sondern nur die Kindheit und Jugend von Vincent und seinen Geschwistern erforschen soll, einschließlich der Morde, nämlich, wer wirklich Täter war. Ihr Vater braucht sie wirklich, sie braucht in der Tat das Geld. Was erst relativ unerfreulich beginnt, schlägt dann in einen modus vivendi um. Nein, über das Ende darf man nichts sagen, nur, dass sie ihre Arbeit tatsächlich zu Ende führt.

Wichtig ist die Methode, wie Julie Clark uns am Ball hält. Da gibt es einerseits die fortschreitende Handlung im Haus des Vaters mit dem gemeinsamen Erinnern und dem Schreiben durch Olivia. Da der Verlag sehr schnell erste Kapitel angefordert hatte, um zu überprüfen, ob diese verwertbar seien, und dies auch der Arbeitsweise von Olivia entspricht, sofort Erkenntnisse und Erforschtes niederzuschreiben, gibt es ab Seite 57 zwischengeschaltet zwischen die fortlaufende Handlung, die in Kapiteln im März 2024 beginnt, Olivias Texte von Vincent, 13. Juni 1975.19.30 Uhr ab. Wir erlesen also die literarische und vor allem mordaufklärende Niederschrift der schreibenden Olivia genauso wie die Umstände, unter denen sie schreibt.

Das ist raffiniert gemacht, sieht aber ganz einfach und natürlich aus. Respekt! Ein Trick beim Auffinden der Wahrheit über die Morde, denn darum geht es im Kern, sei nicht verschwiegen. Olivia mußte eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen, dernach sie mit niemandem über ihre Ghostwriterei und damit über die Mordfälle sprechen darf. Erst hält sie sich dran, was ihren Freund zu Hause ihre Beziehung beenden läßt. Doch als sie merkt, dass sie inhaltlich nur weiterkommt, wenn sie mit den Bewohnern, mit den Alten von damals sprechen kann, was ihr ja verboten ist, fällt ihr auf und ein, dass es Olivia Dumont verboten ist, nicht aber Olivia Taylor! Also agiert sie fragend als Tochter, was sich auszahlt.

Die zu Herzen gehende Geschichte der ermordeten Geschwister kam hier zu kurz, im Roman ist es die Hauptsache. Hier ging es um die Methode, mit der Julie Clark einen um den Finger wickelt und am Ball hält. Allerhand.

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Umschlagabbildung

Info:
Julie Clark, Die unsichtbare Hand, Heyne Verlag 5/2025
ISBN 978 8 453 44165 1